Antisemitismus im Kulturbetrieb: Kunst und Judenhass
Jüdinnen und Juden im deutschen Kulturbetrieb beklagen die Wiederkehr antisemitischer Stereotype. Das war nun Thema einer Tagung.
Der Anmeldebogen für ihren ersten Job nach dem Studium machte Aviva stutzig. Sie sollte ihr religiöses Bekenntnis angeben. In der Rubrik waren alle möglichen Religionszugehörigkeiten aufgeführt. Ihre nicht. Aviva, deren richtiger Namen auf ihren Wunsch hin hier nicht genannt wird, ist Jüdin, und sie steht dazu, ebenso wie zu ihrer prinzipiellen Unterstützung für den Staat Israel.
Aviva hatte Modedesign studiert, ihr Wunsch war es, bei einer großen deutschen Bühne zu arbeiten. Das durfte sie nun. Aber diese Bühne hatte einen Aufruf unterstützt, „Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ genannt. Dieser wendet sich gegen einen Bundestagsbeschluss, nach dem die als antisemitisch eingestufte BDS-Kampage zum Boykott Israels keine öffentliche Unterstützung erhalten solle. GG 5.3 sieht darin den Versuch, „wichtige Stimmen aus dem kritischen Dialog“ auszugrenzen.
Das findet Aviva nicht. Das empfinden auch viele andere deutsche Jüdinnen und Juden nicht so, auch der Zentralrat der Juden. Der beklagt, dass die Initiative suggeriere, hier werde ein kritischer Dialog unterdrückt. Wo es doch genau umgekehrt sei.
Aviva fühlte sich unwohl bei der Arbeit. Sie soll Künstlern eine Bühne bereiten, die ihrerseits eine Nähe zu BDS demonstriert hatten. Sie soll ein Video verbreiten, dessen Protagonist Demonstrationen gegen Israel unterstützt hat. Antisemitismus dagegen sei nie ein Thema bei diesem Theater gewesen, sagt sie.
Tagungstitel: „Von der Kunstfreiheit gedeckt?“
Nach einem halben Jahr reichte Aviva ihre Kündigung ein. Sie sagt: „Aufgrund meines Jüdischseins war ich dazu gezwungen, meinen Job aufzugeben.“ Am Ende sei sie noch inquisitorisch nach ihrer Meinung zur israelischen Besatzung des Westjordanlands befragt worden.
Die 30-jährige Aviva erzählt ihre Geschichte auf einem Podium in der Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. „Von der Kunstfreiheit gedeckt?“ lautet der Titel der Tagung, und es geht dabei um Antisemitismus in Kunst und Kultur. Zusammengekommen sind hier vor allem diejenigen, die von der Hetze in ihrem Innersten betroffen sind: Jüdinnen und Juden aus Deutschlands Kulturlandschaft.
Es geht um den Antisemitismusskandal auf der documenta, natürlich. Um die dort sichtbare „organisierte Verantwortlichkeit, finanziert durch deutsche Steuergelder“ (Zentralratspräsident Josef Schuster), bei der nichts und niemand Konsequenzen daraus ziehen wollte, dass Judenhass in brutalster Form öffentlich gezeigt wurde, und mit einem Video über die japanische RAF ein Aufruf zum Terror noch dazu.
Aber Thema ist auch die Identitätsdebatte, wo Juden oft den privilegierten Weißen zugerechnet werden, im Gegensatz zu den Unterdrückten im Globalen Süden, wie Karin Stögner von der Universität Passau beklagt.
Zionismus wird zum kolonialen Projekt banalisiert
Der Zionismus wird in dieser Erzählung zum kolonialen Projekt banalisiert, Antisemitismus zur Unterkategorie von Rassismus, Israel in der Folge zum kolonialen Apartheidprojekt. Aus all dem resultiere der Wunsch nach Entmachtung der vorgeblich so einflussreichen Juden, gepaart mit dem Desinteresse an ihrem Wissen, sagt Marina Chernivsky. Und so setzten sich antisemitische Stereotype fest.
Es sind Kategorien, in die die Juden nicht hineinpassen. Was nicht passt, wird passend gemacht. Noch einmal Stögner: „Identität, Identität hier, Identität dort. Juden sollen keine Identität haben.“
Was der Israelboykott des BDS konkret bedeutet, davon wusste Kulturmanagerin Katja Lucker ein Lied zu singen. Ihr Musicboard Berlin, das internationale Künstler aus aller Welt fördert, wird seit Langem boykottiert, weil sie sich eben nicht davon abhalten lässt, auch israelische Künstler einzuladen.
Die Folge: „Arabische Künstler sagen alle ab.“ Ein ägyptischer Künstler werde derzeit bedroht, „weil er bei uns war“. Sie erhalte häufiger den wohlgemeinten Ratschlag: „Hör doch mal auf mit Israel, dann hast du keinen Stress mehr.“ Lucker macht nicht den Eindruck, als wolle sie dem folgen.
Hilfe durch deutsches Förderrecht
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats, findet auf der Tagung deutliche Worte. Kunst und Meinungsfreiheit unter Ausschluss des Antisemitismus seien selbstverständlich „keine Gegensätze“. Israelische Künstler würden bei der documenta aber offenbar seit Jahren „systematisch ausgegrenzt“, beklagt er, und betont: „So kann es nicht weitergehen.“
Wie aber soll es dann weitergehen? Der Regisseur Benno Plassmann vom Institut für Neue Soziale Plastik hat da eine Idee: die Verwendungsnachweisprüfung. Da, so heißt es im besten Beamtendeutsch: „Der Verwendungsnachweis belegt, dass die gezahlten Mittel auch für den beantragten Zweck eingesetzt wurden.“
Wenn schon niemand die Verantwortung für das Zurschaustellen von Judenhass in der Kunst übernehmen wolle, dann könne doch das deutsche Förderrecht abhelfen, sagt Plassmann. Wenn statt für ein Kunstwerk öffentliche Gelder für eine Förderung von Terrorismus ausgeben würden, dann hätten sich die Zuständigen dafür zu verantworten, verlangt er. Und auch Schuster sagt, dass man genau prüfen müsse, „was mit dem Geld passiert ist“.
Das dies nicht ausreicht, um den wieder erwachenden Judenhass in Kunst und Kultur zu bekämpfen, wissen an diesem Tag alle Beteiligten. Deshalb ist derzeit ein Projekt in Vorbereitung, mit dem Antisemitismus in der Kunst thematisiert werden soll. „Reclaim Kunstfreiheit“ lautet der Titel. Aviva arbeitet dort mit.
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