Anschlagsserie von Waldkraiburg: Der verwirrte Islamist
In München steht der Attentäter von Waldkraiburg vor Gericht. Muharrem D. ist geständig, aber – so sagen seine Anwälte – psychisch krank.
![](https://taz.de/picture/4714277/14/islamist-mord-prozess-1.jpeg)
Doch dass der ganz große Terroranschlag mit vielen Toten ausgeblieben ist, war vielleicht doch nur eine Glückssache. Nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass der Attentäter Muharrem D. am 8. Mai 2020 auf der Bahnfahrt von Garching an der Alz nach Waldkraiburg kein Ticket hatte.
Seit Dienstag steht Muharrem D. in München wegen der Anschlagsserie von Waldkraiburg vor Gericht. 31-fachen versuchten Mord, vierfache gefährliche Körperverletzung und die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wirft ihm die Generalbundesanwaltschaft vor, die die Ermittlungen schon gleich nach den ersten Anschlägen übernommen hatte. Die weiteren Straftaten, die von Verstößen gegen das Waffengesetz bis zur Brandstiftung reichen, fallen da kaum noch ins Gewicht.
Es ist ein zierlicher Mann im schwarzen Anzug mit sehr kurzen schwarzen Haaren, der da in der ersten Reihe Platz nimmt. Er trägt Brille und Dreitagebart. Erst nachdem Fotografen und Fernsehleute ihre Kameras schon eine Weile auf ihn gehalten haben, lässt sich der Angeklagte von seinem Verteidiger einen Block reichen, den er sich vors Gesicht hält.
Zehn Rohrbomben in den Taschen
Es war im April und Mai des letzten Jahres, als die Anschlagsserie das beschauliche oberbayerische Städtchen Waldkraiburg erschütterte. Bei einem Friseurladen, einem Pizza-Lieferservice und einem Kebaphaus wurden die Fenster eingeschlagen, außerdem wurde eine übelriechende buttersäurehaltige Flüssigkeit in die Geschäfte gespritzt. Und eines Nachts brannte der Gemüseladen am zentralen Sartrouville-Platz. Nur weil ein paar der Bewohner im Haus darüber noch wach waren und sofort Alarm schlugen, konnte das Schlimmste verhindert werden.
Die Inhaber der Geschäfte waren türkischstämmig; der Gedanke, man habe es mit rechtsextremistischen Tätern zu tun, drängte sich auf. Doch dann kontrollierte die von einer Schaffnerin gerufene Polizei am Bahnhof von Mühldorf am Inn Muharrem D., der ohne Fahrschein Zug gefahren war. Als er sein Gepäck nicht mitnehmen wollte, wurde auch dieses überprüft. In den Taschen befanden sich zehn Rohrbomben und explosives Material. Bei der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung und seines Autos wurden weitere 13 Rohrbomben und mehrere Kilogramm sprengfähiges Material sichergestellt.
D. erzählte der Polizei schnell, dass die Anschläge von Waldkraiburg auf sein Konto gehen. Aber er habe auch Bombenattentate geplant – auf Ditib-Moscheen in der Umgebung von Waldkraiburg, das türkische Generalkonsulat in München und die Zentralmoschee in Köln. Als Motiv nannte er Sympathie für den Islamischen Staat und Hass auf Türken. Der Polizei war D. bis dahin lediglich wegen Drogendelikten bekannt. Er war regelmäßiger Marihuana-Konsument.
Muharrem D. gibt sich in der Gerichtsverhandlung reuig, geständig und – wirr. Und das ist es auch, worauf die Verteidigung abzielen wird, wie D.s Anwalt zuvor bereits angekündigt hat: verminderte Schuldfähigkeit aufgrund einer psychischen Erkrankung. „Zunächst einmal weiß ich, dass ich selber schuld bin“, setzt der Angeklagte zu Beginn seiner Einlassung an und erzählt dann, wie er sich „unbewusst radikalisiert“ habe.
Er schaute IS-Videos
Von Videos des IS, die ihn schon mit 16 oder 17 Jahren in Bann gezogen hätten, berichtet er, er habe dann nur noch einen Tunnelblick gehabt. Die Vokabel „Tunnelblick“ wird er noch mehrfach wiederholen. Dieser habe dann auch dazu geführt, dass er das Interesse für alles andere verloren habe, auch seine Freunde, seine Familie, die Begeisterung für den Fußball.
Wirklich schlüssig jedoch vermag er seine Radikalisierung nicht zu schildern. D. ist in einem nicht sonderlich religiösen Elternhaus aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus der Türkei, er selbst kam in Altötting zur Welt und verlebte eine offenbar recht gewöhnliche Kindheit und Schulzeit, hatte Freunde, auch Beziehungen. Und irgendwann habe er eben begonnen, Videos vom Islamischen Staat und islamistischen Predigern anzuschauen.
Was der Auslöser war, wie er auf den IS kam – darauf gibt es keine Erklärung. „Ich hab’ die ganze Zeit diese Videos angeschaut“, sagt er nur. Und: „Es ging halt immer um die Türken in diesen Videos, weil die so grauenvoll sind.“ Immer wieder bohrt der Vorsitzende Richter Jochen Bösl nach – vergeblich.
Während D. spricht, hat er den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt; die Hände hält er unter dem Tisch. Bösl konfrontiert D. mehrfach mit früheren Aussagen, die sich gegenseitig oder mit den heutigen Einlassungen widersprechen. So behauptet D. in der Gerichtsverhandlung, er habe sich stellen wollen und deshalb absichtlich keinen Fahrschein gelöst, um eine Festnahme zu provozieren.
„Ich brauch' Hilfe“
Am Tag nach der Festnahme jedoch soll er im Polizeirevier gesagt haben: „So sitze ich hier und plane nebenher Weiteres.“ In solchen Fällen erwidert D. dann, er wisse auch nicht, ob oder warum er das gesagt habe. Oder er gibt freimütig zu, etwas frei erfunden zu haben. „Da war ich nicht bei mir.“ Er habe so viele falsche Sachen gesagt. „Sind Sie denn jetzt bei sich?“ fragt Bösl einmal. „Nicht ganz“, lautet die Antwort, „ich brauch' Hilfe.“
Auch die heutigen Aussagen widersprechen sich immer wieder. Er habe bei seinen Taten keine Menschen verletzen wollen, es nur auf die Gebäude abgesehen, sagt er einmal. Etwas später auf die Frage, warum er sich eine Pistole zugelegt habe, erklärt er, er habe damit Imame erschießen wollen. Warum er es eigentlich auf die Ditib-Moscheen abgesehen habe, will der Richter einmal wissen. „Weil es im Islam so steht, dass diese Moscheen gegen den Islam sind eigentlich“, sagt D.
Jedenfalls habe er mit all dem nichts mehr zu tun, im Gefängnis habe er einen klaren Kopf bekommen. Er erhalte Medikamente, und ihm sei „klar geworden, dass die Welt einfach bunt ist“. Er sei froh „darüber, dass ich das hier verbüßen darf“. Und für die Zeit nach dem Gefängnis hat D. auch schon Pläne: „Ich werde einfach das Muttersöhnchen sein und bei meiner Familie bleiben.“
Für den Prozess hat das Gericht zunächst 45 Verhandlungstage angesetzt.
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