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Annalena Baerbock auf AntrittstourPraxistest in Polen

Annalena Baerbock beendet in Warschau ihre erste Reise als Außenministerin. Sie trifft Mitglieder von NGOs genauso wie den Amtskollegen Zbigniew Rau.

Schwungvolles Ankommen: Annalena Baerbock trifft in Warschau ein Foto: dpa

WARSCHAU taz | Annalena Baerbock lauscht am Freitagmittag einem Referat. Die neue Außenministerin hat in Warschau gerade ihren polnischem Amtskollegen zu einem Vier-Augen-Gespräch getroffen, jetzt steht sie bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihm im Foyer seines Amtssitz und hört zu. In zwanzig Minuten ist so was normalerweise durch, die Zeitpläne sind schließlich eng. Zbigniew Rau braucht nun aber schon für sein Eingangsstatement länger als eine Viertelstunde.

Es ist eine Einführung in Vergangenheit und Gegenwart der polnisch-deutschen Beziehungen, wozu man ja tatsächlich eine ganze Menge sagen kann. Es geht – und diese Aufzählung ist nicht abschließend – um militärische Abschreckung der Gegner Europas, den Zustand der EU, die Bedrohung der Polen durch Nord Stream 2, einen Besuch von Joschka Fischer vor 17 Jahren, den sowjetischen Überfall im Zweiten Weltkrieg, den deutschen Überfall im Zweiten Weltkrieg, den Raub polnischer Kulturgüter und die aus polnischer Sicht noch immer ausstehenden Reparationen.

„In diesem Zusammenhang sind immer noch viele Fragen ungeklärt“, sagt Rau. „Das ist ein Bereich, in dem wir von der Bundesregierung die Breitschaft zu einer konkreten Zusammenarbeit erwarten.“

Relevante Themen, keine Fra­ge. Und doch läuft Baerbock jetzt langsam die Zeit davon. Das Treffen war ohnehin schon mit Verspätung gestartet, und vor dem Abflug in zwei Stunden hat sie eigentlich noch andere Termine geplant.

Am dritten Tag im Amt ist das hier Baerbocks erster heikler Besuch. Am Donnerstag startete ihre Antrittsreise mit Stationen in Paris und Brüssel. Natürlich gab es auch dort in Fachfragen den ein oder anderen Konfliktpunkt, im Vergleich zu Warschau waren die Termine aber nur ein Warmlaufen. Im Verhältnis zu Polen stellt sich eher die Frage, in welchen Belangen es keinen gravierenden Dissens gibt. Eine lange Liste mit Kritikpunkten hat schließlich nicht nur Zbigniew Rau, sondern auch die deutsche Seite.

Kein „beredtes Schweigen“

Vor der Grenze zu Belarus sterben noch immer Menschen, keine 200 Kilometer von Warschau entfernt. Die polnische Regierung hält an ihrer Justizreform fest, mit der sie gegen alle EU-Grundsätze die Gerichte unter ihre Kontrolle gebracht hat. Vertreter der PiS-Partei begleiteten den Start der deutschen Ampelkoalition mit der Behauptung, diese wolle in Europa ein „Viertes Reich“ errichten. Auch das ist nur ein kurzer Auszug aus der Liste.

Somit ist Baerbocks Besuch in Warschau ihr erster Praxistest. Im taz-Interview hatte die Grünen-Chefin vergangene Woche angekündigt, als Außenministerin Konflikte nicht „schönreden oder totschweigen“ zu wollen. Anders als in den letzten Jahren habe „beredtes Schweigen“ in der deutschen Diplomatie keinen Platz mehr. Hält sie diese Ankündigung an diesem Freitag ein?

Mit ihrem Reiseprogramm hat Baerbock zumindest schon vorab ein kleines Zeichen gesetzt. Vier Stunden hat sie in Warschau Aufenthalt, dabei sind fünf Stationen geplant, darunter ein nicht-öffentliches Gespräch mit Organisationen, die sich für die Rechte der Flüchtlinge an Polens Ostgrenze einsetzen, und eines mit Marcin Wiącek, dem Ombudsmann für Bürgerrechte. Er hat eines der wenigen Staatsämter inne, die noch nicht unter der Kontrolle der PiS sind. Bei der Besetzung entscheiden beide Kammern des Parlaments, deshalb konnte die Opposition mitsprechen.

Im Amt angekommen

Das Wort in der Pressekonferenz hat nun Baerbock. Sie ist freundlich im Ton, unterstreicht die guten Beziehungen, lässt die klassischen diplomatischen Sätze fallen. Sie sagt aber auch: „Wir müssen sicherstellen angesichts der eisigen Temperaturen im Grenzgebiet, dass humanitäre Hilfe zur Verfügung steht und zwar auf beiden Seiten.“ Internationale Verpflichtungen gälten für alle. „Dafür müssen wir gemeinsam Verantwortung tragen.“

Klar, früher klang das bei ihr schärfer. In den vergangenen Jahren wählte Baerbock noch deutlichere Worte. Vor anderthalb Jahren hielt sie im Bundestag eine Rede, als an einer EU-Außengrenze schon einmal europäisches Recht gebrochen wurde – damals auf den griechischen Inseln. „Das ist ein massiver Verstoß gegen Grundrechte. Das ist beschämend“, sagte sie damals. Von der Bundesregierung erwarte sie, dass sie das auch klar ausspricht.

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Noch im Bundestagswahlkampf forderte Baerbock, dass die EU ihren neuen Rechtsstaatsmechanismus „sofort umsetzt“, sprich: als Strafe für Rechtsbrüche Geldflüsse nach Polen und Ungarn stoppt. In Warschau formuliert sie jetzt vorsichtiger, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag die „Unterstützung für alle Instrumente unterstreicht“, die Rechtsstaatlichkeit sicherstellen.

Baerbock hat nun mal die Rollen gewechselt. In der Opposition kann man auf die Kacke hauen, man muss es manchmal sogar, um Abends zehn Sekunden in der „Tagesschau“ zu bekommen. In der Regierung sieht es ein bisschen anders aus.

Baerbock muss mit ihren neuen Verhandlungspartnern auf polnischer Seite voraussichtlich ein paar Jahre zurechtkommen. Da könnte es ihr lieber sein, in Rechtsstaatsfragen doch noch einen Kompromiss hinzubekommen, mit dem alle Seiten ihr Gesicht wahren.

Mittelweg gesucht

Allerdings birgt ein Regierungseintritt auch das Risiko, sich von den vermeintlichen Zwängen des neuen Amtes überwältigen zu lassen und die Vorsätze vor lauter Pragmatismus zu vergessen. Ob Baerbock dazwischen einen Mittelweg findet und wie der aussieht, das wird für die nächsten Monate die spannende Frage.

Von Zbigniew Rau auf jeden Fall verabschiedet sich Annalena Baerbock erst mal freundlich. „Ich glaube daran, dass wir als Europäer gemeinsam Lösungen finden“, sagt sie, als ein Journalist noch mal zur Rechtsstaatsfrage nachhakt. Dann geht es mit Verspätung weiter.

Nun aber fehlt die Zeit, alle Gespräche wie geplant durchzuführen. Aber die deutsche Botschaft hat improvisiert: Zum kurzen Gespräch mit dem Ombudsmann für Bürgerrechte kommen die Ver­tre­te­r*in­nen der Flüchtlingsorganisationen einfach hinzu. Der Abflug klappt pünktlich.

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6 Kommentare

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  • Ich drücke Frau Baerbock (und ihrem ganzen Team) alle Daumen.

    Mögen wir etwas besseres finden als "Festung Europa" und "Imperiales Europa".

  • 0G
    04708 (Profil gelöscht)

    In den vergangenen Jahren waren eher Ukrainer als "Flüchtlinge an Polens Ostgrenze" von Interesse.

  • Der Herr Rau hat bei seinem selektiven Rückblick auf die Geschichte Polens v o r den beiden Überfällen aber etwas Entscheidendes weggelassen:



    Daß die Russen vor dem verheerenden und politkriminellen Pakt Stalins mit Hitler



    verzweifelt versucht hatten, die Polen Pilsudski und Beck dazu zu bewegen,



    im Falle des von Stalin angestrebten



    Verteidigungsbündnisses mit Frankreich und England , für den evtl. eintretenden Bündnisfall ein



    D u r c h m a r s c h r e c h t für die Sowiets zu garantieren. So allein hätten die Russen den Franzosen wie den Briten



    militärisch beistehen können.



    Pilsudski und Beck lehnten diese Bitte der Sowjets ab.



    Erst darnach entschloß sich Stalin zum Bündnis mit Hitler. Er hielt das wohl für "Dialektik". Grauenhafte Realpolitik , gewiß. Aber auch bodenlos naiv.

    • 8G
      86548 (Profil gelöscht)
      @Liebrast :

      Durchmarschrecht für die Sowjets? Wie naiv sind Sie?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Liebrast :

      Naja die Polen gingen wohl davon aus das von ihrem Land nicht viel übrig bliebe ließen sie die Soviets einfach durchmarschieren, ist halt auch bisschen illusorisch zu glauben, das Polen nichtmal 20 Jahre nach einem Krieg mit den Soviets so etwas zu stimmt.

      Der Preis den Stalin von Engländern und Franzosen gefordert hätte für das Bündnis wäre Osteuropa gewesen es ging dem sowjetischen Imperialismus darum seine Macht auszubauen, wie er dies erreichte war völlig egal ob mit Kapitalisten oder Faschisten.

  • "ein nicht-öffentliches Gespräch mit Organisationen, die sich für die Rechte der Flüchtlinge an Polens Ostgrenze einsetzen"

    Interessant. Wie üblich war so etwas in den vergangenen Jahren?