Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Unterfinanziert und abhängig
Die ADS bietet seit Herbst 2020 keine Telefonberatung mehr an, es gebe zu viele Anfragen. Das zeigt, wie groß der Nachholbedarf beim Thema ist.
Seit mehreren Jahren steigt die Zahl der Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) stetig an. Besonders oft melden sich Menschen, die wegen einer Behinderung oder aufgrund von Rassismus Diskriminierung erfahren. Im Jahr 2020 verdoppelten sich die Anfragen schließlich fast. Doch seit Oktober können Betroffene die telefonische Beratung der Behörde nicht mehr erreichen.
Die Nummer ist auf der Website nicht mehr zu finden. Für die damals 27 Angestellten der Behörde seien die vielen Anfragen nicht zu stemmen gewesen: „Das war für uns ein schmerzlicher, aber notwendiger Schritt“, sagt Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Stelle. Ziel sei es gewesen, weiterhin eine „qualitativ hochwertige Beratung“ für Betroffene anbieten, nur eben per Mail und Online-Portal.
Nach dem Aussetzen der Telefonberatung ist die Anzahl der eingehenden Beratungsanfragen bis Dezember 2020 stark zurückgegangen. Das wird aus den monatlichen Statistiken der Behörde ersichtlich. In der ADS erklärt man dazu, vor Weihnachten würden die Zahlen jedes Jahr sinken. Im Vorjahr ist dieser Rückgang allerdings sehr viel schwächer ausgefallen. Für 2021 gibt es noch keine Zahlen.
Dass die fehlende Erreichbarkeit per Telefon eine große Hürde darstellt, steht für viele Verbände außer Frage: „Je niedrigschwelliger, desto besser“, sagt Antje Welke, Juristin der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass sich viele Menschen eher ans Telefon setzen – auch die Lebenshilfe betreibt eine Beratungsstelle. Eine solche Telefonberatung sei aufwändig und teuer. Dass sie bei der Antidiskriminierungsstelle seit fast einem Jahr ausgesetzt ist, zeige „den Stellenwert, den diese Behörde offensichtlich hat. Und wahrscheinlich auch ihr Budget.“
Überlastung nicht unerwartet
Auf die Frage, warum der Telefonberatungsstopp schon so lange anhält, heißt es aus dem zuständigen Bundesfamilienministerium, die nötigen Mittel hätte man nur zum neuen Haushaltsjahr beantragen können. Allerdings kommt die Überlastung der Stelle nicht unerwartet: Franke hatte bereits vor einem Jahr gegenüber der taz gewarnt, die Behörde sei „am Limit“.
Mittlerweile hat die ADS sieben neue Planstellen und mehr finanzielle Mittel bewilligt bekommen. Im Mai dieses Jahres kündigte die Stelle deshalb an, ab Juli voraussichtlich wieder eine Telefonberatung anbieten zu können. Dazu kam es aber nicht. Stattdessen soll jetzt ab dem 28. September eine neue Hotline bereitstehen – ansässig nicht mehr in der Antidiskriminierungsstelle, sondern beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, teilt das Bundesfamilienministerium mit. Passende Fälle würden dann aber an die ADS weitergeleitet.
Echte Beratung in Vereinen
„Man darf diese Hotline nicht mit einer umfassenden Antidiskriminierungsberatung gleichsetzen“, warnt Saraya Gomis, Vorstandsmitglied des antirassistischen Vereins Each One Teach One (Eoto). Die echte Beratung finde immer noch in Vereinen wie Eoto statt. Auch bei der neuen Hotline würden Betroffene aus Kapazitätsgründen meist nur an private Beratungsstellen weiterverwiesen werden, schätzt sie. Es wäre stattdessen sinnvoller gewesen, so Gomis, ebendiesen Beratungsorganisationen mit einer zentralen Rechtsberatung unter die Arme zu greifen. Dass die Hotline nun an einer zusätzlichen Behörde angesiedelt ist, könnte bei Betroffenen zudem für Verwirrung sorgen. Es sei ein gutes Beispiel dafür, wie die Antidiskriminierungsstelle „entgegen aller Expertise klein gehalten wird“.
Mit dieser Kritik ist Gomis nicht allein. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) schreibt in ihrem Bericht von 2020, die Antidiskriminierungsstelle sei „erheblich unterfinanziert“, „nicht vollständig unabhängig“ und es fehlten ihr „grundlegende Kompetenzen zur Unterstützung von Opfern und der Durchsetzung ihrer Rechte“. Die ECRI wurde 1993 als unabhängiges Prüfinstrument vom Europarat eingeführt.
Maßnahmen nicht überprüfbar
Als die Bundesregierung im vergangenen Jahr einen Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus ins Leben rief, gab es von Verbandsseite und auch in der Behörde selbst große Hoffnungen, die Antidiskriminierungsstelle würde nun endlich aus ihrem Nischendasein gehoben werden. Schnell kam aber der erste Dämpfer: Die ADS, zentrale staatliche Wissensquelle zum Thema Rassismus, wurde nicht dauerhaft an den Gesprächen beteiligt.
Im abschließenden Maßnahmenpaket des Kabinettsausschusses wird die Stelle schließlich nicht einmal erwähnt. Die beschlossenen Maßnahmen scheinen darüber hinaus wenig zusammenhängend: Meistens geht es um einzelne zivilgesellschaftliche Projekte, die weiterhin oder ab jetzt stärker gefördert werden sollen. Gomis klagt diese Projektlogik an: Es sei keine Strategie erkennbar und die Maßnahmen „mangels transparenter Indikatoren“ nicht überprüfbar. „Das ist wirklich mehr als ermüdend, denn die Expertise wäre ja da in Deutschland“, sagt sie.
Viele Betroffene zögern
Ein größeres Vorhaben zur Diskriminierungsbekämpfung lässt sich im Abschlussbericht des Ausschusses aber finden: Die Bundesregierung hat sich auf die Verlängerung der Klagefristen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von zwei auf sechs Monate geeinigt. Schon lange wird so eine Fristverlängerung gefordert. Unter anderem in einer wissenschaftlichen Evaluation des Gesetzes, die von der Antidiskriminierungsstelle bereits 2016 in Auftrag gegeben wurde.
Die bisherige Frist sei „untypisch kurz gefasst“, heißt es hier. Antje Welke von der Lebenshilfe erklärt, warum das Probleme schaffe: Viele Betroffenen würden schließlich zuerst versuchen, „selbst damit klarzukommen“, und sich erst später an entsprechende Stellen wenden. Doch auch die Fristverlängerung scheiterte schließlich, denn die Unionsfraktion im Bundestag lehnt das Vorhaben ab. Das Bundesjustizministerium bringt den Formulierungsvorschlag für die entsprechende Gesetzesänderung deshalb nicht ins Parlament ein. Der Entwurf liegt der taz vor.
Leitung der Stelle unbesetzt
Das Papier, das auch von den unionsgeführten Ministerien gebilligt wurde, enthält im Begründungsteil eine kurze Bestandsanalyse zur Situation der Betroffenen in Deutschland: „Sie scheuen sich davor, die Benachteiligung geltend und damit oft auch öffentlich zu machen. Beratungsangebote sind Betroffenen häufig unbekannt.“ Ein Grund für die Unbekanntheit der Antidiskriminierungsstelle: Momentan ist die Leitung der Stelle unbesetzt. In der Vergangenheit hatten sich Leiter*innen aber oft öffentlichkeitswirksam für Betroffene eingesetzt.
Seit 2018 ist die Position vakant. Zuständig für die Besetzung ist das Bundesfamilienministerium, dem die ADS bei Haushalts- und Personalfragen untersteht. Das sozialdemokratisch geführte Ministerium hatte damals die ehemalige SPD-Geschäftsführerin Nancy Böhning an die Spitze setzen wollen. Dagegen klagten zwei Mitbewerberinnen – mit Erfolg: Die Auswahl sei „nicht in der gebotenen Weise ergebnisoffen“ geführt worden, so das Berliner Verwaltungsgericht. Auch das Oberverwaltungsgericht in Münster kommt zu diesem Schluss. Doch die zwei vorliegenden Gerichtsurteile widersprechen sich darin, wie die Leitung in Zukunft ausgewählt werden soll. Seitdem ist die rechtliche Situation unklar und die Stelle nur kommissarisch besetzt.
Schwierige Ausgangslage
Eine der größten Hoffnungen an den Kabinettsausschuss dürfte es deshalb gewesen sein, die Frage nach der Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle zu klären. Selbst der offizielle Beirat der Behörde fordert mittlerweile, die ADS aus der Zuständigkeit des Familienministeriums und beispielsweise zu einer obersten Bundesbehörde zu erheben. Aus dem Bundesfamilienministerium hieß es dazu bereits vor einem Jahr: „Wir haben hier einen regierungsinternen Austausch angeregt.“ Der sei aber auch zu keinem Ergebnis gekommen, teilt das Ministerium auf erneute Anfrage mit. Es lasse sich auch hier keine Lösung zwischen sozialdemokratischen und unionsgeführten Ministerien finden.
Wie sich die deutsche Antidiskriminierungspolitik weiterentwickelt, wird also auch davon abhängen, welche Koalition nach der kommenden Bundestagswahl das Ruder übernimmt. Wer auch immer regieren wird, steht dann allerdings vor einer überaus komplexen Ausgangslage. Eine Neubesetzung der ADS-Leitung bleibt nach der Wahl schwierig. Abhilfe würde wohl nur eine Reform der Behörde schaffen.
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