Angela Merkels Reaktion auf die Attacken: Keep calm und macht mal weiter
Die Kanzlerin gibt sich nach den Anschlägen betont nüchtern und unaufgeregt. Welche Strategie steckt dahinter?
Angela Merkel bleibt ganz die Alte, und das ist wirklich eine gute Nachricht. Die Welt scheint verrückt geworden zu sein, aber die Bundeskanzlerin weigert sich, auch nur einen Millimeter nachzugeben.
Ein 17-jähriger Afghane, der sich zum IS bekennt, hackt in Würzburg mit einer Axt auf chinesische Touristen ein. Ein Deutschiraner, der Hitler verherrlicht, erschießt in München Jugendliche. Ein psychisch kranker Syrer sprengt sich in Ansbach auf dem Gelände eines Musikfestivals in die Luft.
Merkel schaut an diesem Donnerstagmittag aus kleinen Augen in den klimatisierten Saal der Berliner Bundespressekonferenz. Vor ihr sitzen dicht gedrängt Journalisten und kritzeln in ihre Blöcke, dahinter Dutzende Kameras. War ihr „Wir schaffen das“ im September 2015 ein Fehler?
Merkel erklärt in aller Ruhe noch einmal den Kontext ihres Zitates. Sie habe ja schon damals darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik mehrmals große Leistungen vollbracht habe – und im Übrigen nie behauptet, dass es einfach werde.
Am Sonntag demonstrieren tausende Erdogan-Fans in Köln. Wie schätzen Deutsch-Türken die aktuelle Lage in der Türkei ein? taz-Autor Volkan Agar war in der Kölner Keupstraße und sprach mit Anwohnern und Ladenbesitzern. Seine Reportage lesen Sie in der taz.am wochenende vom 30./31. Juli. Außerdem: Eine Tierethikerin und ein Affenforscher diskutieren über Moral und Tierversuche. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit erklärt nach den Anschlägen, was die Täter eint. Und ein taz-Autor beschreibt seine Sammelleidenschaft für Schockbilder auf Zigarettenschachteln. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Dann wiederholt sie ihren optimistischen Satz: „Wir schaffen das. Und wir haben im Übrigen in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits geschafft.“ Merkels ganzer Auftritt kultiviert stoische Unaufgeregtheit. Keep calm and carry on. Sie versteht diesen Satz als Aufmunterung und wohl auch als Selbstverständlichkeit. Was wäre eine Regierung wert, die zugäbe, es nicht zu schaffen? Da wäre der Abschied von Politik. Aber natürlich ist der Satz auch eine Provokation. Viele Bürger, nicht nur rechte, halten ihn inzwischen für weltfremd.
Bloß keine Befindlichkeiten
Dass ihr diese emotionalen drei Worte beinahe zum Verhängnis wurden, ist eigentlich nur folgerichtig. Die Kanzlerin hasst Befindlichkeiten. Ihre Reden haben stets etwas Verschraubtes, sie schachtelt technokratische Sätze ineinander und zerlegt das große Ganze in langweilige Details.
Merkel, so eine gängige These, liefere den Menschen keine Erzählung zu dem, was sie für wichtig hält. Funktioniert das noch, wenn der blutige Terror vor der Haustür passiert? Wenn die Angst viele Deutsche packt? Nüchternheit muss, wie sich am Donnerstag zeigt, jedenfalls kein Nachteil sein. Die Kanzlerin tastet sich durch die Pressekonferenz wie eine Bergsteigerin durch eine Steilwand.
Merkel liest vom Blatt, jede Silbe ihres Statements hat sie mit ihren Vertrauten besprochen und getestet. Dass zwei Flüchtlinge für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, „verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat“, sagt sie. Es verhöhne die ehrenamtlichen Helfer und – Merkel schaut auf – auch die vielen Flüchtlinge, die friedlich leben wollten, nachdem sie woanders alles verloren hätten.
Darin steckt eine unmissverständliche Botschaft. Der Terror richtete sich auch gegen die in Deutschland lebenden Flüchtlinge. Merkel weigert sich, das schlichte „Wir gegen die“ aufzumachen, das sich manche in der Union wünschen. Das ist der Kern. Merkel achtet auch später, als die Journalisten Fragen stellen, auf das Verbindende. Ja, sie tue alles, um Anschläge zu verhindern, sagt sie. Aber Angst könne nicht der Ratgeber für politisches Handeln sein. „Wir dürfen uns unsere Art zu leben nicht durch solche Menschen kaputt machen lassen.“
Liberale Ansichten
Das ist ein äußerst liberaler Sound für eine Konservative in einer Zeit, in der viele BürgerInnen tief verunsichert sind. Für Merkel verläuft die Front nicht zwischen Flüchtlingen und Deutschen, wie auch immer man diese definieren wollte. Sondern zwischen der aufgeklärten Demokratie und gewaltbereitem Terrorismus. Deutschland sei im Kampf gegen den IS, sagt sie – „oder meinetwegen auch in einem Krieg.“
Meinetwegen Krieg. Diese Formulierung ist neu bei Merkel, wenn es um den Kampfeinsatz der Bundeswehr gegen den IS in Syrien geht. Aber auch hier bleibt sie vorsichtiger als andere, François Hollande hat früh und offensiv vom „Krieg gegen den Terror“ gesprochen.
Noch etwas ist bemerkenswert: Merkel hat sich entschieden, den Bürgern eine einfache, aber wichtige Wahrheit zu sagen. Absolute Sicherheit existiert nicht – und hat nie existiert. Diese Botschaft, die banal ist, aber auf viele verstörend wirkt, sendete das Kanzleramt früh.
An dem Freitagabend, als nicht klar war, ob es München mit einem Terroristen zu tun hat, war Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) im „heute-journal“ zugeschaltet. Moderator Claus Kleber fragte ihn, wie er, ein Mann an der Schaltstelle der Macht, damit fertigwerde, dass der Staat solche Taten trotz aller Anstrengungen nicht verhindern könne.
Der rhetorische Vollprofi hätte ausweichen können, tat es aber nicht. In der globalisierten Welt, in der sich Terrorismus weltweit vernetze, müssten alle „damit leben, dass wir den Ort und die Stunde von Anschlägen nicht immer kennen“, sagte Altmaier. Dann fügte er natürlich hinzu, dass die Regierung die Polizei stärken wolle.
Diese Art der Kommunikation ist nur redlich. Ratlos zu sein, ist für Politik keine Option, sie muss Lösungen anbieten. Sie darf aber nicht suggerieren, diese seien Allheilmittel. Merkel und Altmaier folgen dieser komplizierten, aber richtigen Philosophie. So, wie sie es auch während der sogenannten Flüchtlingskrise hielten, als die Rechtspopulisten brüllten, die Grenzen müssten geschlossen werden.
Keine Schnellschüsse
Merkel bleibt auch in einem anderen Punkt ganz bei sich. Sie wartet lieber ab, als sich vorschnell zu äußern. Nach dem Münchner Attentat am Freitagabend ließ sie ihr Statement auf Samstag, 14.30 Uhr, ansetzen – da hatten US-Präsident Barack Obama und Hollande längst kondoliert. Ihr Auftritt in Berlin fand ganze drei Tage nach dem Anschlag in Ansbach statt. In der Hyperaktualität von heute, in der in sozialen Medien in Echtzeit kommentiert wird, sind das halbe Ewigkeiten. Merkel will sich erst dann verhalten, wenn ausreichend Informationen vorliegen.
Ihre Zurückhaltung hat den Nachteil, dass sie auf viele Menschen kühl wirkt. Wer sich Trost oder Orientierung von der Kanzlerin wünscht, ist bei ihr an der falschen Adresse. Hollande fuhr zum Beispiel sofort nach Saint-Étienne-du-Rouvray, wo mutmaßliche islamistische Terroristen einen Priester ermordeten – und umarmte den geschockten Bürgermeister. Solche Bilder wird es mit Merkel nie geben. Sie fährt zur Trauerfeier nach München, das hält sie für den angemessenen Ort.
Der Mangel an zur Schau gestellter Empathie lässt sich aber auch positiv deuten, nämlich als angenehme Bescheidenheit. Kein Kanzlerinnenbesuch stört die Helfer, kein prominenter Auftritt beansprucht die Aufmerksamkeit für sich. Dass Berlin den Bayern und der Münchner Polizei die Öffentlichkeitsarbeit überließ, war bundesrepublikanisch im besten Sinne. Der Rechtsstaat, so die subtile Botschaft, funktioniert in Krisen immer, auch dann, wenn die Chefin absent ist.
Die Zurückhaltung hat auch ein taktisches Kalkül. Die Taten in Bayern, so verstörend und tragisch sie waren, sind nicht vergleichbar mit strategisch koordinierten Anschlägen. Ansbach ist nicht Paris, wo Terroristen im November 2015 Besucher eines Fußballspiels, eines Rockkonzerts und Gäste in zahlreichen Bars attackierten. Merkel ist klar, sie braucht noch einen symbolischen Steigerungsraum. Wer weiß, was noch passiert.
Zugeständnisse an die Hardliner
Ganz so liberal, wie es scheint, agiert Merkel dann doch nicht. In dem Neunpunkteplan, den sie präsentierte, finden sich einige Zugeständnisse an die CSU – mit überschaubarem Nutzen. Neben altbekannten Projekten wie einer EU-Richtlinie für ein schärferes Waffenrecht oder einer Infostelle für die Entschlüsselung von Internetdaten gibt es auch Neues.
Da in Würzburg und Ansbach Einzeltäter zuschlugen, die der Polizei zuvor nicht aufgefallen waren, soll ein Frühwarnsystem her. Sobald es in Asylverfahren Hinweise auf eine Radikalisierung gebe, sollten Behörden tätig werden. Wie das gehen soll, bleibt unklar – Zivilpolizisten in Flüchtlingsunterkünften?
Am wichtigsten ist für Hardliner in der Union jedoch der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Sie soll nun mit der Polizei die Zusammenarbeit in terroristischen Großlagen üben.
Lässt Merkel solche Einsätze in Zukunft zu, dann hätten die Terrorattacken Deutschland doch relevant verändert. Und nicht zum Besseren.
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