piwik no script img

Antirassistische Linke und ChinaBunter Westzentrismus

China und wir: Es mangelt der antirassistischen Linken an Fantasie und Wissen, um die Veränderung der Weltordnung zu begreifen.

Die USA haben sich schon längst umorientiert: Biden als Obamas Vize und Präsident Xi 2013 Foto: Lintao Zhang/reuters

G erade verändert sich vor unseren Augen die Weltordnung. Das asiatische Jahrhundert ist kein abstrakter Begriff mehr. Es springt uns aus den täglichen Nachrichten entgegen, als Machtkampf zwischen den USA und China.

Manchmal fallen Erkenntnisse so plötzlich aus, als sei ein Schleier zur Seite gerissen worden. Zur schlechten Sicht hatte Donald Trump beigetragen. Seine antichinesischen Tiraden wirkten zu plump, um ernst zu sein. Eine Täuschung. Tatsächlich hatte bereits Obama die Orientierung auf den Hauptfeind China begonnen, und Joe Biden zeichnet sie nun scharf in die dünner werdende Luft.

Kein Zufall, wenn sich gleichzeitig in deutschen Medien unumwunden antichinesische Töne mehren – und damit meine ich natürlich nicht begründete Urteile zu Menschenrechten oder Klimapolitik, sondern Kalte-Kriegs-Sätze wie „Peking will einen Keil zwischen EU und Amerika treiben“ oder die anschwellende Rede von der europäisch-chinesischen Systemkonkurrenz.

Ist China also nun „der Andere“ im Welttheater, gegen den wir Eingesessenen zusammenstehen? Oder wo findet sich von linker, fortschrittlicher Seite eine kluge Widerrede?

Geistige Unterversorgung

Die Leerstelle China ist zunächst ein Symptom für eine allgemeinere geistige Unterversorgung. Eine Abstinenz in außenpolitischen, internationalen Fragen kennzeichnet weite Teile jener Milieus, die sonst am engagiertesten für gesellschaftliche Veränderungen eintreten.

Um nicht ungerecht zu sein: Es finden sich gewiss kundige Stimmen zu allem Möglichen hier und da. Aber ob zu Syrien oder zum Sahel – es mangelt an linken Perspektiven, die der Komplexität internationalen Geschehens gerecht werden. Auch Joe Bidens Amtsantritt wurde weithin nur an Fragen inneramerikanischer Demokratie erörtert.

Vor allem aber fehlt es offenkundig an der kollektiven Fantasie, am Vermögen, sich eine andere Ordnung der Welt vorzustellen. Im Kleinen spüre ich das, wenn es mir bei Diskussionen über mein Buch „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“ wieder einmal misslingt, das Gespräch auf den globalen Statusverlust von Euro-Amerika zu lenken.

Der Niedergang weißer, westlicher Macht

Stets ist das Bedürfnis größer, über die einheimische Machtverteilung zu sprechen. Beim Aufdecken weißer Privilegien wird oft übersehen, dass weiße, westliche Macht global im Niedergang begriffen ist (und sich gerade daraus militante White Supremacy speist).

In der berühmten Tischmetapher geht es darum, dass alle am Tisch der Einwanderungsgesellschaft eine Stimme haben. Aber in welchem Umfeld steht dieser Tisch? Und wie wichtig ist das, was dort in größerer Diversität gesprochen wird, für alle anderen Tische?

Die antirassistischen Impulse, die in Deutschland so verspätet angekommen sind, haben vieles aus den USA übernommen. Und das hat einen Preis. Unter der Hand ist eine neue Westborniertheit entstanden, dessen sich die Beteiligten selbst kaum bewusst sind: etwa wenn ein Buch mit dem Titel „Schwarzer Feminismus“ nur afroamerikanische Stimmen enthält und keine einzige aus dem Globalen Süden.

Der Westzentrismus der Antirassisten

Die Zentren der Weltbeherrschung bewegen sich weg von Europa und den USA – und ein Antirassismus, der darauf keinen Bezug nimmt, läuft Gefahr, bloß ein bunter Eurozentrismus oder Westzentrismus zu sein. Und damit geht noch etwas anderes einher – nämlich zu überschätzen, für wie wichtig die restliche Weltbevölkerung den antirassistischen Kampf in Europa oder den USA findet. Nachdem die hochfahrende Annahme, was bei uns geschehe, sei von universeller Bedeutung, eben erst des Saales verwiesen wurde, tritt sie mit einem antirassistischen Hütchen durch die Hintertür wieder herein.

So groß das Interesse am Kolonialismus heute ist: Anders als vor einigen Jahrzehnten schlägt die Frage, warum die Welteroberung eigentlich von Europa ausging, keine intellektuellen Funken mehr – als würde der Beginn des asiatischen Zeitalters sie nicht dramatisch aktualisieren!

Schließlich war China Europa zu Beginn des 15. Jahrhunderts in vieler Hinsicht überlegen, auch in der Hochsee-Schifffahrt, und unternahm spektakuläre Expeditionen. Der Verzicht auf überseeische Eroberungen überließ den europäischen Mächten dann den Raum für Expansion, Unterwerfung, Missionierung.

Was ist Zentrum, was Peripherie?

Was heute geschieht, lässt sich als Korrektur einer großen Verzerrung deuten. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts machten Indien und China zwei Drittel der Weltwirtschaft aus. Asien ist nun dabei, seine einstige Vorherrschaft zurückzugewinnen. Die Welt erlebt gewissermaßen eine Rückkehr zu jener Balance, die vor dem Aufstieg des Westens herrschte. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wird künftig neu bestimmt, was die Begriffe Zentrum und Peripherie bedeuten. Sind wir auf der Höhe der Zeit, um das zu begreifen?

Für manche Abonnenten des Manufactum-Katalogs mag China immer noch das Land der Billigkopien sein. Doch die aggressive US-Politik wendet sich längst gegen einen Hochtechnologie-Rivalen. Die chinesische Marine ist bereits größer als jene der USA. China strebt nach Einfluss im Nahen Osten, im israelisch-palästinensischen Konflikt, in Afghanistan, als Partner Irans. Und es gehen bereits mehr englischsprechende Studenten Afrikas nach China als nach Großbritannien und in die USA.

Es ist Zeit, sich Kenntnisse zuzulegen. Denn auch für jene, die sich bei uns als Opponenten weißer Dominanz verstehen, mag eine Feststellung des marxistischen Chinabeobachters Martin Jacques gelten: „Der Westen hält sich für kosmopolitisch, aber er war 200 Jahre lang so dominant, dass er andere Kulturen gar nicht zu verstehen brauchte, denn er konnte sich letztendlich immer mit Gewalt durchsetzen.“ Darum wisse China heute über den Westen so viel mehr als der Westen über China.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Warum die taz weiterhin offensichtlich absurde Erörterungen von Ch Wiedemann abdruckt verstehe ich nicht.



    "Die antirassistische Linke" - wer soll das sein? wird nicht ausgeführt. die sei westzentriert.



    und die BUKO = Bundeskoordination Internationalismus?

    Herr Bräutigam:



    "Die selbstgerechte, selbstzufriedene und leicht überhebliche Antirassismus- Beschaulichkeit"



    was soll das sein? Ausgangspunkt des Antirassismus und der entsprechenden Linken ist die Selbstkritik.

    Vielleicht wünscht sich Frau Wiedemann ja die prochinesischen K-Gruppen zurück? Absurd!

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    " Unter der Hand ist eine neue Westborniertheit entstanden, dessen sich die Beteiligten selbst kaum bewusst sind: etwa wenn ein Buch mit dem Titel „Schwarzer Feminismus“ nur afroamerikanische Stimmen enthält und keine einzige aus dem Globalen Süden."

    Im Superheldenfilm Black Panther ist ein Afrika-Klischee ans andere geschnitten und trotzdem wurde er abgefeiert. Die SchauspielerInnen war alle (oder fast alle) Schwarze US-AmerikanerInnen und dass sie die rassistischen Afrika-Klischees, die sie da reproduziert haben, gar nicht wahrgenommen haben, ist die einzige Erklärung, die mir einfällt.



    Zurück zu China:



    "Schließlich war China Europa zu Beginn des 15. Jahrhunderts in vieler Hinsicht überlegen, auch in der Hochsee-Schifffahrt, und unternahm spektakuläre Expeditionen. Der Verzicht auf überseeische Eroberungen überließ den europäischen Mächten dann den Raum für Expansion, Unterwerfung, Missionierung."



    Die chinesische Oberschicht konnte gar nicht genug Silber für aufwendigen Schmuck bekommen. Dass sie ihren Untertanen erfolgreich enorme Reichtümer abpressen konnen, bildete die Voraussetzung für den Silberhandel und waren lange Zeit das Rückgrat des Kolonialismus. Das südamerikanische Silber wurde in China von den europäischen Eroberern verkauft und dafür Waren gekauft, die sich dann weiter verkaufen ließen, u.a. gegen Sklaven. Wenn es keinen außereuropäischen Absatzmarkt für das Silber gegeben hätte, wäre der Silberpreis in Europa einfach nur rapide gefallen und zahlreiche Bergarbeiter und ihre Familien wären verarmt.



    "Nachdem die hochfahrende Annahme, was bei uns geschehe, sei von universeller Bedeutung, eben erst des Saales verwiesen wurde, tritt sie mit einem antirassistischen Hütchen durch die Hintertür wieder herein."



    Wenn der Westen die Werte, die er sich ins liberalistische Hausaufgabenheft geschrieben hat, auch leben würde, dann wäre universalistische Anspruch nicht das Problem. Die Dekonstruktion zB ist univerales Denken für jede Kultur mit Wahrheitskonzept.

  • 2G
    23673 (Profil gelöscht)

    "Nachdem die hochfahrende Annahme, was bei uns geschehe, sei von universeller Bedeutung, eben erst des Saales verwiesen wurde, [...]"

    Nanu? Wann soll denn das gewesen sein? Die Annahme ist doch quasi omnipräsent wenn es z.B um Menschenrechte, Umweltschutz, Pazifismus oder Genderfragen geht. Da ist Rassismus bei weitem keine Ausnahme.

    Sei's drum Der äußerst nötige Hinweis auf mangelnde Weitsicht, die diese Annahme zwingend mit sich bringt, kommt in der Regel schlecht an. Der Kolumnentitel "Schlagloch" scheint hier sehr passend.

  • Vielleicht verstehe ich diesen Artikel nicht. Da haben wir mit China eine eindeutig imperialistische Macht mit einer ebenso eindeutig rassistischen Kultur, und jetzt sollen die braven antirassistischen Linken hierzulande von ihrem Westzentrismus abrücken? Um was zu erreichen? Die Ausweitung der Kampfzone? Oder die Erweiterung der Verlogenheit? Oder läuft es hier auf "andere Länder, andere Sitten" hinaus? Die hierzulande immer etwss selbstgerechte, selbstzufriedene und leicht überhebliche Antirassismus- Beschaulichkeit wird jedenfalls nicht mit "Wissen über China" geheilt. Sie wird ja auch nicht mit Wissen über die USA geheilt. Anti- Amerikanismus aus antirassistischen Motiven hilft am Ende ebenso wenig wie das Wegsehen im Hinblick auf China, nur um sich nicht dem Verdacht der nicht wissenden Besserwisserei auszusetzen.

  • Danke für den wichtigen Artikel.



    So logisch und funktional jeder (Ethno-)Zentrismus seit eh und je gerne und von unserer unbewussten Ignoranz begleitet daher kommt: Es wird Zeit, sich mehr und nicht nur folkloristisch auch außerhalb von Yoga und Reisgerichten für den fernen Osten zu interessieren.



    Auch in den Medien.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "" Doch die aggressive US-Politik wendet sich längst gegen......................................""



    ==



    China hat unlängst Taiwan mit Krieg gedroht, mit Kampfflugzeugen in grenzverletzender Tuchfühlung Reaktionen im Westen und in Taiwan ausgetestet. China hat Waffen an den Massenmörder in Syrien geliefert hat und steht mit einem 25 Jahre Vertrag hinter dem imperialen Iran, der in Syrien mit einem Heer von Milizen und mit über 150.000 stationierten Milizen im Irak gerade die schiitische Achse Bagdad -Damascus - Beirut fertig bastelt.

    Biden dagegen ist mit innenpolitischem Reparaturbetrieb beschäftigt, hält gerade eine innenpolitische Klimakonferenz an der auch Merkel & Yi Yinping teilnehmen und hat im März die Diskussionen in der Quad - Gruppe intensiviert. (USA, Indien, Japan & Australien). Quad soll China ein wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Gegengewicht entgegen stellen - allerdings ohne offensiv werden zu wollen.

    Wenn nun die USA, bis September mit dem Abzug der Militärs aus Afghanistan beschäftigt, von Charlotte Wiedemann als agressiv eingeschätzt werden - wie lautet dann das Urteil gegenüber China?

  • Es fehlt vor allem die Erkenntnis, dass die chinesische Gesellschaft ungefähr so rassistisch ist, wie die westlichen es vor 50 Jahren waren.