Anklage im dritten Anlauf: „Judenpack“ vielleicht doch Hetze
Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft klagt nun doch den Rechtsextremen Martin Kiese an. Der habe Pressevertreter antisemitisch beleidigt.
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Die Staatsanwaltschaft ermittelte, stellte jedoch 2021 und 2022 das Verfahren ein. Am Mittwoch teile der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft, Hans-Christian Wolters, nun aber mit, gegen „einen 53-jährigen Braunschweiger“ werde Anklage wegen Volksverhetzung und Beleidigung erhoben. Die Staatsanwaltschaft hält ihm nun vor, bei einer „Versammlung von etwa 50 Rechtsextremisten auf dem Löwenwall“ in Richtung „mehrerer Pressevertreter“ die inkriminierten Worte geäußert zu haben.
Nach der ersten Einstellung waren bereits verschiedene Beschwerden erhoben worden. Eine dieser Beschwerden hatte das Ehepaar Bernadette und Joachim Gottschalk gestellt, da sie in dem Ausruf eine „öffentliche, antisemitische, hetzerische Vernichtungsproklamation gegen das Judentum, gegen jede einzelne jüdische Person unserer Gesellschaft“ sahen.
Die Antisemitismusbeauftragte des Landesverbandes der israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, Rebecca Seidler, sagte damals: Es sei „nicht hinnehmbar, dass Rechtsextreme antisemitische Äußerungen tätigen können, ohne Konsequenzen“. Der Volkstrauertag sei ein Gedenktag in Deutschland. Er erinnere an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen.
Neue Bewertung durch NS-Geschichte
Die Generalstaatsanwaltschaft hob die Entscheidung auf. Die Staatsanwaltschaft ermittelte erneut und sah den Tatbestand der Volksverhetzung erneut nicht gegeben.
In der Mitteilung erklärt Wolters, den Einstellungen hätten „formale Erwägungen zu Grunde“ gelegen. So habe es zum Zeitpunkt der ersten Verfahrenseinstellung insbesondere an wirksamen Strafanträgen zur Verfolgung der Beleidigung gefehlt. Beide Einstellungen beruhten zudem auf der Einschätzung, dass es sich bei den Äußerungen des Beschuldigten (noch) nicht um eine strafbare Volksverhetzung handele.
Die neue Bewertung des Tatbestandes ergab sich für die Staatsanwaltschaft aber jetzt „durch die Auswertung historischer Quellen aus der Zeit des Nationalsozialismus“. Ein Leitartikel aus Der Freiheitskampf sei mit entscheidend gewesen, sagte Wolters zur taz. In der Tageszeitung der NSDAP für Sachsen war am 7. März 1931 auf der Titelseite ein Leitartikel mit der programmatischen Überschrift „Nieder mit der Judenpresse“ erschienen.
Der Text lege nahe, meint Wolters, dass die gesamte nicht rechte Presse damals gemeint gewesen sei. Eine Zeichnung verstärkt die Textbotschaft: Einem vermeintlich jüdisch aussehenden Journalisten schlägt eine übergroße Faust ins Gesicht.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, „dass es dem Beschuldigten zum einen darauf ankam, die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Juden zu verunglimpfen. Zum anderen wollte der Beschuldigte durch seine diffamierenden Äußerungen zu Gewalt- und Willkürakten gegen die vermeintliche ‚Judenpresse‘, unter der nach Auffassung des Beschuldigten offenbar alle nicht nationalsozialistischen und nicht rechtsextremistischen Medien verstanden werden sollen, aufstacheln“. Da im Video noch zwei weitere Rechtsextreme zu sehen seien, könnte auch der Tatbestand der Aufstachelung gegeben sein.
Die vorherigen Verfahrenseinstellungen hatten Kiese, der schon in der verbotenen „Freiheitlichen Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) aktiv war, offenbar ermuntert: Er ist seitdem bei weiteren Aktionen in Braunschweig aufmarschiert. Gleichgesinnte riefen dort „Nie wieder Israel“ und „Das deutsche Volk will dich/ euch in die Gaskammer packen“. „Auf zur Synagoge“, soll Kiese ergänzt haben.
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