Amazonstreik geht in die nächste Runde: Im Kampf gegen den Algorithmus
Ein autonomes Protestbündnis will Amazon das Vorweihnachtsgeschäft vermiesen – zur Unterstützung der streikenden Gewerkschafter.
Amazon ist Marktführer im Internetversandhandel. Dem Umsatz nach rangiert der Konzern auf Platz 26 der größten Unternehmen der Welt. In Deutschland hat er mehr als 16.000 Mitarbeiter. Amazon ist stolz auf seine technologische Vorreiterrolle. Die Warenlager sind nach einem computergesteuerten Chaosprinzip angeordnet. Nur der Handscanner der sogenannten Picker kennt den Standort der zahllosen Artikel und gibt den Mitarbeitern Anweisungen, wie sie die Waren für die Auslieferung finden.
Allen technologischen Erfolgsmeldungen zum Trotz: Es sind Menschen, die die Lieferung der Produkte per Mausklick möglich machen. Und die werden durch die digitale Aufzeichnung, Zergliederung und Planung der Arbeitsprozesse zunehmend austauschbar gemacht.
Durch computeroptimierte Laufwege und die Echtzeiterfassung jedes Handgriffes und jeder verbrachten Arbeitsminute stehen Amazon zudem neue Methoden zur Kontrolle der Beschäftigten zur Verfügung. Jede Abweichung vom algorithmisch perfekten Arbeitsplan wird registriert.
Der Gesundheitswettbewerb
Vor diesem Hintergrund kämpft Verdi für Tarifverträge an den Amazon-Standorten. Doch seit vier Jahren verweigert Amazon hartnäckig die Aufnahme von Verhandlungen, daher kommt es immer wieder zu Streiks. „Amazon will die Beschäftigten vereinzeln, damit sie sich nicht kollektiv für ihre Interessen einsetzen.“ erklärt Thomas Voss von der Gewerkschaft Verdi.
Die gewerkschaftliche Organisierung in dem automatisierten und dennoch arbeitsintensiven Bereich ist schwierig. Amazon beschäftigt zahlreiche Saisonarbeiter, ein Großteil der Verträge ist bis zum 31.12. befristet. Nur die schnellsten Picker und Packer können mit einer Weiterbeschäftigung nach dem Weihnachtsgeschäft rechnen. Der innerbetriebliche Konkurrenzdruck wird zusätzlich durch ein Bonussystem befeuert. Dennoch habe Verdi bei Amazon mittlerweile einen Organisationsgrad von 35 Prozent erreicht, sagt Voss.
Der Kampf der Beschäftigten gehe aber über die Aufnahme von Tarifverhandlungen hinaus. Neben Lohnerhöhungen fordern sie die Erleichterung der Arbeitsbedingungen. Diese führten unter anderem zu einem äußerst hohen Krankenstand, der stellenweise bis zu 20 Prozent erreicht hat, so Voss weiter. Um die bezahlten Krankheitstage zu senken hat sich Amazon eine eigene Strategie ausgedacht, die bestens in die Unternehmensphilosophie passt: Ein Gesundheitsbonus wird an jene Mitarbeiter und Teams ausgezahlt, die die niedrigsten Ausfalltage aufweisen.
Amazons Zukunftsvision
Mit der Aktionswoche möchte das „Make Amazon Pay“-Bündnis die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung zum Diskussionsgegenstand machen. „Es geht nicht um einen Boykott von Amazon“, erklärt Jonathan Schneider für das Aktionsbündnis. Ziel sei, das Arbeitssystem im logistischen Bereich und die von Amazon vertretene Zukunftsvision zu kritisieren. „Noch im Aufbau“ sieht Schneider den Kontakt zu den Vertrauensleuten der Gewerkschaft Verdi.
Hinter dem Bündnis stehen Gruppen aus dem autonomen und postautonomen Umfeld, wie das linksradikale „Ums-Ganze“-Bündnis und die technologiekritische Gruppe Capulco. Die Aktivisten planen einen Besuch bei den Streikenden des Leipziger Standorts. Zudem hoffen sie auf spontane Beteiligung. Die Gewerkschaft IP (Arbeiterintiative), die hunderte Mitarbeiter in Polen organisiert, hat bereits ihre Unterstützung angekündigt.
Als Höhepunkt der Aktionswoche will das Bündnis das Verteilerzentrum am Berliner Kudamm-Karree blockieren. Eine „angreifbare Garantie“ sieht das Bündnis in der Zusicherung von Amazon, Artikel aus dem Verteilerzentrum innerhalb von zwei Stunden zu liefern.
Amazon äußerte sich auf Rückfrage zu den geplanten Protesten gegenüber der taz nicht.
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