Ambitionen der Hamburger AfD: Schillernd im Hanseatenpelz
Mit abgestuft radikalen Auftreten wollen die Spitzenkandidaten der AfD ihren Bürgerschaftswahlkampf führen. Im Visier haben sie das Hamburger Bürgertum.
In Hamburg ist ein schillernder Bürgerschaftswahlkampf zu erwarten: Hier will die AfD das erste Landesparlament im Westen erobern. „Wir wollen das gute Hamburger Bürgertum vertreten“, erklärt Jörn Kruse. Sieben bis acht Prozent der Stimmen hofft der Spitzenkandidat und Landesvorsitzende am 15. Februar kommendes Jahres zu erreichen.
Schon jetzt steht fest: Der Landesverband will nicht auf ehemalige Mitglieder der „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ (Schill-Partei) verzichten. Ebenso wenig auf Positionen weit rechts von der Union.
Im Landesverband scheinen schon die Rollen der drei Spitzenkandidaten Jörn Kruse, Bernd Baumann und Dirk Nockemann festgelegt zu sein. Zurückhaltend tritt Kruse, der Professor für Wirtschaft auf. Im Wahlkampf will er sich vor allem um „Wirtschaft und Bildung“ kümmern, wie er auf dem Parteitag Ende vergangener Woche ankündigte.
Die Einrichtung von Leistungszentren an Gymnasien stelle er sich vor und den Inklusionsprozess an den Schulen stoppen – für Kruse eine ideologisch betriebene Zwangsvereinigung mit Schülern mit Behinderungen, die keinem gerecht werde, aber teuer sei.
Die Partei, versichert AfD-Bundesvorsitzender Bernd Lucke, sei nicht von Schillianern unterwandert. "Wir sind eine Bundespartei, ein paar Leute aus der Schill-Partei fallen da nicht auf." Ein Vergleich, der auf Landesebene nicht greift und ausblendet, dass die Partei von Ronald Schill in Hamburg sehr präsent, bundesweit aber kaum verankert war.
Mit Listenplatz 3 für den Ex- Schill-Innensenator Dirk Nockemann hat die AfD eine politische Aussage getroffen. Der Landesvorsitzende Jörn Kruse hatte ihn für diesen Listenplatz vorgeschlagen.
Auf Platz 7 und Platz 22 kamen die Ex-Schillianer Peter Lorkowski und Karina Weber.
Die Ex-Schillianer Bodo Theodor Adlophi und Norbert Frühauf sitzen für die AfD in der Bezirksversammlung Hamburg Nord beziehungsweise Hamburg Mitte.
Der 66-Jährige hatte vor dem Landesparteitag angemahnt, dass auch die Presse zugelassen werden solle. Man wolle „nicht die Partei präsentieren, als die wir häufig dargestellt werden. Wir sind weltoffen, tolerant und liberal.“ Eine Anspielung auf die NPD, deren Anträge auf kommunaler Ebene die AfD in Mecklenburg-Vorpommern schon zustimmte.
Gediegen tritt auch Bernd Baumann auf. Deutliche Töne scheut der promovierte Wirtschafswissenschaftler allerdings nicht: „Hamburg ist das Tor zur Welt und nicht die Tür zu Verbrechen“, erklärte der 55-Jährige. Die Täter kämen aus Osteuropa und Südamerika, weiß er, sowie: „Die linke Gewalt zieht sich wie eine Blutspur durch die Stadt.“
Weniger zurückhaltend sucht Dirk Nockemann die Öffentlichkeit. Für den ehemaligen Innensenator und das frühere Mitglied der Schill-Partei ist Hamburg „Stadt der Unsicherheit“, die Polizei werde hier kaputtgespart.
Die alte, neue Forderung „Einwanderung braucht klare Regeln!“ griff der Europa-Abgeordnete Hans-Olaf Henkel auf: Die Zuwanderer suchten sich das Land aus, statt dass das Land sich die Zuwanderer aussuche. „Lassen Sie es uns so formulieren, dass es nicht den Geruch von Ausländerfeindlichkeit bekommt“, sagte der 74-Jährige.
Kritik am öffentlichen Diskurs kam überdeutlich von einem der hinteren Listenplätze. Jens Eckleben, Ex-Landvorsitzender „Der Freiheit“, auf Platz 14, verspricht, der „politischen Korrektheit“ entgegenzutreten. Die „Genderideologie“ sei bloße sozialistische Gleichmacherei.
Eckleben, der in der AfD wegen seinen offenen Antiislamismus nicht unumstritten war, kritisierte, dass die Partei am 3. Oktober ihren Parteitag eröffnet hatte. Am Tag der Deutschen Einheit feiere man, sagte er und betonte, für einen „gesunden Patriotismus“ zu stehen. Auf dem Parteitag gratulierte Kruse ihm nach der Wahl – auch ein Zeichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour