Anti-G-20-Protest in Hamburg: Krieg der Kochtöpfe
Bei den Camps geht es ans Eingemachte: Entweder die Polizei versucht sie zu verhindern oder es gibt absurde Auflagen.
Gegenüber dem Camp-Anwalt Martin Klingner erklärte die Einsatzleitung vor Ort, dass der G-20-Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde für diese Stelle das Campen verboten habe. Damit widersetzt sich Dudde erneut einem Gerichtsbeschluss, nachdem zuvor das Bundesverfassungsgericht das Camp als Dauerkundgebung im Hamburger Stadtpark im Grundsatz genehmigt hatte.
„Schlimmer geht es nicht mehr – das ist ein Putsch der Polizei gegen die Justiz“, schimpfte Anwalt Klingner vor den Versammelten am Eingang der Entenwerder Halbinsel. Diese meldeten wenig später eine spontane Dauerkundgebung auf der Straße an und begannen, dort Veranstaltungszelte aufzubauen. Auf einem Lautsprecherwagen prangte ein Transparent: „Protest lässt sich nicht verbieten und nicht aufhalten“. Es kam zu ein paar kleineren Rangeleien, aber im Großen und Ganzen blieb es entspannt.
Das antikapitalistische Camp, das ursprünglich im Stadtpark aufgeschlagen werden sollte, hatte den Ausweichplatz an der Elbe selbst ins Spiel gebracht, weil das Areal außerhalb der 38 Quadratkilometer großen Demonstrationsverbotszone liegt.
Am frühen Nachmittag machte die Versammlungsbehörde den Vorschlag, auf einem Viertel der Fläche Versammlungszelte zuzulassen, jedoch keine Zelte für Infrastruktur wie zum Kochen oder zum Übernachten. „Das ist völlig inakzeptabel“, sagte ein Camp-Sprecher zur taz. Anwalt Klingner reichte noch am Nachmittag erneut einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Hamburg ein, das Camp unter den von den Gerichten formulierten Bedingungen zuzulassen.
Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.
Im Laufe des Nachmittags bekam die Kundgebung weiteren Zulauf. Auch eine für den Abend angesetzte Vollversammlung von G-20-GegnerInnen im autonomen Stadtzentrum Rote Flora sollte nach Entenwerder verlegt werden.
In Lurup wiederum hatten die Organisatoren eines zweiten Camps mit dem Aufbau bereits am Samstag begonnen. Am Sonntag standen dann schon ein großes Zirkuszelt, in dem Konzerte stattfinden und die Protestler schlafen können, sowie ein Sanitätszelt. Ansonsten war die Wiese am Rande des Altonaer Volksparks noch recht leer.
Essen wird zum Politikum
Bis zu 5.000 Menschen sollen hier Platz finden – die ersten Auswärtigen wollten am Sonntag anreisen. Mit einer zweiten großen Welle rechne man für Dienstag, sagte ein Aktivist, der Karlsson genannt werden will. „Wie viele letztendlich hier schlafen, hängt aber auch vom anderen Camp ab.“ Wenn es in Rothenburgsort schlecht laufe, würden wohl mehr Leute nach Lurup kommen. „Wir wollen den Anreisenden hier einen sicheren Raum bieten“, sagte Karlsson, der selbst in einem Wohnwagen unweit vom Camps schläft.
Ein Aktivist in Lurup
„Später gibt es Fleisch“, rief am Sonntag ein junger Mann im Vorbeigehen einer Gruppe zu. Auch hier ist das Essen zum Politikum geworden: „Gestern haben die Polizisten in unseren Kaffeetopf geschaut“, berichtete ein Aktivist und lacht. Denn kochen dürfe hier nur jeder für sich, so wolle es die Polizei. Die gemeinsame Zubereitung sei verboten.
Dass das Camp in Lurup überhaupt stattfinden darf, ist mit einer ganzen Reihe weiterer Auflagen verbunden: So dürfen die Protestler zwar theoretisch auf dem Platz übernachten – aber nur mit Schlafsäcken und Isomatten. Feldbetten und Zelte hingegen sind explizit verboten. Die ständigen Kontrollen der Polizisten bezeichnete einer der Kamper als reine Schikane: „Die lassen doch bloß ihre Muskeln spielen.“
Picknick statt Versammlung
Die Frage, wer in Hamburg eigentlich über welche Flächen bestimmen darf, stellten am Sonntag auch einige Anwohner auf St. Pauli. Im Park beim Grünen Jäger kam die Nachbarschaft zum Picknick zusammen samt Kaffee und Kuchen. Das klingt harmlos, hat aber Brisanz: Der Ort befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den Messehallen, in denen ab Freitag der G-20-Gipfel stattfindet.
„Das ist unser Viertel, und wir wollen uns hier aufhalten“, sagte eine Anwohnerin. „Inzwischen wird jede Miniversammlung von der Polizei verboten. Aber ein Picknick sollte ja wohl drin sein.“
Es gibt noch einen weiteren Anlass für das Picknick, erklärte Niels Boeing von der Initiative „Wohl oder Übel“: „Wir wollen den Park in Arrivati-Park umbenennen“. Arrivati ist ein Kollektiv von Leuten, die nach Deutschland gekommen sind und nicht länger nur als Flüchtlinge angesehen werden wollen. „Flucht und Migration sind ein Riesenthema“, sagte Boeing. „Aber bei G 20 werden sie nur als Sicherheitsproblem diskutiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“