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Angela Merkels Haltung zum BrexitFahrt auf Sicht

In der Frage des Brexits handelt die Kanzlerin wie immer: Sie wartet ab und taktiert. Andere EU-Mitglieder haben es eiliger, und auch die SPD macht Druck.

Zuwachs an Macht, Verlust an Übersicht Foto: reuters

BERLIN taz | Angela Merkel liebt es, riesige Probleme in so viele Einzelteile zu zerlegen, dass sie zu schrumpfen scheinen. In Merkels Welt existiert kein großer Wurf, stattdessen gibt es Tausende beherrschbare Schrittchen. Dass Großbritannien jetzt „eine gewisse Zeit“ brauche, könne sie nachvollziehen, sagte Merkel jetzt. Und fügte hinzu: „Wir dürfen uns eine dauerhafte Hängepartie nicht leisten.“

Das ist so eine typische Merkel-Antwort auf die nicht unwichtige Frage, wie schnell die Briten ihren Austritt aus der Europäischen Union nach Artikel 50 des EU-Vertrages erklären sollen. Zügig wäre gut, wie zügig, das sagt sie nicht. Merkel weiß, dass diese Entscheidung nicht in ihrer Macht liegt. Der gescheiterte britische Premier David Cameron will die Kündigung bei der EU seinem Nachfolger überlassen – wer das sein könnte, ist unklar. Da kümmert sich Merkel lieber um die Dinge, die sie selbst beeinflussen kann.

Mit dieser unterkühlten Analyse gerät die Kanzlerin unter Druck. Viele EU-Regierungschefs drängen auf einen schnellen Austritt der Briten, auch die SPD macht Druck. Das Signal der EU-StaatschefInnen müsse lauten: „Klarheit statt Taktiererei, entschlossenes Handeln statt Zaudern“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Bei den Sozialdemokraten brachte intern auch eine Äußerung von Kanzeramtschef ­Peter Altmaier Aufruhr. Jener hatte in einem Interview gesagt, die Politik in London solle die Möglichkeit haben, „noch einmal die Folgen eines Austritts zu überdenken“. Wenig später kam jedoch Altmaiers Präzisierung: Er habe ausdrücklich nicht den Brexit an sich gemeint.

Merkel und ihr Vertrauter funkten in punkto Zeitplan also Entspannungssignale, ohne aber Zweifel in der Sache aufkommen zu lassen. Lässt sich ein Brexit in letzter Minute verhindern, weil das Referendum nur eine beratende Funktion habe? „Wir gehen von Fakten aus“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das britische Volk habe sich für den Austritt entschieden. „Damit müssen wir politisch umgehen.“

Merkel als Führungsfigur umstritten

Merkel, so die Botschaft, glaubt nicht daran, dass sich die Wucht eines Volksentscheids nachträglich entkräften ließe. Auch in einem weiteren Punkt lässt sie keinen Zweifel. Sprecher Seibert betonte, erst wenn Großbritannien seinen Austritt offiziell erklärt habe, werde über die Modalitäten verhandelt. Ein informelles Entgegenkommen der EU, was sich mancher britische Brexit-Befürworter erhofft hatte, soll es aus Sicht der Deutschen nicht geben.

Merkel steht vor der Mammutaufgabe, die EU zusammenzuhalten. Das ist nicht einfach: Mehrere osteuropäische Staaten halten ihre Flüchtlingspolitik für einen großen Fehler. Im Süden Europas erinnert man sich bitter an die von der Deutschen durchgesetzte Sparpolitik in der europäischen Krise – Merkel ist als Führungsfigur umstritten. Zugleich wissen alle, dass die Macht der Deutschen seit dem Brexit-Votum gewachsen ist.

Interessant wird sein, ob Merkel ihren europapolitischen Kurs ändert. Die SPD setzt sich seit Freitag von ihrer marktliberalen Linie – Sparen plus Reformen gleich Wettbewerbsfähigkeit – offensiv ab. Gabriel und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz werben für mehr ­Investitionen, eine europäische Sozialpolitik und einen stär­keren Wachstumspakt. Ein ­solcher Kursschwenk würde Merkels Spardiktum konterkarieren.

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4 Kommentare

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  • Frau Merkel macht es richtig!

     

    1. haben viele nur aus Populismus und Oberflächlichkeit gestimmt

     

    2. Ist GB einer der großen Nettozahler!!

     

    Und genau deswegen will Merkel warten. Oder man hat auf den Brexit gewettet! Soros zum Beispiel, der überall seine Finger im spiel hat udn die Welt steuert! (Krysmanski)

  • Kurz gefasst: Die Briten (bzw. ihre politischen Vertreter) wissen selbst noch nicht, was sie angesichts des für sie ebenfalls unerwarteten (und eigentlich ungewollten) Abstimmungsergebnisses tun und wie sie sich positionieren sollen. Merkel setzt ihre Macht da ein, wo sie etwas bewirkt, und lässt die Finger von Problemen, zu deren Lösung sie aktuell nichts beitragen kann und in die sie sich eh nicht einmischen sollte, wenn sie sie nicht noch verschärfen will. Und das soll falsch (bzw. "unterkühlt") sein??

     

    Offenbar wäre es Vielen lieber, die Kanzlerin würde den Don Quichote machen und mit wildem Schlachtgebrüll auf die - sich unbeeindruckt weiterdrehenden - britischen Windmühlen zureiten. Es muss ja nichts bewirken, Hauptsache, die Flagge ist gezeigt und die eigene Brust ordentlich betrommelt.

    Fragt sich wieso, denn sinnvoll ist diese Erwartungshaltung keineswegs. Brauchen wir nach 11 Jahren unter einer BundeskanzlerIN doch im kritischen Moment wieder das Gefühl, mannhaft, handlungsdürstend und offensiv vertreten zu werden? Ist das Symbol von Politik mittlerweile so viel stärker gefragt als der richtige Umgang mit der politischen Realität?

     

    Zugegeben, der Brexit ist ein härterer Schlag als die meisten anderen Krisen, die Merkel in der Vergangenheit abzureiten hatte. Aber sie hat es auch damals genau so gemacht wie heute, den Schreien nach einem energischeren Auftreten getrotzt, und DAS hat sie zur beliebtesten Politikerin des Landes gemacht - bis die Flüchtlinge kamen und sie in die Offensive gegangen ist. Merkel ist sicher nicht die perfekte Kanzlerin. Aber sie wäre noch weniger perfekt, wenn sie so dumm wäre, jetzt anders zu handeln, als sie es tut.

  • Bei Frau Merkel habe ich immer das Gefühl, dass Sie alles "einschläfert". Da wo klare Worte nötig wären und da wo eine klare Haltung erforderlich wäre, wird das besonders schmerzhaft. Ich wünsche mir sehr, dass Europa eine andere Führungsrolle bekommt, wenn schon wir Deutschen mit dieser Führungsrolle in Deutschland wohl noch einige Zeit umgehen müssen, auch weil die Deutschen in der Mehrheit diese Führung offensichtlich wollen – nur nicht die Augen aufmachen, nur nicht diskutieren und ringen um die Wahrheit ...

  • Der Brexit war von David Cameron doch nur als innenpolitische Drohkulisse gedacht. Jetzt ist der Brexit da. An der Börse. Im Fussball. Jetzt herrscht allseitiges Entsetzen. Europa-Ruinen soweit der Blick reicht. Die innenpolitische Strategie von David Cameron ist gründlich schief gegangen. Bundeskanzlerin Merkel weiß, dass der deutsche Beitrag zum Sieg des Brexit leider erheblich war. "Mehr Europa" bedeutet in der EU "mehr Deutschland!". Das will niemand. Bundeskanzlerin Merkel steht vor den Scherben ihrer eigenen Europa-Politik. Das macht sie so schmallippig.