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„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“„Wir wollen keine Last sein“

Im Gelben Haus in Sigmaringen in Baden-Württemberg leben 300 Menschen in 60 Zimmern. Zusammen sein nach der Flucht – wie geht das?

In unserem Abschnitt gibt es vier Zimmer. Darin leben fast 30 Menschen – alles wird genau zugeteilt. Foto: dpa

Ein Haus am Stadtrand von Sigmaringen, einer Stadt in der südwestdeutschen Provinz, gelegen zwischen Rottweil und Biberach. Das Haus ist gelb, deshalb heißt es auch so: das Gelbe Haus. Es beherbergt Flüchtlinge, das Landratsamt betreibt es, die Caritas kümmert sich.

Drin: Das Gebäude beherbergt rund 300 Flüchtlinge in ungefähr 60 Räumen, die mit Stockbetten ausgestattet sind. Es leben dort Menschen, die allein gekommen sind, und Familien; die Bewohner kommen vor allem aus Afrika, dem Nahen Osten und aus Asien. Das Haus steht auf einem ehemaligen Militärgelände, es hat einen riesigen Keller. Einige der Bewohner warten auf ihre Pässe, andere auf eine Arbeitserlaubnis. Wieder anderen droht die Abschiebung.

Die Zimmer: In jedem Zimmer wohnen sechs bis sieben Personen. Manche Räume haben angeschlossene Toiletten, andere nicht. Die meisten Küchen werden ebenfalls geteilt. In unserem Abschnitt gibt es vier Zimmer. Darin leben fast 30 Menschen, die sich zwei Toiletten und eine Küche teilen. Die meisten haben sich an die 326 Euro Taschengeld gewöhnt. Damit kommt man gut über den Monat. Das große Gemeinschaftsbad hat zwölf Abteile; der vordere Teil wird manchmal von einigen genutzt, um anderen die Haare zu schneiden.

Traumatisiert: Ein Flüchtling aus Kaschmir, der seit fast eineinhalb Jahren mit seinen beiden Kindern hier ist, sagt: „Wir haben ein Jahr im Gelben Haus gelebt und uns so sehr daran gewöhnt, dass wir nirgendwo anders hingehen wollen. Und dann siehst du den zwölfjährigen Jungen aus Syrien, der Fußball mit den anderen Kindern spielt, und kannst dir nicht vorstellen, welche Höllenqualen er durchgemacht hat und welches Trauma er erlitten hat.“

Unterwegs nach Sigmaringen: Ein Flüchtling, der sein Leben auf der Fahrt von Libyen über das tödliche Mittelmeer riskierte, sagt, dass er Glück gehabt habe, die Fahrt zu überleben. „Meine Familie hatte schon die Totengebete für mich gesprochen. Aber nach eineinhalb Monaten konnte ich sie kontaktieren und erzählen, dass ich ein neues Leben beginne.“

Geld: Ein einzelner Flüchtling bekommt insgesamt 326 Euro, zweimal 163 Euro monatlich für Essen und andere Besorgungen. Für Familien unterscheiden sich die Beträge.

Bild: privat
Kamran Khan

Die Person: Der pakistanische Journalist Kamran Khan, 31, berichtete kritisch über die Taliban, die ihn daraufhin mit dem Tod bedrohten. 2014 floh er von Islamabad ins schwäbische Sigmaringen, wo er in einem Flüchtlingsheim wohnt und bei McDonald’s arbeitet.

Das Werk: Zehn Jahre war Khan Journalist in Pakistan und schrieb zuletzt für die Express Tribune, die pakistanische Partnerzeitung der New York Times. Seine Artikel thematisieren die Korruption, die Kinderlähmung (Polio) und den Terrorismus.

Alltagsdinge: Die Neuankömmlinge bekommen Bedarfsgegenstände wie Matratzen und Kopfkissen. Alles mögliche, auch Kleidung, kann man im Caritas-Büro in der Karlstraße günstig kaufen.

Dankbarkeit: Ein Flüchtling aus Afghanistan sagt: „Alle anderen europäischen Länder tun nicht so viel für uns wie die deutsche Regierung.“ Da die Regierung die Menschenrechte hochhalte, „müssen wir den Gesetzen dieses Landes folgen“. Ein Flüchtling aus Algerien lobt die Versorgung: „Selbst unsere Eltern haben uns nicht so gut versorgt wie die deutsche Regierung.“ Er macht sich aber Sorgen, dass er keinen Job findet, denn das monatliche Taschengeld reicht nicht, um auch noch seine Familie zu unterstützen. Ein älterer Flüchtling um die siebzig, der 2011 herkam, sagt: „Verglichen zu vorher, als es vor dem Ablauf von neun Monaten keine Arbeitserlaubnis gab und das Essen minderwertig war, ist es jetzt eine Erleichterung.“ Er spricht von der Zeit, als das monatliche Taschengeld nur 140 Euro betrug. Er befürchtet aber auch, dass der Anstieg einen langfristigen Effekt auf die Wirtschaft in Deutschland haben werde. „Wir wollen diesem Land und seinen Steuerzahlern keine Last sein. Wir alle wollen arbeiten und in Würde und Sicherheit leben.“

Alle müssen mit­helfen, die Zimmer sauber zu halten, wobei das nicht besonders gut funktioniert

Wie wir leben: Die meisten Bewohner kochen zusammen und teilen die Einkäufe auf dem Markt untereinander auf. Die Asiaten zum Beispiel holen die traditionellen Gewürze aus Albstadt-Ebingen, das etwa eine Viertelstunde Zugfahrt entfernt ist, weil man die hier sonst nirgends bekommt. Sie bringen meist genug für zwei oder drei Monate mit. Alle müssen mithelfen, die Zimmer sauber zu halten, wobei das nicht besonders gut funktioniert, wenn man die Unordnung in den einzelnen Räumen betrachtet.

Einkaufen: Der Kaufland-Supermarkt liegt ungefähr zwei Kilometer entfernt. Das Bild von den Flüchtlingen sei teilweise verzerrt, sagt einer, der aus Afrika gekommen ist: „In manchen Geschäften werden wir gleich erkannt und im Stillen zum Ausgang gejagt“ – weil einige sich danebenbenommen haben. Es ist schwer, den täglichen Einkauf zu Fuß zu erledigen. Zunächst behalfen sich alle mit einem Fahrrad, das die Heimleitung für fünf Euro zur Verfügung stellt, aber die Fahrräder werden wegen der hohen Zahl der Ankommenden schnell knapp. Der Bahnhof Sigmaringen ist drei Kilometer entfernt.

Haare schneiden: Ein erfahrener Friseur ist nur einen Anruf entfernt für jeden, der fünf Euro für einen Haarschnitt übrig hat. Das Heim hat eine Wäscherei, bei der man aber Wochenenden und Feiertage berücksichtigen muss

Putzen: Der Putzdienst für das gesamte Gebäude ist einigen Leuten aus dem Heim zugeteilt, was von der Heimleitung überwacht wird. Diese Reinigungskräfte bekommen einen Euro pro Stunde. Üblicherweise sind es die Afrikaner, die zu später Stunde dieser Arbeit nachgehen.

Glauben leben: Menschen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften und Ethnien leben im Gelben Haus: Muslime, Schiiten, Sunniten, Christen, Ahmadis. Sie alle leben mit Hoffnung auf ihren Gesichtern. Sie können ihre Religion frei ausüben hier, man kann das an dem großen Andrang beim Freitagsgebet in der türkischen Moschee beobachten. Dort können Muslime einander kennenlernen.

Arbeiten: Derselbe Mann sagt, dass die deutsche Regierung den Steuersatz für arbeitende Flüchtlinge senken müsse. Er wolle unbedingt seinen Teil zur Wirtschaft seines neuen Landes beitragen und sich in die Arbeit stürzen. „Wenn ich in einer anderen Stadt arbeite, brauche ich aber eine Fahrkarte und muss meine Miete irgendwie zahlen. Außerdem habe ich eine Familie zu ernähren.“

„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“

In einer 16-teiligen Serie haben wir Flüchtlinge gebeten, uns das zu erzählen, was ihnen jetzt gerade wichtig ist. Wie erleben sie Deutschland, worauf hoffen sie, wie sieht ihr Alltag aus? In ihren Ländern waren sie Journalisten, Autoren, Künstler. Sie mussten Syrien verlassen, Russland, Aserbaidschan oder Libyen. Jetzt sind sie in Deutschland. Was sie zu sagen haben, lesen Sie im Oktober täglich auf taz.de. Alle Geschichten gebündelt gibt es in der taz.am wochenende vom 2./3./4. Oktober, erhältlich am eKiosk.

Zum Arzt müssen: Ein Flüchtling aus einem afrikanischen Land berichtet, dass es schwierig sei, einen Arzttermin zu ergattern. „Wir müssen Stunden und Tage darauf warten, dass die zuständige Person in der Heimleitung den zuständigen Arzt kontaktiert. Vor dem Büro der Heimleitung steht täglich eine lange Schlange.“ Er zeigt auf einen Gefährten, der an Blutproblemen und einer überfetteten Leber leidet und keinen Arzttermin bekommt. Einer aus dem Nahen Osten kommt dazu und erzählt, dass er mal trotz großer Schmerzen einen Arzttermin nicht wahrnehmen konnte, weil sich kein Übersetzer fand. Sprachbarrieren sind oft ein Hindernis bei der ärztlichen Versorgung der Flüchtlinge. Manche Ärzte sprechen kein Englisch, und Dolmetscher sind oft nicht genug da.

Zur Last fallen? Ein Flüchtling aus der Gemeinschaft der Ahmadiyya, der 2012 ankam, erzählt, dass er eineinhalb Jahre auf seine Arbeitserlaubnis wartete. Damals hätten sie 40 Euro im Monat bekommen, dazu Lebensmittel, das sei ausreichend gewesen. „Heute bekommen die Flüchtlinge viel mehr Unterstützung und Hilfe dabei, Deutsch zu lernen.“ Er arbeitet in einer Fabrik und zeigt seine vernarbten Hände. Sie seien hier, um zu arbeiten, und wollten dem Land und der Bevölkerung nicht zur Last fallen. „Respekt drückt sich in Arbeit aus“, sagt er und lobt die Regierung dafür, wie sie die Flüchtlingskrise meistert. „Sie gehen über ihre Fähigkeiten hinaus und die Generationen von Einwanderern werden es ihnen niemals zurückzahlen können.“

Wie weiter? Viele kommen nach zwei Jahren in nahe Orte wie Sigmaringendorf oder Bad Saulgau. Ein Flüchtling aus dem Kosovo, dessen Familie vor zwei Jahren kam, sagt: „Wir werden in naher Zukunft abgeschoben.“ Sie wollten aber nicht zurück.

Aus dem Englischen übersetzt von Johanna Roth

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8 Kommentare

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  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Vielen Dank für Ihren Bericht, denn es herrscht ein großer Mangel an authentischen Beschreibungen!

     

    In der Tat ist es der westlichen Demokratie gelungen, den Zehnt, also der geltende Steuersatz des Altertums für Leibeigene, für Geringverdiener generös auf 6,3 % (bei 1.500 € Britto/mtl.) bis 2 % (bei Mini-Job) zu senken, so dass nach Abzug sogenannter „Sozialabgaben“ dem Geringverdiener nur noch 1.097 € für die Bestreitung des Lebensunterhaltes verbleiben. Als Dank für solch erhaltene Großzügigkeit hat er aber dafür auf die Erstattung seiner Mehraufwendungen wegen entfernt liegendem Arbeitsplatz zu verzichten, darf also nur 94,99 € monatlich als Pendlerpauschale absetzen, da er auch nur 94,99 € Lohnsteuer abführte. Darüber hinausgehende Aufwendungen für das Pendeln hat der Geringverdiener im Gegensatz zu den Besserverdienern selber zu tragen, denn er kommt mit dem Nettolohn ohnehin nur über die Runden, wenn er noch bei Mutti haust oder sonst wo Unterschlupf findet, wo er sich die Miete leisten kann.

     

    Höchst erheiternd ist nur Ihre Aufzählung „Muslime, Schiiten, Sunniten, Christen, Ahmadis“. Sie erinnert mich an ein Ereignis, das sich in einer S-Bahn zugetragen hat, an eine Unterhaltung zwischen einem Pater auf Mission und einem Fahrgast, die zufällig auf dem Weg zu ihren Flugzeugen aufeinandertrafen und sich bis dahin noch nie begegnet sind.

     

    Missionar: „Sind Sie ein Christ?“

     

    Fahrgast: „Sie hätten mich jederzeit auch fragen können, ob ich ein Jude oder Moslem bin, und sie hätten immer nur dieselbe Antwort bekommen. Denn Sie stellen eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. Denn stellten Sie diese Frage über mich dem Einen, so antwortete dieser ‚Ja‘, und stellten Sie diese Frage über mich einem Anderen, so antwortete dieser ‚Nein‘. Der Grund ist, dass beide Lügner sind. Denn die Antwort kennt nur einer. Und der antwortet nicht.“

  • Die Begründung für die Notwendigkeit der Senkung der Steuersätze für Flüchtlinge verstehe ich nicht:

     

    „Wenn ich in einer anderen Stadt arbeite, brauche ich aber eine Fahrkarte und muss meine Miete irgendwie zahlen. Außerdem habe ich eine Familie zu ernähren.“

     

    Das ist doch für alle anderen (Gering-) Verdiener auch so. Oder gäbe es dafür noch andere Argumente? Vielleicht gibt es dazu noch mehr Informationen, ich würde das gern verstehen.

    • @Wu:

      Sehe ich genauso.

       

      Vielleicht liegt das Problem darin, dass es leider, wenn überhaupt, meist nur prekäre Beschäftigungsmöglichkeiten in D gibt - für Alteingesessene wie für Neuankömmlinge - und dass damit kaum eine/r gerechnet hat.

       

      Spätestens seit Hartz IV gibt es kaum noch Jobs, von denen man trotz Vollzeitarbeit sich und seine Familie finanzieren kann. Beim Mindestlohn kommen max. 1.000 € brutto raus, oder?

      • @Hanne:

        Ja, aber das bedeutet dann ja eher, dass das Steuersystem generell im Hinsicht auf Geringverdiener, aber nicht "nur" für Flüchtende geändert werden sollte.

         

        Ich finde die künstliche Grenze zwischen Hartz4-Empfängern/Aufstockern und Geringverdiener, die kurz über dem Hartz4-Satz liegen, problematisch. Wo es für die einen normal ist, hier und da gefördert zu werden, muß sich der Geringverdiener die Taler für Miete, ÖPNV, Wohnungsaustattung, medizinische Kosten mühsam zusammenkratzen.

         

        Einmal mehr ist zu fordern: Bedingungsloses Grundeinkommen für alle statt Forderungen nach anderen Steuersätzen für Flüchtende.

  • Ein schöner Bericht, wenn man das hier mal so unkritisch sagen darf. Ohne jeden Aufreger zeigt er den Alltag in einem Flüchtlingsheim.

     

    Ach ja doch, ich habe mich aufgeregt: "Manche Ärzte sprechen kein Englisch". Wie kann denn das sein? Soweit ich mich erinnere braucht man ein sehr ggutes Abitur, um Medizin zu studieren, wogeht denn das ohne Englisch?

    • @Der Ungläubige:

      Machen Sie sich mal mit dem Bildungssystem der DDR vertraut.

      Im B-Zweig der Erweiterten Oberschule der DDR, also dem Zweig zur Erlangung der Hochschulreife im mathematisch-naturwissenschaftlichem Bereich war neben Russisch nur eine weitere Fremdsprache nötig. Dies konnten auch Französisch oder Spanisch sein.

      Auch Gregor Gysi, der auch nicht der Blödeste ist, kann auch als Jurist kein Englisch.

       

      (Bitte schnell lesen: Aus irgendeinem Grunde will man heute bei der taz nix davon wissen, wie die Ausbildungsgänge in der DDR waren. DDR darf man wohl um den 03.10. nicht erwähnen hier.)

    • @Der Ungläubige:

      Unglaublich aber wahr! Mein Mann hat selbst einen Migrationshintergrund, und am Anfang, als er noch kein Deutsch kannte, musste ich ständig mit zum Arzt weil die kein Englisch konnten! Ich glaube, wir haben in der ganzen Zeit (5 Jahre) nur einen Arzt getroffen, der einigermaßen gutes Englisch sprach.

       

      Haben wohl alle Kapazitäten beim Großen Latinum verbraucht, die Damen und Herren.

      • @Cededa Trpimirović:

        Und das Latinum - ob groß oder klein - ist schon sehr lange keine Zugangsvoraussetzung mehr für das Medizinstudium. Allerdings hält sich das Gerücht wohl hartnäckig!

         

        Es liegt wohl eher daran, dass man im Medizinstudium in den Prüfungen immer nur Kreuzchen machen muss (Multiple choice). Und ansonsten auch sehr viel einfach nur auswendig lernen muss... Das wirkt sich leider nicht nur auf die Sprachkompetenzen aus!