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Anklagen gegen FlüchtendeOpfer werden zu Tätern gemacht

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Wegen Beihilfe zur illegalen Einreise geraten immer öfter Flüchtende vor Gericht und ins Gefängnis. Ziel ist, Menschen von der Flucht abzuhalten.

In Libyen rettete Sea Watch Mitte Oktober gekenterte Flüchtende Foto: Valeria Mongelli/ap

W as Staatsanwälte in einigen Ländern des Mittelmeers derzeit gegen Flüchtlinge und ihre Hel­fe­r:in­nen vorbringen, daran glauben sie zweifellos selbst nicht: Menschenhandel, Spionage, gar Terrorismus – mit solchen Vorwürfen geht die Justiz derzeit gegen viele Geflüchtete vor, weil sie unerlaubt eingereist sind und nichts weiter. Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen über solche Prozesse häufen sich jüngst.

Was die Fälle eint, ist, dass Opfer zu Tätern gemacht werden, um andere abzuschrecken. Vor Jahren wurden die Strafen für Menschenhandel EU-weit verschärft. Der Impuls, Opfer von Menschenhandel zu schützen, war richtig. Was an den EU-Außengrenzen geschieht, ist aber in aller Regel kein Menschenhandel. Denn der richtet sich im Zweifelsfall gegen den Willen des Betroffenen und ist auf dessen langfristige Ausbeutung angelegt.

Worum es tatsächlich geht, ist allenfalls Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Die wiederum ist für Flüchtlinge oft der einzige Weg an einen sicheren Ort. Diese Beihilfe mit Menschenhandel gleichzusetzen, verkennt vorsätzlich den gewaltigen Unterschied im Unrechtscharakter der beiden Dinge. So steht das Strafmaß in vielen Ländern in keinem Verhältnis zu anderen Delikten.

Man kommt heute in Griechenland besser weg, wenn man des Bankraubs überführt wird, als wenn man ein Flüchtlingsboot durch die Ägäis steuert. Viele der tatsächlichen Schlepper haben daraus eine Konsequenz gezogen: Flüchtlingsboote steuern sie nicht mehr selbst. Angesichts der drohenden Strafen ist das viel zu gefährlich. Stattdessen lassen sie die Flüchtlinge allein aufs Boot – die meist nicht einmal schwimmen können, regelmäßig in Seenot geraten und oft ertrinken.

Der heraufgesetzte Strafrahmen ignoriert die Frage, ob die Angeklagten Profite gemacht haben oder nicht. Schlepper oder „Menschenhändler“ tun das, was sie tun, um Geld zu verdienen. Dieses Tatmerkmal wurde vor einiger Zeit – ebenfalls EU-weit – fallen gelassen. Staatsanwälte und Richter können Geflüchtete heute so behandeln, als betrieben diese ein mafiöses Business, obwohl sie mit der Überfahrt, etwa aus der Türkei, keinen Gewinn erzielt haben, sondern vielmehr für diese selbst bezahlten.

Wer herkommt, um Schutz zu suchen, muss so damit rechnen, hinter Gittern zu landen, und zwar teils lebenslang. Selbst See­not­ret­te­r:in­nen werden juristisch als Schlep­pe­r:in­nen verfolgt, ohne dass der Vorwurf bestünde, sie hätten sich bereichert. Manche, die Tausende Menschen gerettet haben, stehen vor jahrelanger Haft. Eine Justiz, die sich dafür hergibt, braucht den unbedingten Willen, das Recht zu missbrauchen, um Flüchtlinge fernzuhalten.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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12 Kommentare

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  • Wieso missbraucht die Justiz das Recht, wenn sie es anwendet???

    Wir leben glücklicherweise in einem Europa, in dem das Recht von einem demokratisch legitimierten Gesetzgeber gemacht wird. Die Aufgabe der Justiz ist es, diese Gesetze dann anzuwenden. Sie hat sie nicht zu werten oder im Sinne irgendeiner Ideologie umzuformen. Das ist eine große rechtstaatliche Errungenschaft.

    Und wer das kritisiert, hat wichtige Dinge nicht begriffen!!!

  • ? "... Flüchtende vor Gericht und ins Gefängnis"?



    Wie soll denn das gehen?

    Gemeint sind wohl Flüchtlinge.



    Auf Flüchtende kann man schießen ("deutsche Tradition"), aber um sie einzusperren, muss man sie erst einmal einfangen. Ab dem Moment sind sie aber keine Flüchtenden mehr.

    Ansonsten: Interessanter Kommentar!

    Und noch ein Rat an grenzüberschreitend reisende Automobilisten:



    Bei der Rückfahrt in die BRD nie mehr als einen Anhalter mit unbekannten Aufenthaltsstatus über die Grenze in die BRD mitnehmen. Andernfalls droht Ihnen die Einziehung des Autos (Tatwerkzeug) + Gefängnisstrafe (§ 96 AufenthG - Einschleusen von Ausländern) in einem Strafrahmen, der dem für sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) entspricht.

    Ach ja:



    Vielleicht könnte die TAZ ja mal recherchieren, welche Abgeordneten des Bundestags für den heutigen § 96 Aufenthaltsgesetz gestimmt haben.

  • Die EU ist krank. Als die AfD verlangte, die Grenzen "notfalls mit der Waffe" zu verteidigen, nebenbei ein Euphemismus der aus der DDR stammen könnte, gab es einen berechtigten Aufschrei bei den Bürgern, Politikern und in der Presse.



    Gegen die Regelung, scheint keine der Gruppen etwas zu haben.



    Merksatz der EU-Politik: Menschen an der Grenze erschießen ist unmenschlich, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, bringt einen Friedensnobelpreis.

    Die DGzRS, keine staatliche Organisation nebenbei, darf Menschen in Seenot in der Nord- und Ostsee retten, Seawatch und Ähnliche dürfen das im Mittelmeer nicht...



    Ich für meinen Teil, überweise nun eine Spende an diese beiden Terror- / Spionageorganisationen damit sie weiter tun können was sie tun.

  • Diese Diskussion ist nun ca. 10 Jahre alt und hatte ihren Höhepunkt 2015. Ich rede mir noch immer den Mund fusselig um die Menschen in meinem Umfeld zu überzeugen, daß Migration aus meiner Sicht gar nicht illegal sein kann. Leider finde ich für meine Position immer weniger Unterstützer. Selbst eingefleischte Linke und selbsternannte Anarchokommunisten sind beim Thema Migration eher rechts. Mittlerweile habe ich die Hoffnung fast aufgegeben, daß die Menschen zur Vernunft kommen...

    • @Nobodys Hero:

      Hm, Sie sind für die Abschaffung von Landesgrenzen. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass letztlich das Sozialsystem in Deutschland aufgegeben werden muss. Es bedeutet, dass die stärkeren sich die besten Plätze sichern und schwächere hinten runter fallen. ... Nein, gefällt mir nicht :(

  • "Der heraufgesetzte Strafrahmen ignoriert die Frage, ob die Angeklagten Profite gemacht haben oder nicht."

    Und vor allem scheint es die Frage zu ignorieren, ob sich die Angeklagten in einer Zwangssituation befanden, mit unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben.

    Sie sitzen in einem Boot im Mittelmer. Haben rudimentäre Kenntnisse in Navigation, vielleicht einen Kompass (oder die moderne Karikatur davon: ein Smartphone mit noch 1.5h Akku).

    Steuern Sie, oder steuern Sie nicht?

    Das ist so albern, dass es vor einem anständigen Gericht, dass nur annähernd Menschenrechte respektiert sofort abgebügelt werden müsste.

    EU: "outsourcing of evil". Wir sollten seit Hannah Arendt wissen, dass es unsere verdammte Pflicht ist, das nicht zu tun.

  • "Armut und Kriege" - Das ist doch der wahre Grund weshalb Menschen aus ihren Ländern fliehen. Demnächst kommt auch noch der Klimawandel dazu, denn der Klimawandel lässt die Temperaturen auf der Erde ansteigen und wird den Wassermangel, der sich schon jetzt in Afrika bemerkbar macht, noch verstärken. Wenn 100 Millionen verdurstende Afrikaner sich auf den Weg nach Europa machen, dann hält die keiner mehr auf. Schon heute kommen die Afrikaner zu uns, weil wir ihnen die Meere leerfischen und ihnen unsere überschüssigen Lebensmittel schicken. Die Händler in Afrika kaufen die billigen EU-Güter und die lokalen Bauern können ihre Produkte nicht mehr verkaufen. Ohne diese Verkaufseinnahmen brechen die ländlichen Existenzen zusammen. Weil die EU auch Millionen Euro an korrupte Staaten zahlt, dürfen europäische Trawler die Fanggründe vor der Küste Afrikas plündern. "Cash for Fish" heißt das fragwürdige Geschäft - für die Einheimischen bleibt fast nichts übrig. Das spricht aber kein Politiker in Europa an, sonst müssten die Politiker nämlich zugeben, dass die vielen Flüchtlinge, die in Europa Schutz suchen, ein Ergebnis ihrer eigenen Politik sind.

    • @Ricky-13:

      "Armut und Kriege" - und wie entsteht sowas? Durch Misswirtschaft und Korruption. Es fließt seit Jahrzehnten soviel "Entwicklungshilfe". Das Ergebnis ist oft, dass in den unterstützten Ländern zwar die Bevölkerungszahlen steigen... aber das ist oftmals auch schon der größte Effekt. Korruption und Misswirtschaft bleiben meist erhalten oder verstärken sich sogar. Was wiederum zu "Armut und Kriege" führt...

      Ein Boykott von Waren made in Africa bzw. ein Embargo kann ja auch keine Lösung sein ;)

  • Der Vorwurf des Menschenhandels ist doch vollkommen irrelevant. Wichtig ist die illegale Migration und Menschenschlepperei. Hier sollten doch die Begrifflichkeiten auseinander gehalten werden.

    Soweit die Menschen aus der Türkei einreisen, reisen sie aus einem sicheren Drittland ein. Nach Medienberichten haben die Menschen teilweise bereits viele Jahre in der Türkei gelebt, bevor sie nach Griechenland reisen (siehe z.B. taz.de/Gefluechtet...henland/!5810493/).

  • "Manche, die Tausende Menschen gerettet haben, stehen vor jahrelanger Haft. Eine Justiz, die sich dafür hergibt, braucht den unbedingten Willen, das Recht zu missbrauchen, um Flüchtlinge fernzuhalten."

    Wer das beklagt sollte sich daran machen die Gesetze zu ändern. Die Justiz ist daran gehalten das geltende Recht umzusetzen.

  • Der Kommentar ignoriert ,das längst nicht alle Asylsuchende tatsächlich Flüchtlinge in Sinne der Genfer Konvention sind- die nun mal Armut bzw. den Wunsch nach Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht als Asylgrund beinhaltet. Hier müßte also nachgebessert werden. Zudem ist das "Flüchtlingsgeschäft" eben doch ein Menschenhandel ,an dem verdient wird. Unter anderen verdienen daran die korrupten Politiker und Beamten aus den Herkunftsländern.Direkt durch "Bearbeitungsgebühren" etc., indirekt durch die Gelder die von den erfolgreichen Emigranten in die Heimat geschickt werden und dort natürlich den Wirtschaftskreislauf einfließen. Und hier im Lande sind die Flüchtlinge ,ebenso wie die einheimischen Arbeitslosen,die Arbeitskräftereservearmee die zur Lohndrückung vorgehalten wird.Der Fachkräftemangel ist vor allem der Mangel an preiswerten Fachkräften ,die auch mit niedrigeren Löhnen zufrieden sind.Das ost- und südosteuropäische Lebensniveau zieht halt auch langsam mehr an ,dementsprechend werden die Arbeitskräfte auch "anspruchsvoller". Da muß man natürlich rechtzeitig für genügsameren Ersatz sorgen.

  • Sauberer Kommentar, Danke dafür!