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diskussionAntisemitismus an der Waldorfschule?

UMGEDREHTE HAKENKREUZE

Die Berliner Rudolf-Steiner-Schule steht zur Zeit stellvertretend für den Bund der Freien Waldorfschulen vor Gericht, und zwar mit der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, herausgegeben vom Zentralrat der Juden in Deutschland.

Stein des Anstoßes ist ein Artikel des Blatts vom 30. März dieses Jahres: „Waldorf-Unterricht rassistisch geprägt? Kritiker werfen den Rudolf-Steiner-Schulen Antisemitismus vor“. Die Waldorfpädagogen fordern nun eine Gegendarstellung.

Ausgelöst wurde die aktuelle Diskussion um Rassismus und Antisemitismus in der Waldorfschule durch die SWR-Sendung „Report Mainz“ vom 28. Februar (auch hier folgte ein Rechtsstreit). In einem Beitrag über Waldorfschulen kritisierten Eltern deren „rassistische Prägung“ und eine auf „Rudolf Steiner als Führerfigur“ ausgerichtete Pädagogik. Darüber hinaus zeigte der Beitrag Schulhefte aus dem Geschichtsunterricht einzelner Waldorfschulen, in denen stereotype Beschreibungen verschiedener Völker sowie Begriffe wie „Arier“, „Arierwanderungen“ und „Arieropfer“ auftauchten. Die in der Tat schwierige und umstrittene zweite Seite der Anthroposophie und damit auch der Waldorfpädagogik, ihre okkult-esoterische Weltsicht, ist schon lange ein Streitthema. Auch der Antisemitismus-Vorwurf ist nicht neu.

In dem „Report“-Beitrag berichtete jedoch Samuel Althof, Sprecher der Basler Initiative „Aktion Kinder des Holocaust“, ihm werde zunehmend über antisemitische Diskriminierung an Waldorfschulen berichtet.

Die Aussagen Althofs wurden später von Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, bestätigt. In der SWR-Sendung „Wortwechsel“ vom 19. März sagte Spiegel in Bezug auf die Waldorfschulen: „Seit ungefähr anderthalb Jahren wird mir von antisemitischen Vorfällen berichtet, aus verschiedenen Städten. Bisher konnte ich nicht aktiv werden, da die Eltern, die mir davon erzählt haben, nicht bekannt werden wollten.“

Die daraufhin losgetretene Diskussion bot genug Anlass für einen Artikel in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung, der das Thema der „Report“-Sendung aufgriff und sich darüber hinaus eingehender mit der Problematik Rudolf Steiner und Antisemitismus befasste: Zitiert wurde Steiner unter anderem mit dem Satz „Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte.“

Findet, wie in dem Artikel kritisiert, tatsächlich keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema innerhalb der Waldorfbewegung statt, oder handelt es sich um „diffamierende Meinungsmache“, wie der Bund der Freien Waldorfschulen meint?

Letzterer Ansicht ist auch Evelyn Hecht-Galinski. Die Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, hat sich zu Wort gemeldet. Sie gründete die „Vereinigung gegen die Verunglimpfung der Waldorfpädagogik“ und schaltete Anzeigen unter anderem in der Zeit und der Süddeutschen. Die taz hat für diese Ausgabe ein Interview mit ihr geführt. Auch der Sprecher der Berlin-Brandenburgischen Waldorfschulen, Detlef Hardorp, bekommt hier Gelegenheit, sich zu Rudolf Steiner und seinem Verhältnis zu Judentum und Zionismus zu äußern.

Eine öffentliche Diskussion des sensiblen Themas muss auch ohne Mitwirkung des Gerichts möglich sein, die Waldorfschulen laufen ohnehin Gefahr, sich mit einer Klage gegen die vom Zentralrat der Juden herausgegebene Zeitung mehr Schaden als Nutzen zuzufügen. Die geforderte Gegendarstellung kommt über philosophische Spitzfindigkeiten und Korrektur falscher Zahlenangaben kaum hinaus, auf der anderen Seite erschien in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung bereits eine Leserbriefseite mit der Überschrift „Der antisemtische Anzug passt nicht“: Sämtliche Schreiber hatten sich hier mit der Waldorfpädagogik solidarisiert. MARTIN REICHERT

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