Anleitung zur politischen Eskalation: Besser erpressen als Seehofer
Die Kunst der politischen Erpressung will gelernt sein. Einer schob sich zuletzt in die Rolle des Champions in dieser Disziplin: Horst Seehofer.
Erpressung ist Zeitgeist. Die Mafia tut es – da ist es ein Verbrechen. Kinder tun es – da ist es Trotz. Auch Erwachsene tun es untereinander – da ist es Beziehungsgewalt. Und Politiker tun es – da ist es Strategie.
Wie auch immer: Wer gut erpresst, gewinnt. Zu beobachten war das in den letzten Wochen wieder einmal auf der politischen Bühne – in der Hauptrolle der CSU-Chef Horst Seehofer. Er führte vor, dass er die Kunst der Erpressung perfekt beherrscht. Das kann man sich von ihm abschauen:
Die Forderung
Stellen Sie eine Forderung, sie ist der wichtigste Teil jeder gelungenen Erpressung. Die Forderung muss kurz und griffig sein, dabei aber unspezifisch. Eine Trilliarde. Null. Wirkungsgleich … egal. Je diffuser ist, was genau Sie meinen, desto mehr Spielraum bleibt Ihnen im weiteren Verlauf der Erpressung. Im Zweifel empfiehlt es sich, unterschiedliche Aussagen in die Welt zu setzen, auf irgendeine davon werden Sie sich dann später schon beziehen können.
Das Opfer
Bei der Wahl des Opfers haben Sie freie Hand. Jeder kann Opfer sein. Außer Ihnen selbst, versteht sich. Ich, Horst Seehofer, spreche mal aus meiner reichen Erfahrung: In meinem langen Politikerleben habe ich ja schon ein paar Opfer abgeräumt, auch im großen Stil. Stolz bin ich immer noch darauf, wie ich meinen Vorgänger im Ministerpräsidentenamt abgeräumt habe. Und wer kann schon von sich sagen, eine ganze Behörde geschlossen zu haben? Beim Bundesgesundheitsamt hätten Sie in den Neunzigern halt anständig arbeiten sollen; für die verseuchten Blutpräparate war ganz sicher nicht ich als Minister verantwortlich. Anyway, diesmal müssen Sie größer denken. Sehr groß. Wie wäre es mit der Kanzlerin? Die muss doch weg, habe ich irgendwo gehört. Also. Auf geht’s, sobald Sie das Opfer ausgemacht haben.
Das Ultimatum
Höchstmögliche Wirkung erzielen Sie, wenn Sie das Ganze noch mit einem Ultimatum garnieren. Ultimaten sind beliebt, leicht zu merken und hilfreich für die Terminplanung. Und Ihre Widersacherin spürt nun förmlich den Wettlauf mit der Zeit. Bei der Wahl Ihres Ultimatums haben Sie freie Hand, lassen Sie sich nicht durch vermeintliche Sinnhaftigkeit in Ihrer Entscheidung einengen. Sollten Sie Ihre Drohung etwa von einem letzten Treffen mit dem Objekt Ihres erpresserischen Handelns abhängig machen, könnte man es Ihnen als Fantasielosigkeit auslegen, wenn Sie auch das Ultimatum an diesem Tag ablaufen lassen. Hängen Sie einfach noch ein paar Tage dran. Wenn Sie auf Mitleid spekulieren, wählen Sie beispielsweise Ihren Geburtstag. So hab ich es auch gemacht. Ich bin am 4. Juli 69 Jahre alt geworden. Wer will denn bitte schön schuld daran sein, dass Sie an Ihrem Jubeltag traurig sind?
Die Drohung
Sie müssen dem Opfer drohen. Leider. Die Welt ist schlecht. Also, bloß kein Mitleid, erst recht nicht mit einem Opfer, das Angst vor Machtverlust hat. Oder sich um den Frieden in der Welt sorgt. Tun Sie so, als sei Ihnen selbst die Macht gleichgültig und als ginge Sie dieser Frieden nichts an. Hilfreich ist die maximale Drohung, der Rücktritt etwa ist unter Erpressern im Politikbetrieb beliebt. Aber auch hier gilt: Bloß nicht an völlig überholten Regeln des gesunden Menschenverstands orientieren. Klassisch wäre es beispielsweise, der Person, die Sie erpressen wollen, damit zu drohen, sie ins Verderben zu stürzen. Der Nachteil: Empfindlichere Gemüter fassen so etwas gern als Affront auf und reagieren verschnupft, manchmal sogar feindselig. Deshalb versuchen Sie doch einfach mal etwas scheinbar Widersinniges: Drohen Sie damit, sich selbst etwas anzutun – ein Mittel, das man ja sonst eher im Familien- oder Freundeskreis anwendet. Das ist überraschend, stiftet Verwirrung und wird als weniger konfrontativ empfunden. Am Ende wird das Opfer gar nicht mehr merken, dass das mehr eine Verheißung als eine Drohung war, und alles dafür tun, um das Unheil abzuwenden.
Die Eskalation
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Denken Sie daran: Eskalieren ist wichtig. Fangen Sie mit etwas Kleinem an und steigern Sie dann zügig. Sie können zum Beispiel immer mal wieder abfällige Bemerkungen über das Opfer streuen. Steigern Sie jetzt die Dosis und verhalten Sie sich irrational. Schwänzen Sie Termine, sagen Sie Pressekonferenzen ab. Wie wäre es mit dem Integrationsgipfel? In der Zeit könnten Sie gemütlich an der Spree sitzen und Modellbahn-Zeitschriften lesen. Schließlich: Stellen Sie absurde Forderungen auf, zum Beispiel als Gegenleistung für Ihre Regierungsbeteiligung. Eine Maut, eine Obergrenze oder dass Sie Ihren Hund mit ins Büro nehmen dürfen, völlig egal. Sie werden sehen, wie Ihr Gegenüber darauf reagiert, und können es von Mal zu Mal besser einschätzen. Und bitte: Bloß nichts aufschreiben! Das erledigt die Presse für Sie – im besten Fall mit minütlichen Eilmeldungen, die sich im allerbesten Fall auch noch widersprechen. Wenn es gar nicht anders geht, weil Sie sich Ihre 63 Forderungen im Detail nicht merken können, machen Sie sich in Gottes Namen eine Liste. Nennen Sie sie Masterplan. Aber zeigen Sie sie niemandem. Außer ihrem Opfer natürlich, aber das verpflichten Sie natürlich zum Stillschweigen.
Die Komplizen
Kriminelle Energie und Skrupellosigkeit allein reichen nicht für eine erfolgreiche Erpressung. Sie brauchen schon auch Komplizen. Das müssen keine Überzeugungstäter sein und schon gar keine Freunde. Wenn diese Sie nur unterstützen, um Ihren angenommenen eigenen Untergang zu verhindern, ist das vollkommen ausreichend. Wichtig natürlich: Untereinander sollten sich die Mitglieder Ihrer Bande besser nicht so gut verstehen. Nur das sichert Ihnen Ihren Stand. Notfalls streuen Sie selbst etwas Zwietracht oder drohen mit der Rückkehr eines verlorenen Sohns aus Amerika. Das wirkt Wunder. Zusatztipp: Keine Frauen! Frauen sind gefühlig und haben in der Politik eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Brauchen Sie doch mal eine, etwa für ein wichtiges Foto, nehmen Sie die eine Reservefrau aus dem Vorstand mit, die immer noch glaubt, politisch tatsächlich etwas bewirken zu können.
Das Gelingen
Die Erfahrung zeigt, dass es für eine wirklich erfolgreiche Erpressung nicht notwendig ist, dass die gestellte Forderung erfüllt wird. Forderungen sind so was von 20. Jahrhundert. Heute so und morgen anders – was genau Sie anfangs gefordert haben, daran erinnert sich eh bald kein Mensch mehr. Nehmen Sie, was Sie kriegen können, und gehen Sie damit an die Öffentlichkeit. Lächeln Sie breit und sagen Sie, das sei alles von A bis Z so, wie man sich das wünscht, und wenn Sie zuständiger Minister sind, dann sagen Sie, dass alles so ist, wie Sie es sich als zuständiger Minister wünschten. Vergessen Sie nicht, zu dem Termin Ihren feindseligsten Komplizen mitzubringen. Er muss nicken und lächeln. Erwähnen Sie vor der Presse keinesfalls den Fleiß und die Willfährigkeit Ihres Opfers. Es darf sich nicht sicher fühlen, dass mit diesem Tag die Erpressung zu Ende ist. Denn das ist sie gewiss nicht. Fahren Sie nach dem Pressetermin in Ihr Ministerium und versuchen dort, mit der rechten Schuhspitze Ihren zerknüllten Masterplan in den Papierkorb zu kicken. Brüllen Sie noch rasch einen engen Mitarbeiter nieder und rufen Sie anschließend beim Opfer an. Stellen Sie eine Forderung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind