Angst vor Muslimen in Deutschland: Terror im Liebesnest
Wie werden Muslime zu Terrorverdächtigen? Ganz einfach. Sie müssen sich nur ein abgelegenes Ferienhaus mieten, gleich in bar zahlen und die Vorhänge zuziehen.
HAMWIEDE UND HANNOVER taz Nervös waren die Polizisten, als sie sich an jenem Abend mit schusssicheren Westen heranpirschten an das Ferienhaus "Helga". Denn ihr Auftrag war kein alltäglicher. Und es war stockfinster. Die Laterne vorne an der Landstraße warf ihr Licht kaum über den Lattenzaun hinaus. Mit Handlampen bahnte sich der Trupp seinen Weg über den vermoosten Pfad zur Eingangstür. Vier bewaffnete Beamte umstellten das Haus. Fluchtwege sichern. Vier Kollegen rückten bis zum Eingang vor, pochten kräftig an die Tür - und harrten der Dinge, die da kommen würden. Waren es tatsächlich islamistische Terroristen, die sich hier in der Lüneburger Heide verschanzt hatten?
Der Tipp war aus dem Dorf gekommen. Bürger des 200-Einwohner-Ortes Hamwiede hatten beim Landeskriminalamt Alarm geschlagen - und auch gleich eine ganze Liste an Verdächtigungen mitgeliefert über diese merkwürdigen Gäste in der Ferienhütte am Ortsrand. Ein "etwa 30-jähriger Mann südländisch-orientalischer Herkunft und eine etwa 25- bis 30-jährige, sehr gut deutsch sprechende Frau" seien am Wochenende gegen 22 Uhr mit dem Taxi angereist, notierten die Beamten. Beide sollen vor kurzem geheiratet haben, ihr Verhalten sei allerdings "distanziert". Das Ferienhaus liege "abgelegen am Ortsrand in einem Wald". Über das Grundstück sei "direkt ein an der A 27 befindlicher Rastplatz der Bundesautobahn" zu erreichen. Die beiden hätten das Ferienhaus "unmittelbar nach der Anreise bei der Vermieterin in bar bezahlt", die Vorgänge an den Fenster seien "ständig, auch tagsüber, zugezogen".
Und schließlich lag das beschriebene Ferienhaus just in jener Gegend, wo Fritz G. mit anderen Terrorverdächtigen ein paar Monate zuvor Bombenzubehör gekauft hatte. Aber - hieß das wirklich etwas? Statt dem Fall selbst nachzugehen, wählte das LKA den simplen Weg. Es reichte die Hinweise an die Polizei vor Ort weiter.
Nur Sekunden, nachdem Omar Abo-Namous die Tür des Ferienhauses von innen geöffnet hatte, stürmten vier Polizisten an ihm und seiner Frau vorbei, zwei rannten die Treppe hinauf und kontrollierten die Schlafzimmer. Der Einsatzleiter prüfte derweil unten im Wohnzimmer ihre Pässe. Dass draußen unter den Tannen im Garten gleichzeitig vier bewaffnete Beamte die Fluchtwege blockierten, sollten die beiden erst später erfahren.
Es war der 52. Tag nach der Festnahme dreier Terrorverdächtiger in einem Dorf im Sauerland. Und der sechste Abend der bescheidenen Flitterwochen, die sich Kathrin Klausing und ihr Mann zur Erholung vom Hochzeitstrubel gönnten. Übers Internet waren sie auf das Ferienhaus "Helga" am Dorfrand von Hamwiede gestoßen. Dort hatten sie es sich gemütlich gemacht, sie waren Fahrrad gefahren und hatten die Ruhe genossen in dem Weiler zwischen Hannover und Bremen, wo es keine Dorfkneipe gibt, keinen Laden, ja nicht mal Straßennamen, die Häuser tragen stattdessen einfach Nummern.
Zwei Monate sind seit dem Einsatz in Hamwiede 60 vergangen. Inzwischen ist die Razzia ein Politikum - und ein Fall für die Justiz. Denn Omar Abo-Namous, 26, und seine sechs Jahre ältere Frau haben die Geschichte ihrer Flitterwochen nicht nur in Internetblogs publik gemacht. Sie haben sich auch einen Anwalt genommen und Klage beim Amtsgericht Walsrode eingereicht. Nicht aus Wut über die vermieste Hochzeitsreise. Die beiden fragen sich aber: Wie steht es um die Grundrechte muslimischer Bürger in Zeiten der Terrorangst? Denn die Polizei hatte keinen Durchsuchungsbefehl dabei, als sie gegen 22 Uhr mit acht Mann ihre Hochzeitsreise sprengte. Sie hatte nicht mal konkrete Indizien, was die beiden verbrochen haben könnten. Dennoch bewertete das niedersächsische Innenministerium den Einsatz kürzlich in einer Stellungnahme als gelungen. Zumal von einer Hausdurchsuchung nicht die Rede sein könne. Die Polizei habe das Haus bloß betreten müssen - um festzustellen, "dass von den beiden angetroffenen Personen keine Gefahr ausging".
"Dass höhere Behörden so eine Aktion auch noch legitimieren", sagt Kathrin Klausing, "das macht mir richtig Angst. Das heißt doch: Die Polizei könnte jeden Augenblick wieder unsere Wohnung stürmen."
Das Ehepaar sitzt in einem Café in der Innenstadt von Hannover. Omar Abo-Namous hat die neue Digitalkamera dabei. Ein Hochzeitsgeschenk. Er klickt sich durch die Fotos der Flitterwochen: Omar vor dem Ortsschild von Hamwiede, Kathrin auf dem Fahrrad, Kathrin vor dem Ferienhaus. Szenen einer bescheidenen Landpartie. Ziemlich exotische Bilder für einen Weiler wie Hamwiede, wo die Frühkartoffeln der Sorte Leyla, die am Straßenrand in einem überdachten Holzkarren zum Verkauf ausliegen, der einzige Hinweis auf die arabische Welt sind. Kathrin Klausing ist da bewandert. Sie ist studierte Islamwissenschaftlerin und lebt seit sieben Jahren als Muslima. Und sie trägt einen dunklen Umhang unter dem Wintermantel, ein Kopftuch umrahmt ihr Gesicht. Ihr Mann, ein gebürtiger Kuwaiter, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Hannover arbeitet, sieht mit seinen schwarzen Haaren und dem dunklen Kinnbart auch nicht aus wie ein norddeutscher Bauernbub.
Der Anblick des Paares muss Nachbarn in Panik versetzt haben. So sehr, dass sie ihren Verdacht samt einer Liste angeblicher Auffälligkeiten gleich dem LKA meldeten.
Schon diese Liste hält Anwalt Andreas Hüttl für einen Skandal. Er weist zum Fenster seiner Kanzlei in Hannover, streicht sich ums Kinn: "Ich habe den ganzen Tag die Jalousien vorgezogen - und dann lasse ich mir auch noch einen Bart wachsen. Ganz schön verdächtig!" Was die Polizei über seine Mandanten zusammengetragen habe, sei lächerlich. "Vage Verdachtsmomente und bloße Vermutungen, aber das reicht doch nicht." Schließlich gehe es um ein wichtiges Grundrecht, um Artikel 13 - die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dass die Polizei inzwischen erklärt, ihre Aktion sei keine Durchsuchung gewesen, ist für Hüttl eine "ganz große Frechheit".
In Hamwiede weiß heute jeder von dem bizarren Fehlalarm - aber niemand will etwas damit zu tun haben. Unwirsch reagiert die Ortsvorsteherin auf das Thema. Sie könne dazu nichts sagen, erklärt Anita Oswald am Telefon. Dann redet sie doch. Sei es nicht merkwürdig, dass die Polizei einen solchen Einsatz starte? "Da muss es doch eigentlich Gründe geben!" Und warum, fragt sie, macht das Ehepaar um diese Sache nun so einen Wind? Wieso muss es die Geschichte obendrein auf seltsamen Seiten im Internet breittreten? "Haben Sie sich das mal angeschaut?", fragt sie. "Da ist allein der Name der Internetseite so lang, dass sie das DIN-A4-Blatt querlegen müssen." Sie würde an deren Stelle nicht gegen die Polizei klagen, sagt Anita Oswald. "Wenn man still ist, fährt man besser."
Die Nachbarn wollen den Polizeieinsatz am Ferienhaus "Helga" alle just verpasst haben. "An dem Abend war ich nicht da", versichert ein grauhaariger Herr, der in Pantoffeln auf der Veranda seines Einfamilienhaus steht. Nebenan wohnen zwei ältere Damen in einem roten Fachwerkgehöft, sie haben über den hohen Drahtzaun einen direkten Blick auf das Urlaubsquartier. "Ich kann dazu nichts sagen", sagt eine der Frauen. Sie wedelt abweisend mit den Händen. "Die Polizei hat uns auch nicht befragt." Dann zieht sie die Haustür wieder zu.
Die Vermieter des Ferienhauses wohnen 15 Kilometer weiter, sie waren gerade mit ihrem CDU-Ortsverein unterwegs in Berlin, als die Nachricht von der Razzia sie erreichte. Helga Dettmer hatte sich just am Abend vor dem Polizeieinsatz mit dem jungen Paar unterhalten. Verdächtig? Die Vermieterin schüttelt energisch den Kopf. "Ich muss sagen, ich habe die beiden als sehr, sehr nette und kluge Leute kennen gelernt." Fragwürdig erscheint den Dettmers eher, was die Polizei an vermeintlichen Indizien gegen das Pärchen gesammelt hat. Zum Beispiel, dass die Wohnung gleich nach der Anreise bezahlt worden sei. "Unsinn!", ruft Günter Dettmer. "Wir kassieren nie am Anfang." Und wie kommt die Polizei darauf, es gebe einen "direkten" Zugang von ihrem Ferienhaus zum Autobahnrastplatz? Wer den Parkplatz erreichen will, muss ein gutes Stück die Landstraße hinunter laufen, dann einen Waldweg entlang und schließlich über einen Zaun klettern. Rätselhaft auch, wieso das Innenministerium in seiner Stellungnahme zu dem Fall erklärt, die Polizei habe am Ferienhaus geklingelt. Die Hütte hatte nie eine Klingel. "So ist das auf dem Dorf", sagt Günter Dettmer. "Wenn du heute Abend mit dem Auto um die Straßenecke fährst, heißt es morgen, du hast jemanden totgefahren." Er schüttelt belustigt den Kopf.
Omar Abo-Namous und seine Frau können sich über die Widersprüche in der offiziellen Darstellung des Innenministeriums nicht amüsieren. Sie vermuten: Die Behörden schildern die Razzia bewusst falsch - damit ihre Aktion halbwegs sinnvoll erscheint.
Glaubt man der Polizei, rückten zwar acht Beamte ins nächtliche Hamwiede aus - aber nur, um dort die Ausweise des Paares zu überprüfen. Das Haus hätten die Polizisten nur betreten, weil die Lage eskaliert sei. Denn Omar Abo-Namous habe die Polizei nach dem "Klingeln" gebeten, sich doch einen Augenblick zu gedulden. Seine Frau müsse sich erst noch "im islamischen Sinne vollständig ankleiden", heißt es in dem Papier des Ministeriums. In diesem Moment hätten die Beamten gesehen, wie drinnen jemand die Treppe hinaufgelaufen sei. Diese "unerwartete Bewegung einer Person im Hausinnern" habe eine "mögliche Gefahrenerhöhung" dargestellt, erläutert das Innenministerium. Deshalb seien die Beamten spontan "zur Eigensicherung" ins Haus vorgerückt.
Kathrin Klausing schüttelt den Kopf, wenn sie das Behördenpapier liest. "Ich finde das hinterhältig, was die jetzt machen." Ihr Mann habe nur gesagt, seine Frau müsse sich etwas anziehen. Sie zitiert aus der Stellungnahme des Ministeriums: "Jetzt steht da: Im islamischen Sinne vollständig ankleiden! Das soll wohl besonders fanatisch klingen!" Und sie sei gewiss nicht die Treppe hochgerannt. Unten hinter dem Treppenabsatz habe sie sich etwas übergezogen - und dann wie ihr Mann neben dem nervösen Einsatzleiter im Wohnzimmer Platz genommen.
Mit solchen Feinheiten hat man sich bei der Soltauer Polizei bisher nicht herumgeplagt. Immer wieder kramt der Pressesprecher schweigend in seiner Akte. Wann wurde die Ferienwohnung bezahlt? "Das spielt im Endeffekt ja keine große Rolle." Hat die Polizei geklingelt oder geklopft? "Sie hat sich auf jeden Fall irgendwie an der Tür bemerkbar gemacht." Lief drinnen wirklich jemand die Treppe hinauf? "Da glaube ich meinen Kollegen", sagt Peter Hoppe. "Die schreiben so was ja nicht just for fun."
So wollen sich die Flitterwöchler nicht abfertigen lassen. Auch wenn die Klage sie allein in der ersten Instanz 600 Euro kosten wird - mehr als die gesamten Flitterwochen. Ihr Rechtsanwalt will den Fall notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht tragen. Denn für Andreas Hüttl wirft die Razzia wichtige Grundsatzfragen auf: "Wie will unsere Gesellschaft mit dem Terrorverdacht umgehen? Werden künftig niedrigere Schwellen für Razzien angelegt? Reicht es schon, dass man arabisch aussieht und die Jalousien zuzieht?"
Der Polizeisprecher scheint den Fall anders zu deuten. "Wissen Sie", sagt er schließlich, "ich kenn mich mit diesem Glauben ja nicht so aus." Aber für dieses Paar sei der Knackpunkt bei der Sache wohl, dass seine Kollegen die Urlauberin im "islamistischen Sinn unvermummt" gesehen haben. Er ringt einen Moment nach der richtigen Formulierung. "Ich denk mal", sagt er dann in verständnisvollem Ton, "das muss so eine Art religiöser Gesichtsverlust gewesen sein."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett