Anti-TTIP-Demo am Samstag: Neuer Chaostag in Hannover
Bei der Hannover-Messe will US-Präsident Obama für TTIP werben – und mobilisiert Widerstand: Tausende wollen am Samstag zur Gegendemo.
Das Abkommen zwischen der EU und den USA sei „eine Gefahr für unsere Demokratie“, für Sozial- und Umweltstandards, heißt es in ihrem Aufruf „für einen gerechten Welthandel“.
Denn der Widerstand gegen TTIP macht sich längst nicht mehr am beinahe sprichwörtlichen Chlorhühnchen fest – das zur Abtötung auch des allerletzten Keims durch eine Chemiebrühe gezogene Schlachttier war von Anfang an nur ein Symbol.
Immer mehr Menschen sorgt die Intransparenz, mit der in Brüssel und Washington über das Abkommen, das den Status eines völkerrechtlichen Vertrags haben soll, verhandelt wird: Selbst Regierungsvertreter und Parlamentarier bekommen bis heute nur eingeschränkt und unter Hinweis auf strikte Geheimhaltung Einblick in konkrete Textpassagen.
Mag TTIP von Befürwortern auch als wirtschaftsfördernder Abbau von Handelshemmnissen beworben werden – Kritiker befürchten das genaue Gegenteil: „Schon die Einführung zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat zu Millionen Arbeitslosen in Nord- und Mittelamerika geführt“, warnt etwa der Geschäftsführer der DGB-Region Niedersachsen-Mitte, Reiner Eifler, gegenüber der taz. TTIP sorge eben nicht für eine qualitativ hochwertige, umweltfreundliche Produktion mit hohen Sozialstandards. Entscheidend sei künftig vor allem der Preis.
„Fracking, Genfood und giftige Kosmetik“
Werde TTIP dann einmal Wirklichkeit, dürften finanzstarke Konzerne mit dem Argument gleicher Handelsbedingungen selbst Regierungen vor privaten Schiedsgerichten verklagen, meinen Kritiker wie Eifler: Grenzwerte, etwa für Gifte in Textilien, könnten auf diesem Weg ebenso geschleift werden wie die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel – anderenfalls drohe Schadenersatz aus Steuergeldern, schlimmstenfalls in Milliardenhöhe. Das Abkommen stehe für „Fracking, Genfood und giftige Kosmetik“, trommeln TTIP-Gegner deshalb.
Am Sonntag, 24.4., eröffnen US-Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel die Hannover-Messe. Sie sprechen auch über das umstrittenen Handelsabkommen TTIP, das die EU und die USA in diesem Sommer unter Dach und Fach bringen wollen. Kritiker fürchten, dass mit TTIP Konzerne mehr Macht bekommen und wichtige Verbraucher- und Umweltstandards sinken werden. Am Samstag wollen Zehntausende in Hannover protestieren. Die taz begleitet die Besuche mit einem TTIP-Special am Freitag.
Sichtbar werden soll ihr Protest unmittelbar vor der Hannover-Messe: „Partnerland“ der weltgrößten Industrieschau sind in diesem Jahr wohl nicht zufällig die USA. Nach Gesprächen im Schloss Herrenhausen wird US-Präsident Barack Obama die Veranstaltung zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der feudal in „Hannover Congress Centrum“ (HCC) umgetauften Stadthalle eröffnen.
Für Montag ist ein Messerundgang geplant. Beide werden dabei massiv für TTIP werben: Teil der mehr als 600-köpfigen Entourage Obamas ist nicht nur seine Handelsministerin Penny Sue Pritzker. Zusammen mit der Air Force One werden auch die US-Ressortchefs für Verkehr, Anthony Foxx, und Energie, Ernest Moniz, auf dem Flughafen Langenhagen im Norden der Landeshauptstadt landen.
Erwartet werden auch mehrere EU-KommissarInnen, darunter die in Brüssel für Handel zuständige Cecilia Malmström. Schon Anfang April versuchte die liberale Schwedin, die TTIP-Gegner zu demotivieren: „Macht euch nichts vor. Irgendjemand wird die Regeln für die Globalisierung schreiben“, verkündete sie per Nachrichtenagentur.
Angela Merkel wiederum hat ihren Vizekanzler und Wirtschaftsminister, den SPD-Chef Sigmar Gabriel, im Schlepptau. Zusammen mit Handelsministerin Pritzker wird auch der Sozialdemokrat Werbung für das „Freihandelsabkommen“ machen: „TTIP – große Chancen für kleine Unternehmen“ lautet der Titel einer Diskussion mit diesen beiden am Montag.
Der Untergrund ist zugeschweißt
Von einem Staatsbesuch in Großbritannien kommend, wird Barack Obama bei einer seiner letzten Europareisen als Präsident zuvor große Teile Hannovers in eine Hochsicherheitszone verwandeln: Schon heute sind im Zooviertel rund um das HCC 2.000 Gullydeckel zugeschweißt. Anwohner müssen Autos und Fahrräder verschwinden lassen, eventuellen Besuch vorsorglich anmelden. Nicht einmal aus ihren Wohnungen zuwinken dürfen sie dem Präsidenten: Aus Angst vor einem Anschlag könne das einen Besuch von Sicherheitskräften nach sich ziehen, warnen die Behörden.
„Völlig überzogen“ sei das, finden nicht nur um ihren Umsatz bangende Geschäftsleute. Die TTIP-Gegner hoffen dagegen auf einen Mobilisierungsschub: „Unser Traum“, sagt der einstige Bundestagsabgeordnete und Demo-Mitorganisator Uwe Hiksch mit Blick auf den fünf Kilometer langen Protestmarsch rund um Hannovers Innenstadt, „dass die Ersten schon wieder auf dem Opernplatz ankommen, wenn die Letzten noch gar nicht losgelaufen sind.“
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