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Anna Prizkaus DebütromanFalsche Fährten

Wahr oder falsch, Glück oder Unglück? „Frauen im Sanatorium“ von Anna Prizkau kreist um die wichtigen Fragen des Lebens in einem klugen Roman.

„Die Seele besiegt den Körper. Immer“ Foto: imageBROKER/imago

„Frauen im Sanatorium“ ist ein Titel, der nach einem Roman des frühen 20. Jahrhunderts klingt. Er beschreibt gut, worum es geht, um einige Frauenfiguren im Deutschland der Gegenwart, die sich während des Aufenthalts in einer Klinik begegnen. Weil es das Deutschland der Gegenwart ist, haben einige dieser Frauen eine Migrationsgeschichte, die ihre spezifischen Traumata mit sich bringt. Aber auch eine Truppe von Bun­des­wehr­sol­da­t*in­nen versucht sich in der Klinik nach einem Auslandseinsatz wieder ins Lot zu bringen.

Im Zentrum dieses ersten Romans von Anna Prizkau steht eine Ich-Erzählerin, die ebenfalls Anna heißt und mit der Autorin außerdem gemein hat, dass auch sie ihre Mutter oft in Kliniken besuchen musste. Im Laufe der Erzählung entwirrt sich etwas, denn bald kommt der Verdacht auf, dass die Lesenden auf falsche Fährten gelockt wurden und ihnen womöglich etwas vorenthalten wird: Je weiter die Story voranschreitet, desto deutlicher wird, dass nicht klar ist, ob die Geschichten, die sich die handelnden Personen erzählen, wahr oder falsch sind.

„Frauen im Sanatorium“ ist ein trauriges und lustiges Buch, was nicht verwunderlich ist, kann Humor doch nur entwickeln, wer sich angesichts der Erkenntnis der wunderbaren Sinnlosigkeit des Lebens selber nicht ganz ernst nimmt. So kreist der Roman um die Frage, was Glück ist, ob es überhaupt welches geben kann, und wie sich das eigene Unglück erklären und erzählen lässt.

„Philosophie für Irre“

Das Buch

Anna Prizkau: „Frauen im Sanatorium“. Rowohlt, Hamburg 2025, 304 Seiten, 24 Euro

Elif, eine der Figuren, wünscht sich ihr Unglück, bei anderen kommt es von ganz allein. Unglück und Glück haben ihre Eltern den Figuren mitgegeben. Und doch sind die es am Ende selbst, die sich das eine oder andere bescheren. Eine der Krankenschwestern erklärt Anna zwar: „Die gute Nachricht ist, dass es, weil es kein Glück gibt, auch kein Unglück gibt.“ Die aber hält das für eine „Philosophie für Irre“.

Die Menschheit, das exemplifizieren die Frauen im Sanatorium, ist eine so soziale wie brutale Spezies, und eins bedingt das andere. Es stehen viele einfache und kluge Sätze in diesem elegant erzählten und bewegenden Roman, dessen Figuren in ihren Gebrochenheiten sehr real und gegenwärtig erscheinen. Darunter dieser: „Die Seele besiegt den Körper immer.“

Ulrich Gutmair

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