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Anschlag in AfghanistanTaliban-Minister in Kabul getötet

Khalil Haqqani war eine zentrale Figur des Regimes. Die Taliban zeigen auf den IS, doch der Anschlag könnte eine Warnung aus den eigenen Reihen sein.

Wurde bei einem Bombenattentat getötet: der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung der Taliban, Haji Khalil ur Rahman Haqqani Foto: Ebrahim Noroozi/ap

Berlin taz | Bei einem Bombenanschlag in Kabul ist mit Flüchtlings- und Rückkehrminister Khalil ur-Rahman Haqqani eine zentrale Figur des Taliban-Regimes getötet worden. Augenzeugen zufolge verließ er nach dem Mittagsgebet die Moschee auf dem Gelände seines Ministeriums, als ein Selbstmordattentäter auf ihn zurannte und sich in die Luft sprengte. Er tötete Haqqani zusammen mit drei seiner Leibwächter. Vier weitere Personen sollen verletzt worden sein.

Bisher übernahm niemand die Verantwortung für den Anschlag. Eine der bewaffneten Anti-Taliban-Gruppen distanzierte sich sogar davon. Daud Nadschi, Chef des politischen Flügels der Freiheitsfront Afghanistans, erklärte laut einem exilafghanischen Medium, seine Organisation führe keine Mordanschläge auf Gegner durch.

Das Taliban-Innenministerium bestätigte den Anschlag inzwischen. Es schrieb die Verantwortung sogenannten „Chawaridsch“ zu. „Chawaridsch“ kann übersetzt werden mit „die den Islam verlassen“. Die Taliban verwenden diesen Begriff für ihren einheimischen Hauptfeind, den lokalen Arm des weltweit agierenden Islamischen Staates, den ISKP.

Haqqani ist das bisher höchstrangige Regimemitglied, das seit der Machtübernahme im August 2021 von Gegnern getötet wurde. Zuvor tötete im März 2023 ein Selbstmordattentäter einen Provinzgouverneur in seinem Büro.

Mudschahedin-Führer gegen die Linke

Im Dezember 2022 fiel ein Provinzpolizeichef in seinem Auto einer Sprengfalle zum Opfer. Beide Anschläge ereigneten sich in Nordafghanistan, wo verschiedene Anti-Taliban-Gruppen aktiv sind. Für den ersten Anschlag hatte ISKP sich verantwortlich erklärt.

Haqqani stammt aus der gleichnamigen prominenten Familie von Mudschahedin-Führern, die seit Beginn der 1970er Jahre bewaffnet gegen die afghanische Linke und später gegen deren Regime sowie dessen sowjetische Unterstützer kämpften. 1966 in der Provinz Paktia im Südosten des Landes geboren, schloss Haqqani sich einer anti-sowjetischen Organisation an, die sein älterer Bruder Dschalaluddin Haqqani mitbegründet hatte.

Nach ihrem Anschluss an die Taliban-Bewegung Mitte der 1990er Jahre wurde sie als „Haqqani-Netzwerk“ bekannt. Das agierte innerhalb der Taliban weitgehend autonom, mit der Hauptstadt Kabul als einem Schwerpunkt.

Das US-Militär und die von ihm gestützte afghanische Regierung nach 2001 machten das Haqqani-Netzwerk für eine Reihe schwerer Anschläge verantwortlich. Die US-Regierung stuft das Haqqani-Netzwerk als „terroristische Organisation“ und Khalil Haqqani seit 2011 als „globalen Terroristen“ ein.

Immer mit M16 unterwegs

Unmittelbar nach der Taliban-Machtübernahme war Haqqani, der selbst bei offiziellen Terminen immer ein automatisches M16-Gewehr aus US-Produktion bei sich trug, zunächst für die Sicherheit Kabuls verantwortlich.

Im September wurde er im ersten Taliban-Kabinett Flüchtlingsminister, ein nicht sehr wichtiger Posten. Sein Neffe Seradschuddin Haqqani, jetziger Anführer des Familiennetzwerks, bekleidet als Innenminister aber eine der Machtpositionen im Regime. Wegen seiner wiederholten Kritik an den Bildungsverboten für Mädchen und Frauen gilt Seradschuddin Haqqani bei westlichen Regierungen inzwischen aber sogar als möglicher Gesprächspartner.

Sie hoffen, das Regime schrittweise von seiner menschen- und frauenrechtsfeindlichen Politik abbringen zu können. Afghanische Oppositionelle wie Nadschi sehen diesen internen Streit sogar als mögliches Motiv für den Anschlag, als mögliche Warnung an den mächtigen Neffen.

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