: An die Fleischtöpfe
Seit viele Frauenstudiengänge zu „Gender Studies“ werden, streben auch Männer auf die Lehrstühle, die von Frauen erkämpft wurden
von EIKEN BRUHN
Ob Hebamme, Aupair oder Prostituierte – es gibt keinen Frauenberuf, für den sich Männer zu schade sind. Nicht einmal vor dem Posten der städtischen Gleichstellungsbeauftragten schrecken sie zurück. In Berlin hat es Gregor Gysi sogar zur Frauensenatorin gebracht. Fällt nun die allerletzte Bastion: Werden Männer auch Frauenforschungsprofessorin?
An der Hochschule Bremen war es im vorigen Jahr schon fast so weit. Eine Herrenriege setzte trotz hoch qualifizierter Bewerberinnen einen Kollegen auf Platz eins der Berufungsliste für den Internationalen Frauenstudiengang Informatik. Nach monatelangem Hickhack wurde schließlich doch noch eine Frau berufen. Ob die aber zusagen wird, ist ungewiss. Sie hat mittlerweile mehrere Optionen und will sich erst im April entscheiden. Sagt sie ab, muss die Professur neu ausgeschrieben werden.
An der Münchner Uni kämpften Frauen jahrelang für eine Geschlechterforschungsprofessur – die zweite in Bayern. Favorit für die C3-Soziologieprofessur, so sickerte durch, sei ein Mann, der Transsexualitätsforscher Stefan Hirschauer. Jetzt muss der bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) entscheiden, wen er beruft: Zur Auswahl stehen zwei Frauen und zwei Männer. Als der Deal im vergangenen Jahr bekannt wurde, plädierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung für Hirschauer. Mensch, Mädels, so der Tenor des Artikels, seid doch froh, dass ihr einen Mann bekommt. Das könne der „Reputation der Disziplin“ nur gut tun.
„Männer werden jetzt nachziehen, da sie nun auch in diese Disziplin dürfen“, sagt die Dortmunder Frauenforscherin Sigrid Metz-Göckel. „Das ist ihre Vorstellung von Gerechtigkeit.“ Die Australierin Susan Sheridan nennt das Phänomen male me-too-ism, männlichen Ichauchismus. Sheridan warnte bereits vor zwölf Jahren vor der langsam durchsickernden Erkenntnis bei männlichen Geistes- und Sozialwissenschaftlern, dass im Feld der Frauenforschung zuweilen auch Lehrstühle vergeben werden. Erleichtert wird den Männern die Bewerbung dadurch, dass Frauenforschung zunehmend als Geschlechterforschung bezeichnet wird. Bei diesem Begriff denkt niemand mehr an die Frauenbewegung und an Seminare, in denen sich Frauen über Ungleichheit und Männergewalt beschweren. Der neue Name klingt schön neutral nach Wissenschaft.
Edda Ziegler ist Philologin an der Universität München und hat sich als ehemalige Frauenbeauftragte für die umstrittene Soziologieprofessur für Geschlechterforschung stark gemacht. Sie glaubt, dass der Münchner Fall eine Tendenz andeutet, mit der in Zukunft öfter zu rechnen sei. Ziegler beobachtet, dass Männer sich im Studium gezielt um Geschlechterthemen bemühen, nachdem das jahrzehntelang eine Frauendomäne war und von Männern geschnitten, wenn nicht sogar bekämpft wurde. Die Frauen hingegen würden Seminare wie „Feministische Sprachkritik“ meiden, aus Angst, in die Frauenecke gestellt und dort vergessen zu werden. „Mittlerweile machen Männer fast die spannenderen Sachen“, findet Ziegler.
Das gesteigerte Interesse einiger Männer an Genderthemen spiegelt sich auch in den Studentenzahlen. Im einzigen deutschen Hauptfachstudiengang „Gender Studies“ an der Humboldt-Universität Berlin sind immerhin 20 Prozent männliche Studierende eingeschrieben. Liegen Männer jetzt also scharenweise auf der Lauer, um sich die Stellen unter den Nagel zu reißen, die es ohne das Engagement der Frauenforscherinnen gar nicht gäbe? Der promovierte Berliner Geschlechterforscher Peter Döge winkt ab. „Das ist hier keine Invasion.“ Neben ihm gebe es gegenwärtig gerade mal fünf bis zehn Männer in Deutschland, die in Geschlechterforschung promoviert oder sich habilitiert haben und damit für eine Professur überhaupt in Frage kämen.
Auch Ulla Bock von der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin geht nicht davon aus, dass Frauen bei der Vergabe von Professuren in der Frauenforschung nun verdrängt werden. Mit Blick auf den hohen Männeranteil bei den Gender Studies an der Humboldt Uni allerdings sagt sie: „Wenn die eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben, kann man an denen nicht vorbei.“ Mehr Absolventen – schlechtere Jobchancen. Bock befürchtet zudem, dass in Zukunft kaum noch neue Professuren eingerichtet werden. Auch ob nach der Pensionierung der jetzigen Lehrstuhlinhaberinnen wirklich alle Stellen wieder besetzt werden, steht in den Sternen. Von deutschlandweit 103 bestehenden Professuren sind zurzeit 21 unbesetzt. „Die Universitäten sparen“, so Bock. „Und wenn Geld ausgegeben wird, dann zuletzt für die Frauenforschung.“
Die Uni Bremen etwa hat drei 1998 beschlossene Stellen bis auf weiteres eingefroren. Und an der Universität Hamburg wurde aus einem Programm zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft der Genderaspekt bei einer Mathematikprofessur gestrichen; jetzt wird zwar eine Frau Mathematik lehren, aber ohne Gender-Schwerpunkt. An der Berliner Humboldt-Universität hingegen sind immerhin zwei Juniorprofessuren explizit für Frauen ausgeschrieben, eine in Geschichte und eine in Afrikawissenschaften. Wermutstropfen: die Juniorprofessuren sind auf drei Jahre befristet.
Sigrid Metz-Göckel wundert sich nicht über diese Entwicklung. „Die Chance, eine Professorenstelle zu ergattern, ist für einen Mann immer besser“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. Seit 1982 ist sie Leiterin des Dortmunder Hochschuldidaktischen Zentrums und Expertin für die Rolle von Frauen und Männern an der Hochschule. Trotz eines stetig wachsenden Anteils von Frauen, die nach dem Studienabschluss mit Promotion und Habilitation die Unilaufbahn einschlagen, dümpelt der Anteil der Professorinnen immer noch bei neun Prozent.
Aber was tun? Die Jungs und ihre Arbeit ignorieren? Das sei als Prinzip im Wissenschaftsbetrieb nicht durchsetzbar, sind sich die Wissenschaftlerinnen einig. Und theoretisch begrüßt Metz-Göckel das wissenschaftliche Engagement von Männern. Praktisch würde sie im Einzelfall dennoch eine Frau bevorzugen. Das sei auch wichtig, um die Dominanz von Männern in den Hochschulgremien abzubauen. Solange dort Männer nahezu automatisch als besser qualifiziert angesehen und bei der Vergabe von Professuren bevorzugt werden, „müssen Männer ausgeschlossen und Stellen für Frauen reserviert werden“, findet Metz-Göckel.
Ein Satz, den Willi Walter gar nicht gerne hört. Der 35-Jährige hat in Kanada Women’s Studies studiert, seine Magisterarbeit über Gebärneid geschrieben und ist Koordinator des „Arbeitskreises Kritische Männerforschung“. Nach drei Versuchen hat er sein Promotionsvorhaben aufgegeben, weil es bei der Vergabe von Stipendien stets geheißen habe: „Das können wir den Frauen nicht wegnehmen.“
Früher sei im Arbeitskreis ernsthaft diskutiert worden, zugunsten der Frauen Selbstverzicht zu üben, so Walter. Eine Position, die er nie geteilt habe, da es in der Geschlechterforschung nicht nur um Frauen gehe, sondern um die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit. Walter fordert eine Quotierung: Ein Viertel der Professuren in der Geschlechterforschung mit Männern zu besetzen „wäre kein Missverhältnis“. Problematisch findet er, wenn diese Professuren aber ausgerechnet mit Männern wie Hirschauer besetzt werden. „Der hat von Frauen viel Beachtung bekommen und erkennt umgekehrt deren Arbeit überhaupt nicht an.“
Das sieht Peter Döge anders. Der Berliner Männer- und Geschlechterforscher hat seine Doktorarbeit über ein Männerthema geschrieben und saß damit zwischen allen Stühlen, misstrauisch beäugt von Männern wie Frauen. Er sieht keinen Grund, warum sich Transgenderspezialist Hirschauer auf die Frauenforschung beziehen sollte, die sei schließlich nur Teil eines größeren Ganzen: der Geschlechterforschung. Ebenso wenig würde Döge die Forderung unterstützen, Männer sollten sich für eine Professur für Männerforschung einsetzen: Männer- und Frauenforschung seien thematisch zu beschränkt, der Geschlechterforschung gehöre die Zukunft.
Anders als Walter sieht er keinen Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Forschenden und deren Forschungsobjekt: „Die Forschung definiert sich über den Gegenstand.“ Sagt’s und würde es trotzdem begrüßen, wenn mit Hirschauer erstmals ein Mann eine Professur für Geschlechterforschung bekäme.
EIKEN BRUHN, 28, hat in Bristol „Women’s Studies“ (inklusive Genderthemen) studiert. Sie lebt als freie Journalistin in Bremen und Berlin
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