Anarchopanda über Vermummungsverbot: „Das ist verfassungswidrig“
In Quebec wird am Montag gewählt. Kein Grund zum Jubeln, so Julien Villeneuve alias Anarchopanda. Er kämpft weiter gegen die Verschärfung des Demonstrationsrechts.
taz: Julien Villeneuve, in Deutschland wird Kanada oftmals als die bessere Hälfte Nodamerikas dargestellt: wohlfahrtsstaatlich orientiert, multikulturell und friedfertig. Ist das Bild schief?
Julien Villeneuve: Zunehmend ja – mit unserem Potentaten Harper und seinen Konservativen am Ruder.
Warum?
Austeritätspolitiken, Gewerkschaftsfeindlichkeit und eine undemokratische Haltung zum Parlamentarismus sind Markenzeichen dieser Regierung geworden. Und ich bin mir nicht sicher, ob der starke Zuwachs für die sozialdemokratische NDP bei den vergangenen Wahlen ausreicht, um gegenzusteuern.
Aber in der Provinz Quebec, wo Sie zuhause sind, sieht es doch etwas anders aus, oder? Am Montag wird dort ein neues Parlament gewählt, und die beiden größten Parteien Quebecs sind Gegner der konservativen Regierung in Ottawa.
Auf dem Papier ist das der Fall, aber in der Praxis kollaboriert der separatistische Parti Québécois mit der Bundesregierung, und dies würden auch die Liberalen tun – zum Beispiel beim Bau von Pipelines oder bei den gegenwärtigen Geheimverhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen. Letzteres ist, was den derzeit regierenden Parti Québécois betrifft, besonders ungeheuerlich, da die Partei vermeintlich für die nationale Souveränität kämpft, wir aber alle wissen, dass Freihandelsabkommen einige erhebliche Einschränkungen der nationalen Souveränität mit sich bringen, üblicherweise zu Gunsten des Big Business.
Egal wer am Montag gewinnt; es wird wohl kaum Anlass zum Jubeln geben, obwohl ich finde, dass der Parti Québécois eine Tracht Prügel verdient dafür, dass er diese giftige Wahl auf uns abgeladen hat, wegen seines närrischen Griffs nach der Mehrheit.
In Ihrer Kostümrolle als Anarchopanda haben Sie sich als Kandidat für den Parti Nul aufstellen lassen. Die Partei versteht sich als Wahlmöglichkeit für Leute, die sich ansonsten der Wahl enthalten würden.
Julien Villeneuve ist Professor der Philophie am Collège de Maisonneuve in Montréal. Seit den Studentenstreiks in Quebec im Jahr 2012 tritt er auf Demonstrationen als Anarchopanda in Erscheinung. Dabei steckt er in einem Pandabärkostüm mit riesigem Kopf, mit dem er sich in brenzligen Situationen zwischen Demonstranten und Polizei stellt, um Gewalt zu verhindern. Seine Kritik gilt einer zunehmenden Brutalität der Poilzei Montréals.
Meine hauptsächliche Motivation war es, eine öffentliche Debatte über den Wert des Wählens und die Grenzen unseres gegenwärtigen politischen Systems anzustoßen. Ich dachte, das wäre nutzbringender als einfach nur eine weitere Moralpredigt im Sinne einer Wahlenthaltung abzusondern. Zwar halte ich eine aufgeklärte Wahlenthaltung für philosophisch vertretbarer als das meiste, was heutzutage als gute Argumente für Wahlen durchgeht. Aber es ist keine ausgemachte Sache, dass sie immer die richtige Antwort ist. Die Leute sprachen darüber, also war es erfolgreich, denke ich.
Aber Sie haben kurz danach ihre Kandidatur wieder zurückgezogen. Warum?
Weil es offensichtlich wurde, dass einige Leute eigentlich eher für mich votieren würden, statt einfach nur den Parti Nul als einen Mechanismus dafür zu nutzen, ihre Stimme ungültig zu machen. Die Idee war es ja, einfach diese Möglichkeit anzubieten und nicht, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben.
Am Montag, den 7. April, sind fast 5 Millionen Wahlberechtigte dazu aufgerufen, die Mitglieder des Parlaments von Quebec zu wählen. Die Wahl von der Minderheitsregierung des separatistischen Parti Québécois angesetzt – nach nur 18 Monaten Regierungszeit. Die Parteienlandschaft der französischsprachigen Provinz Quebec unterscheidet sich stark von dem der kanadischen Bundesebene. Gegenwärtig hält der Parti Québécois 54 Parlamentssitze, während seine größte Rivalin, die Quebec Liberal Party 49 Mandate besitzt. Erwartet wird eine Umkehrung der Machtverhältnisse. In Umfragen führen die Liberalen mit 12 Prozent Vorsprung vor dem Parti Québécois.
Als Anarchopanda sind Sie erstmals im Mai 2012 öffentlich in Erscheinung getreten, da erlebte Quebec den längsten Studierendenstreik in Kanadas Geschichte, ausgelöst durch eine drastische Erhöhung der Studiengebühren. Warum haben Sie sich für die Teilnahme an den Demonstrationen kostümiert?
Seit Beginn der Bewegung war ich gelegentlich auf Protesten unterwegs, ohne ein Kostüm, weil ich die Anliegen der Studenten unterstützte. Aber es war die Polizeigewalt und insbesondere das Schicksal des Collegestudenten Francis Grenier, der Anfang März 2012 ein Auge verlor, die mich dazu veranlassten, mich stärker einzumischen. Ich erwog sogar, einen Hungerstreik anzufangen, um die Regierung dazu zu bringen, mit den Studentenvertretern zu verhandeln, was sie auch noch Monate nach Streikbeginn und etlichen verletzten Studenten und Unterstützern weiterhin ablehnte. Aber jeder sagte mir, wie blöd das sei, und bat mich, mir bitte was anderes einfallen zu lassen. So dachte ich mir Anarchopanda aus.
Warum ein Pandakostüm?
Das schaute hübsch aus und war billig. Es hätte auch etwas anderes sein können, obwohl die Übereinstimmung der Panda-Farben mit denen des Anarchopazifismus ein netter Zufull ist. Aber sie ist eben nur Zufall.
Der studentische Massenprotest trug zu einem Regierungswechsel in Quebec im September 2012 bei. Und die gegenwärtige Minderheitsregierung unter Noch-Premierministerin Pauline Marois zog die Studiengebührenerhöhung wieder zurück. Ein Beweis dafür, dass ziviler Ungehorsam doch etwas ändern kann?
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Ich bin froh, dass die Gebühr zum größten Teil wieder rückgängig gemacht wurde, aber das ist wohl kaum das, was ich als Wandel bezeichnen würde. Der Parti Québécois nutzte die Studierendenbewegung, um gewählt zu werden, wie Parteien das immer so machen, und gab den Studenten dann etwas für ihre zumeist widerwillige Mitarbeit zurück. Selbstverständlich finde ich das alles nicht besonders erbaulich. Aber ja doch, die Studenten haben dem Establishment ein wenig Angst eingejagt, sie zeigten, dass andere Formen der Organisation möglich sind, und sie haben einander viele Dinge gelehrt, die in gegenwärtigen und zukünftigen Auseinandersetzungen von Nutzen sind. Das ist schon eine Verbesserung.
Auseinandersetzungen gibt es in Montreal und Quebec derzeit vor allem über die Einschränkungen des Demonstrationsrechts, die als Reaktion auf die Studentenproteste verhängt wurden. Laut des Gemeindeerlasses P-6 müssen Demos in Montréal angemeldet und muss die vorgesehene Route von der Polizei genehmigt werden. Außerdem herrscht ein Vermummungsverbot. Restriktionen, die im deutschen Gesetz fest verankert sind und kaum in Frage gestellt werden.
Für Paraden teilt man vielleicht vorab die Marschroute mit, doch nicht für Proteste. Proteste können spontan sein. Und was vielleicht noch wichtiger ist: eine Route vorzulegen und dann ihre Einhaltung durchzusetzen ist schon an sich hierarchisch. Und wir wollen nicht unsere sozialen Bewegungen zwingen, sich in dieser Weise zu organisieren. Zumindest will ich das sicher nicht. In Sachen Maskierung stehen die Dinge noch schlechter, da das Bundesparlament vergangenes Jahr ein Gesetz verabschiedet hat, das bis zu 10 Jahre Gefängnis für das Tragen einer Maske während ungesetzlicher Versammlungen und Ausschreitungen vorsieht – was einfach lächerlich ist. Die Strafgesetzbuch sah zuvor schon vor, Kriminelle für das Maskiert sein während ihrer Taten stärker zu bestrafen.
Ich bin der Meinung, dass diese Verfügungen verfassungswidrig sind und völlig ungerechtfertigte Beschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit darstellen. Und sie sind in einem globalen Kontext der Kriminalisierung von Dissens und der Verschärfung von Formen sozialer Kontrolle zu betrachten. Es sind unsere Straßen und Plätze, wo wir uns zum Protest versammeln. Diese Aktivitäten sind legitimer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Und das Recht die eigene Identität zu schützen, während man demonstriert, ist in unserer Welt der zunehmenden Massenüberwachung umso wichtiger.
Das Vermummungsverbot betrifft Sie bei ihrer Performance als Anarchopanda natürlich besonders: Wie oft haben Sie seit Inkrafttreten von P-6 schon ein Bußgeld erhalten, weil die Polizei Sie während einer Demonstration im Kostüm angetroffen hat?
Nur einmal, im April 2013, als die Polizei meinen Kopf konfiszierte. Ich glaube, insgesamt hat bisher nur eine einzige andere Person einen Strafzettel erhalten, dafür dass sie einen Schal trug – im Mai 2013, während eines Protests gegen Polizeibrutalität. Es war kalt, auch ich hätte einen Schal getragen, wäre ich nicht im Kostüm gewesen.
Die Polizei behielt Ihren Panda-Kopf ein mit der Begründung, er diene als Beweismittel gegen Sie. Wie war es eigentlich für Sie, so „kopflos“ zu sein?
Ursprünglich war ich ziemlich angepisst, weil, hey, das ist mein Kopf. Wer weiß, was die Polizisten mit ihm getrieben haben. Aber dann sind die Medien auf den Zug aufgesprungen und drehten regelrecht durch. Und ich dachte, das ist zugleich absurd und wunderbar. Die Leute begannen wieder über P-6 zu sprechen, und beinahe wäre es uns gelungen, Teile der Verordnung durch die Gemeindevertretung außer Kraft setzen zu lassen. Ehrlich, für diese Sorte Shitstorm hätte die Polizei den Schädel als Trinkgeld behalten können...War nur ein Scherz. Der Kopf ist meiner.
Der Shitstorm offenbarte, dass Sie über das akademische Milieu Montreals hinaus eine massive Popularität genießen. Wie gehen Sie mit ihrem „Celebrity Status“ um?
Die Leute wissen nicht, wie ich in menschlicher Gestalt aussehe, das ist die Hauptsache. Auf der Straße werde ich nicht erkannt, die Leute belästigen mich großartigerweise weder mit Kritik noch mit Lob. Allerdings spendiert mir auch niemand exotische Drinks, wenn ich abends ausgehe. Ist zwar irgendwie blöd, aber doch nur ein kleiner Preis, den ich dafür zahle, ein Privatleben zu haben. Natürlich muss ich vorsichtig mit dem „Status“ umgehen, der mir zugefallen ist. Ich versuche ihn nur dafür zu verwenden, anderen Menschen zu helfen, an was anderes denke ich überhaupt nicht. Ich finde es gut, von den Leuten respektiert zu werden. Aber alles, was darüber hinaus geht, ist albern.
Hat es Ihnen, seit Sie als AnarchoPanda unterwegs sind, schon jemand nachgemacht und ist für eine Demo in ein Plüschbärkostüm geschlüpft?
Es gab eine kleine Zahl von anderen kostümierten Protestierenden, insbesondere die Rabbit Crew. Aber wir haben nicht das gleiche Ziel vefolgt. Sie bewegten sich meist in der großen Tradition der Protestclowns, zeigten der Polizei die lange Nase und fügten dem Protest, der an sich schon sehr langweilig sein kann, Elemente des Spaßes und der Absurdität hinzu. Ich habe das auch getan, aber die Hauptidee war, zu schauen, was während der Übergriffe der Polizei passiert.
Wann waren Sie zuletzt im Kostüm von Anarchopanda unterwegs?
Am vergangenen Donnerstag, während der Demo gegen Austerität in Montréal, die von ASSÉ (Association pour une Solidarité Syndicale Etudiante) organisiert wurde, der hauptsächlichen Kraft hinter den Studentenstreiks 2012. Derzeit trage ich das Kostüm nur für sie oder bei Gelegenheiten, die mit P-6 zu tun haben. Das Kostüm anzuhaben ist eine ziemlich unangenehme Erfahrung, deshalb versuche ich es zu vermeiden, wenn ich nicht wirklich das Gefühl habe, dass es was nützt.
Und wann haben Sie das letzte Mal während einer Demonstration einen Polizisten umarmt?
Oh, das ist schon eine Weile her. Das war 2012. Insgesamt habe ich es lediglich geschafft, etwa zehn Polizisten zu umarmen. Tatsächlich ist es mir aber gar nicht so wichtig, Polizeibeamte zu umarmen, sie sollten ja längst wissen, dass wir während Protesten nicht gefährlich sind, es sei denn, sie verhalten sich uns gegenüber repressiv. Es sollte gar nicht notwendig sein, sie zu umarmen, um diesen Sachverhalt klar zu machen. Aber so hat man wenigstens etwas zu tun, wenn man mal nicht am Laufen ist oder bei Polizeiübergriffen interveniert.
Auf Twitter wird Anarchopanda in Kürze 9000 Follower haben, folgt aber selbst gerade mal einem Account – dem der Polizei. Die folgt Anarchopanda aber nicht. Ein Akt der Unfreundlichkeit, dafür, dass die Polizei so privilegiert ist, oder?
Die wirkliche Fangemeinde tummelt sich auf Facebook – über 19.000 Leute. Ich folge der Polizei auf Twitter nur während eines Protests, üblicherweise um die falschen oder unvollständigen Informationen zu widerlegen, die sie sendet, um die Medien zu beeinflussen. Seien Sie versichert, dass die Polizei mir tatsächlich doch folgt und das ich das nicht als Zeichen von Freundlichkeit interpretiere.
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