Anklage gegen bewaffnete Rechte: Kameraden vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft Göttingen erhebt Anklage gegen Mitglieder des mittlerweile umbenannten rechtsextremen Netzwerks „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“
Drei Männern aus der Gruppe hält die Staatsanwaltschaft die Bildung einer bewaffneten Gruppe vor. Dass der „Freundeskreis“ sich seit kurzen „Volksbewegung Niedersachsen“ nennt, ist für die Vorhaltung irrelevant.
Vom September bis Dezember 2016 sollen sich die Männer zu einer hierarchischen Gruppen zusammengeschlossen haben, um ihre politischen Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen.
Die Polizei fand Waffen
Bereits bei den Durchsuchungen im Februar stellte die Polizei bei sechs Mitgliedern des Netzwerkes sieben Messer, eine Axt, einen Schlagring, eine Machete, zwei Säbel, zwei Teleskop-Schlagstöcke, zwei Schlagstöcke, zwei Schreckschusspistolen, eine Armbrust sowie Quarzhandschuhe und Pfefferspray sicher. Mehr als 100 Beamte hatten sechs Objekte in Stadt und Landkreis Göttingen und im thüringischen Kreis Eichsfeld durchsucht.
Im Oktober 2015 hatte das Netzwerk, inspiriert von Pegida in Dresden, begonnen in der südniedersächsischen Region Kundgebungen und Mahnwachen auszurichten.
Von Beginn waren Anhänger der Kameradschaftsszene und der NPD mit auf der Straße. Jens Wilke etablierte sich als einer der führenden Aktivisten. Der 40-Jährige kandidierte für die NPD für das Amt des Landrats im Landkreis Göttingen. Nach Ansicht der Ermittler war Wilke der Kopf der Gruppe. Er habe die gemeinsamen Aktionen geplant und angeführt, sagte ein Sprecher der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen.
Bei ihren Aktionen sollen Freundeskreis-Anhänger Waffen und gefährliche Werkzeuge mit dabei gehabt haben. Von 32 Fällen geht die Antifaschistische Zeitung für Göttingen und Südniedersachsen (Agit) aus, bei denen die Anhänger des Netzwerkes „Streit und Gewalttaten“ provozierten. Allein 21 dieser Geschehnisse wollen sie in Göttingen dokumentiert haben.
Darunter ein Vorfall am 12. November 2016: An diesem Samstag richtete der Freundeskreis gegen 11.45 Uhr einen Aufmarsch im südniedersächsischen Duderstadt an der Grenze zu Thüringen aus. Vor 16 Personen hetzte der Rechtsextreme Mario Messerschmidt gegen die Familie des Kreistagsabgeordneten Meinhart Ramaswamy (Piratenpartei).
Drohungen und Angriffe
Um 14.45 Uhr stand der Pkw von Jens Wilke mit mehreren vermummten Personen vor dem Haus des Abgeordneten in Göttingen. Um 15.20 Uhr fuhr der Wagen erneut vor. Mit einem Megaphon wurde gedroht: „Der Kampf ist eröffnet. (…) Wir kriegen euch alle.“ Die Betroffen riefen die Polizei an, berichtet Agit weiter.
Zwischen 15.25 und 16 Uhr stoppte die Polizei den Wagen an der Stadthalle. Die Insassen griffen dort anwesende Antifaschisten an. Schlugen mit Eisenketten und Schlagstöcken zu, nach Berichten der Agit auch dann noch, als die Betroffenen schon am Boden lagen. Den Angriff filmte Wilke. Um 17.45 Uhr ging ein Video mit dem Titel „Antifa Hahaha“ bei Facebook online.
Nicht nur in dem von der Staatsanwaltschaft genannten Zeitraum fielen Anhänger des Netzwerkes durch Gewalttaten auf. Am 1. April 2017 griffen Aktivisten nach einer Veranstaltung in Göttingen einen Fotojournalisten an. Bei einer anschließenden Spontandemonstration im nahen Friedland schlugen sie zu, was sie live auf Facebook öffentlich machten. Erst die Polizei konnte den Angriff stoppen. Die Rechten machten Jagd auf „Angehörige der linken Szene, vermutlich um sie zu attackieren“, hieß es im Polizeibericht.
Der Prozess gegen die Mitglieder des Freundeskreises beginnt frühestens in zwei Monaten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus