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Amoklauf in ÖsterreichKein Aufschrei in der Festung

Am Sonntag schoss ein Neonazi in Österreich wahllos in die Menge und tötete zwei Menschen. Wie gut, dass es kein Islamist war – oder?

Der Tatort in Nenzing, in Österreich Foto: dpa

Drei Tote, zwölf Verletzte. Um drei Uhr früh am Wahlsonntag in Österreich. Gregor S. schoss bei einem Rockerfest in Vorarlberg auf 150 Menschen, seine Freundin stand neben ihm. Am Ende tötet er sich selbst. Man erfährt, er sei polizeibekannt, er stand in ideologischer Nähe zu Neonazis, gegen ihn bestand ein Waffenverbot. Am 23. Mai bei Twitter fragt einer: „Hat eigentlich jemand mitbekommen, dass es gestern einen rechtsterroristischen Anschlag in #Österreich gegeben hat?“

Wahrscheinlich schon. Aber nicht genug Menschen. Die Meldungen kamen schleppend, die Trauerbekundungen erst recht. Wenn der Täter islamischen Hintergrund gehabt hätte, was wäre passiert? Hätte Van der Bellen trotzdem am Ende gewonnen oder hätte die unmittelbare Empörung noch mehr Anhänger Hofers mobilisiert?

Warum schreien Politik, Gesellschaft und Medien bei dem einen Hintergrund von Tätern so laut auf, dass man meinen könnte, keiner in der westlichen Welt kann sich mehr sicher durch die Straßen bewegen? Bei rechtsextremen Ideologien bleibt der Aufschrei jedenfalls bescheiden. Bilanz: Beziehungsdelikte unter der Rubrik Panorama, denn er hatte sich kurz davor noch mit seiner Freundin gestritten.

Man stelle sich nur vor, in dieser Nacht hätte ein junger Moslem, ohne weitere Nähe zum IS, auf einem Konzertgelände mit einer Kalaschnikow um sich geschossen. Und zuvor mit seiner Freundin gestritten! So viele Steine hätte Europa gar nicht, wie es Mauern hochziehen wollen würde.

Ein europäisches Problem

Ja, ich kann das natürlich in Teilen selbst erklären: Hier agiert kein selbsternannter „Islamischer Staat“, sondern ein Einzelner. Das ist keine Ausweitung der Kampfzonen aus dem Nahen Osten auf Europa, sondern ein innereuropäisches Problem. Wobei wir da schon wieder bei den Gemeinsamkeiten wären: Die Terroristen, die uns in den letzten Monaten angegriffen haben, waren ein europäisches Problem: Es gibt auf diesem Kontinent eben offensichtlich diverse Ideologien, Strukturen und Waffen, um die Festung Europa auch innerhalb ihrer Mauern explosiv werden zu lassen.

Nach Anders Breivik stand Norwegen geschlossen da. Im deutschsprachigen Raum gilt diese klare Kampfansage dem anderen Terror, dem, den inzwischen alle fürchten und schon bei jedem Halbverwirrten, der in München „Allahu akbar“ schreit, alle Menschen islamischen Glaubens in Sippenhaft nimmt.

In den USA wird oft kritisiert: Wenn ein Schwarzer eine Straftat begeht, müssen immer alle Schwarzen dafür bezahlen. Dies lässt sich seit dem 11. 9. auf Muslime übertragen. Es wurde mit Breivik kein Typ, den er darstellt, unter Generalverdacht gestellt. Fürchtet den weißen, blonden, blauäugigen jungen Mann, der „Mein Kampf“ gekauft hat? Undenkbar. Und ach ja, „Mein Kampf“ kaufen ja ohnehin wieder fast alle.

Die Sippenhaft wird auch bei Gregor S. ausbleiben. Man wird hier nach individuellen Aktivitäten suchen, die rechtfertigen, wenn ein Mensch in dieser Szene unter Verdacht gestellt wird. Das ist auch gut so – das sollte Europa nur mit allen gleichermaßen so handhaben.

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16 Kommentare

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  • Wenn ein Gewalttäter, der in der rechten Szene aktiv ist, einen persönlichen Streit hat, dann ist das keine rechtsextreme Tat. Von daher ist der Kommentar etwas neben der Sache.

    Allerdings sollten wir uns schon fragen, wie es möglich ist, dass ein polizeibekannter Gewalttäter Zugang zu Waffen hat. Dass dieser Aufschrei ausgeblieben ist, hat vermutlich durchaus damit etwas zu tun, dass rechtsextreme Gewalttäter weniger als Bedrohung empfunden werden als islamistische Gewalttäter.

    • @Velofisch:

      Sie sagen es. Es ist schon bedenklich, dass aus der Leserschaft auf solch einfache Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden muss.

       

      Nach allem, was zu lesen war, hat der Täter weder seine Tat mit seiner rechtsextremen Ideologie gerechtfertigt noch ist sie daraus zu erklären. Vielmehr könnten sowohl Ideologie als auch Tat von einer psychischen Störung herrühren.

  • Wie kann denn ein Na®zi(sst) sein Ideal von sich abspalten?

     

    Die Deutschen sind die Deutschen sind... Zu viele von ihnen halten eher einen großen, blonden, blauäugigen Irren für einen, der dazu gehört, als den gutmütigen schwarzgelockten Gemüsehändler von nebenan. Den Österreichern, scheint mir, geht es ausgesprochen ähnlich.

  • 3G
    33641 (Profil gelöscht)

    "Individuelle Aktivitäten" - So hieß es auch beim Oktoberfestattentat, obwohl sich die Spuren bis zu staatlichen Geheimorganisationen zurückverfolgen ließen.

  • so schwer ist der Unterschied doch nicht zu verstehen. Wenn ein Islamist nach Streit mit seiner Freundin 2 Menschen niederschießt oder -sticht oder was auch immer und dann sich selbst tötet, wird man von einer Spontantat und nicht einem Anschlag ausgehen. Egal, welchen Hintergrund er hat. Soll jetzt bei jeden Tötungsdelikt gefragt werden, welche politische Ausrichtung der Täter hatte und dann ist es ein Anschlag aus einem bestimmten Milieu....?

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Das ist keine Ausweitung der Kampfzonen"

     

    Unsere Kampfzone ist der Rechtsextremismus und seine systemischen Grundlagen im postfordistischen Dispositiv. Würden die Menschen bei uns etwas anderes als Leistungsfixierung, Strampeln in der Konkurrenz und Narzissmus lernen, dann gäbe es weder eine AfD noch eine Instrumentalisierung des Islam und der ihm zugeneigten Gläubigen.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Danke - wenn ich von einem Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, zwischen 'Kapitalismus' und 'Politik' spreche bringe ich, so meine bisherige Erfahrung, zwei Bereiche zusammen, die in den Köpfen der Gegenüber so getrennt sind, dass eine mögliche und nach mir argumentierte Verflechtung verständnislose Ablehnung hervorruft. Ich finde: Die gesellschaftliche Struktur ist das Problem, 'der Nazi' die Ausgeburt, ähnlich wie Terroristen. Produzierte unsichere Identitäten, Ab- und Ausgrenzung, als Dialog getarnte Monologe, Ellenbogengesellschaft - wer glaubt, dass die Verlierer (derer es viel mehr gibt) sich stillschweigend und weinerlich alles bieten lassen, wird besseren/schlechteren belehrt.

      Wir ernten immer wieder die Früchte unserer vergangenen Taten und wenn wir nicht im Heute anfangen, eine grundlegende Veränderung anzustreben wird der Morgen sich auch nicht ändern.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Beifall!!!

       

      Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!

       

      Der NARZISSMUS wird die Gesellschaften zerstören!

  • War es ein rechtsterroristischer Anschlag ? Oder ein Rockerkrieg ? Oder hat der Person einfach nur die Musik nicht gefallen ?

     

    Der Artikel nimmt leider zu schnell einen Beißreflex ein und versucht nicht mal ansatzweise die das Geschehene Aufzuarbeiten.

    • @Tinitus:

      gute Frage, zumal gerade bei Rockern rechtsextremes Gedankengut nicht unbedingt die ganz seltene Ausnahme ist. Wenn demnächst jeder Rockerkrieg - wo ein Faschist einen anderen niederschießt - zu einer rechtsextremen Straftat wird, dann werden sich die "echten" Opfer bedanken.

    • @Tinitus:

      Interessiert es denn beim Moslem jemanden, ob es irgendwelche privaten Probleme sind, die ihn zu Gewalttaten verleiten? Nee, da isses immer der Islam. Und genau darum geht es in diesem Artikel.

  • Niedliche Argumentation.

    • @lulu schlawiner:

      Ich fand sie ganz überzeugend. Dann habe ich natürlich Ihren Kommentar gelesen und Ihre Gegenargumente. Jetzt finde ich sie immer noch überzeugend.

    • @lulu schlawiner:

      Schön bequem auf dem hohen Ross?

  • Für die meisten Leute macht es eben einen Unterschied, ob jemand im Namen einer Religion/Ideologie mordet oder ob es im Affekt aus verschmähter Liebe, aufgrund eines Streits, psychischen Problemen oder anderen derartigen Motiven passiert. "Normaler Amoklauf" vs. Terroranschlag.

     

    Das ist nicht schwer zu verstehen. Die meisten Bürger, Medien, Politiker unterscheiden so.

     

    Der Aufschrei und die Aufmerksamkeit wäre groß, wenn ein Neonazi gezielt ausländische Bürger getötet hätte. War aber hier nicht der Fall.