Antikriegsfilm vom Giacomo Abbruzzese: Kämpfer wider Willen

Abbruzzese verwebt Schicksale eines geflohenen Belarussen und eines nigerianischen Guerilla-Kämpfers. „Disco Boys“ läuft im Wettbewerb.

Franz Rogowski in dem Film "Disco Boy" von Giacomo Abbruzzese

Franz Rogowski in „Disco Boy“ von Giacomo Abbruzzese Foto: Films Grand Huit

Körper liegen über Körpern. Kaum zu erkennen, wo der eine endet und der andere anfängt. Die zwischen, über und unter ihnen verteilten Maschinenpistolen weisen sie als kämpfende Körper aus. Nur das Fehlen von Schusswunden lässt sie eher als Schlafende lesen denn als Tote.

Es ist eine einfache erscheinende, tatsächlich aber tief blicken lassende Sequenz, mit der „Disco Boy“ eröffnet. Denn im Drama des italienischen Filmemachers Giacomo Abbruzzese scheint grundsätzlich alles mit allem verbunden zu sein.

Vor allem das Leid jener, die am Rande der Mehrheitsgesellschaft stehen und für sie gesichtslos, damit austauschbar bleiben. Der Belarusse Aleksei (Franz Rogowski) ist einer von ihnen. In einem Fanbus, in dem es vor rot-weißen Farben wimmelt, sitzt er mit einem Freund auf dem Weg zu einem Fußballspiel in Polen. Tatsächlich wollen sie von dort, zunächst über die Oder, illegal nach Frankreich gelangen.

Der Fluss ist ein wiederkehrendes Motiv in „Disco Boys“. Neben Oder und Seine ist der Niger zu sehen. Er wird zu einem metaphorisch aufgeladenen, an den griechischen Styx erinnernden Schauplatz. Dann nämlich, wenn der Film zum Ort des Auftakts zurückkehrt und Jomo (Morr ­Ndiaye) als zweite zentrale Figur in den Blick nimmt. Auch er trägt rot-weiße Farben im Gesicht, als Teil der „Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas“, die sich gewaltsam gegen die Zerstörung von Lebensgrundlagen durch globale Ölkonzerne zur Wehr setzt.

20. 2., 19.00, Verti Music Hall + 21.00, UCI Luxe Gropius Passagen

22. 2., 10.00, Verti Music Hall + 12.30, Zoopalast

26. 2., 19.30, Verti Music Hall

Künstlerische Finesse

Von den mal düster wabernden, mal schrillen elektronischen Klängen des Techno-Musikers Vitalic begleitet, beginnt das Schicksal von Aleksei mit dem von Jomos zu verschwimmen – und „Disco Boys“ nimmt zusehends surrealistische Züge an. Aleksei, der sich der französischen Fremdenlegion angeschlossen hat, um nach fünfjährigem Dienst als Soldat einen Pass zu erhalten, soll von Jomos Rebellentruppe gekidnappte Franzosen zu befreien.

Bei der Inszenierung ihres Zusammentreffens läuft die Kamera von Hélène Louvar zu Höchstformen auf, Wärmebildaufnahmen wechseln sich mit Close-ups geängstigter Gesichter ab.

Mit Alekseis Rückkehr nach Paris verschreibt sich der Film dann endgültig dem magischen Realismus. Betörend traumartige, beinahe halluzinatorische Bildwelten erzählen bei aller künstlerischer Finesse überaus klar von den tragischen Folgen der Gewalt.

Dank des klugen Perspektivwechsels ist „Disco Boys“ letztlich auch ein kraftvoller Antikriegsfilm. Kaum zu glauben, dass es sich um ein Langfilmdebüt handelt.

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