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Amoktat gegen Zeugen Jehovas in HamburgSechs Tote, keine Strafen

Gut ein Jahr nach der Tat ist das letzte Verfahren gegen einen Mitarbeiter der Waffenbehörde eingestellt – wegen Mängeln im Waffengesetz.

Hätte es verhindert werden können? Po­li­zis­t:in­nen vor dem Königreichsaal der Zeugen Jehovas, dem Tatort des Amoklaufs Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen einen Mitarbeiter der Hamburger Waffenbehörde eingestellt. Er soll einem Hinweis auf die psychische Instabilität des späteren Amoktäters gegen die Zeugen Jehovas nicht angemessen nachgegangen sein. Damit sind die strafrechtlichen Ermittlungen zu der Amoktat in Hamburg-Alsterdorf im März 2023 abgeschlossen.

Der Täter Philipp F. hatte bei einer Andacht im Königreichssaal der Zeugen Jehovas an der Deelböge sechs Menschen und einen Fötus getötet sowie zahlreiche Menschen verletzt. Danach hatte er sich erschossen.

Für Verfehlungen vor der Tat wird also absehbar niemand zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei gab es derer eine ganze Reihe. Der damalige Mitarbeiter der Waffenbehörde mit Namen K., der seit einem Jahr vom Dienst suspendiert ist, soll den schwersten Fehler begangen haben.

Am 16. Januar 2023 bekam er einen Anruf aus dem Hanseatic Gun Club, wo Philipp F. schießen gelernt und seine Waffensachkundeprüfung abgelegt hatte. Anrufer war ein Mitarbeiter des Schießclubs namens S., der F.s Prüfung abgenommen und dabei zahlreiche Verfahrens- und Formfehler begangen hatte. Weil K. sich mit einem Nebenjob als Schießtrainer im Hanseatic Gun Club etwas dazuverdient hatte, kannte man sich – zumindest so gut, dass S. sich nicht offiziell bei der Waffenbehörde meldete, sondern auf K.s privatem Telefon in dessen Freizeit.

Bruder des späteren Amoktäters warnte per Brief

Der Grund seines Anrufs: Beim Gun Club hatte sich der Bruder von Philipp F. gemeldet. Er hatte erfahren, dass dieser dort sein Schießtraining absolvierte hatte, und machte sich Sorgen über Philipp F.s psychischen Zustand, wollte wissen, wohin er sich damit wenden könne. Nach der Rückfrage bei K. richtete S. dem Bruder des späteren Amoktäters aus, dieser solle sich direkt an die Waffenbehörde wenden, „schriftlich oder telefonisch, anonym oder unter Nennung seines Namens“, wie es in der Mitteilung des Staatsanwaltschaft zur Verfahrenseinstellung heißt.

Der besorgte Bruder folgte dem Rat: Er schrieb einen anonymen Brief, der eine Woche später bei der Waffenbehörde einging und schließlich bei K. auf dem Schreibtisch landete. Der behandelte das Schreiben wie einen x-beliebigen, anonymen Hinweis. Er fragte lediglich polizeiliche Erkenntnisse über F. ab und veranlasste einen unangekündigten Hausbesuch, bei dem zwei Beamte kontrollierten, ob F. seine Waffe und die Munition ordnungsgemäß im Tresor eingeschlossen hatte. Bis auf eine Patronenhülse war das der Fall.

Hamburgs damaliger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer rechtfertigte nach dem Amoklauf das zaghafte Vorgehen seiner Waffenbehörde öffentlich damit, dass es sich um ein anonymes Schreiben gehandelt habe. Solche Hinweise gingen bei den Behörden in so großer Zahl und nicht selten in denunziatorischer Absicht ein, dass es nicht möglich sei, allen gründlich nachzugehen.

K. hatte weder eine Notiz über das Telefonat mit dem Mitarbeiter aus dem Schießklub angefertigt noch seinen Vorgesetzten gemeldet, dass er über Philipp F. informiert gewesen war und das der Form nach anonyme Schreiben also sehr wohl einem mutmaßlichen Absender zuzuordnen war. Hätte er das getan, so nimmt die Staatsanwaltschaft an, hätte die Waffenbehörde Rücksprache mit der Familie von ­Philipp F. gehalten und Details über das Ausmaß von dessen seit Jahren bekannter psychischer Störung erfahren. Dann wäre sie vermutlich robuster vorgegangen und hätte F. im Zuge der Gefahrenabwehr die Waffe abgenommen.

Kritik am Waffengesetz

Genau da liegt der Knackpunkt: Die Generalstaatsanwaltschaft ist zwar überzeugt, dass K. sich einer beamtenrechtlichen Sorgfaltspflichtverletzung schuldig gemacht hat, einer sogenannten „Schlechtleistung“ nach dem Beamtenstatusgesetz. Die Strafverfolger konnten letztlich nicht sicher davon ausgehen, dass in diesem Fall die spätere Mordwaffe, eine Pistole Heckler & Koch P 30, von Philipp F. sofort sichergestellt worden wäre. Das wäre aber die Voraussetzung für eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen K. gewesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft übt in ihrem Beschluss erneut deutliche Kritik am deutschen Waffengesetz: Die einschlägigen Paragrafen seien „unterschiedlich interpretierbar“, sie böten keine Gewähr dafür, eine Schusswaffe – wenigstens vorläufig – zu entziehen, selbst bei einem „validen Verdacht einer psychischen Erkrankung des Waffenträgers“, heißt es in ihrer Mitteilung.

In der Regel sei stattdessen die Einholung eines psychologischen Gutachtens geboten. Und das sei so langwierig, dass dadurch „die Amoktat vom 9. März 2023 zeitlich bedingt nicht mehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können“.

Schon als sie die Verfahren wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten in Waffensachkundeprüfungen – nicht nur der von von Philipp F. – einstellte, hatte die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft das Fehlen einer bundeseinheitlichen Prüfungsordnung bemängelt.

Der Norddeutschland-Sprecher der von der Amoktat betroffenen Zeugen Jehovas, Michael Tsifidaris, sieht ebenfalls Handlungsbedarf beim Gesetzgeber: Man schätze „die bisherige Zusammenarbeit und Hilfe der Sicherheitsbehörden“ und nehme die aktuelle Einstellungsentscheidung zur Kenntnis, schreibt er. „Gleichzeitig hoffen wir, dass Gesetzgeber und Behörden die notwendigen Schlüsse aus dem Geschehenen gezogen haben und entsprechende Maßnahmen für die Zukunft ergreifen.“

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  • Das wir weniger Amokläufer haben als die USA liegt lediglich an der unterschiedlichen Waffendichte.