Am Impftermin für Corona scheitern: Antonios hämisches Lächeln
Papa will sich impfen lassen. Für einen Termin muss er es durch das Onlineportal der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein schaffen.
Papa kann das nicht. Na klar will er sich impfen lassen, und er ist nun auch kein Internetanalphabet – aber er hat eine Augen-OP hinter sich, momentan also besser keine Bildschirmarbeit. Und lange und harte Bildschirmarbeit ist erforderlich, um an Papas Wohnort in Nordrhein-Westfalen einen Impftermin zu kriegen. Genau genommen in Nordrhein, denn im Bindestrichland sind die Kassenärztlichen Vereinigungen säuberlich getrennt. Drüben in Westfalen, wird geraunt, ist alles ganz anders. Die arbeiten da mit alphanumerischen und QR-Codes, erzählt man. Besser soll das aber auch nicht sein.
Immerhin, das Land ermittelt die Impfberechtigten nicht wie im Nachbarbundesland per Vornamenshoroskop: In Niedersachsen wird das Alter der Einwohner*innen danach erraten, wie ihre Eltern sie genannt haben: Post für Adolf! Nein, NRW setzt zum Glück auf normale Verwaltungsstandards.
Die Stadt verschickte zusammen mit einem Brief des Landesgesundheitsministers ein mehrseitiges Anschreiben der Oberbürgermeisterin. Nett! Darin steht alles zum Impfen und zur Impfterminvergabe drin. Also fast alles. Was fehlt, ist die Information, dass in Behörden der Tag um 8 Uhr beginnt – und deshalb eine Onlineplattform, die ab 25. Januar freigeschaltet sein soll, natürlich um 7.45 Uhr – bevor man sich also ins Homeoffice begibt, um sein Tagewerk zu verrichten – noch nicht funktioniert. Das hätte man sich ja denken können. Da hätte Papa einen Vorteil gehabt, das hätte er gewusst, lebenslängliche Behördenerfahrung sei Dank.
Auf der Site termin.corona-Impfung.nrw findet sich diese Zeitangabe nicht. Stattdessen ploppt um 7.45 Uhr erst mal das Bild eines Greises auf, der verschmitzt vor inkontinenzwindelgrünem Hintergrund dem User entgegenlächelt. „Ab 25. Januar“, steht unter der Fotografie von dem Mann mit akkuratem Seitenscheitel, „können Sie auf dieser Website Ihre Impftermine buchen.“
Herr Montalbán mit den Pfirsichbäumen
Für einen Kriegsverbrecher sieht der Mann etwas jung aus, aber vielleicht hat er sich auch nur gut gehalten. Sein Name wird verschwiegen. Recherchen ergeben: Er hat sich in der Region Aragón eine unscheinbare Existenz als Agronom aufgebaut. Dort taucht derselbe Herr nämlich als Kunde einer Baumschule unter dem Allerweltsnamen Antonio Montalbán auf.
Das ist die einzige Erklärung, denn schließlich wird eine seriöse Einrichtung wie die KV Nordrhein ja nicht wie irgendwelche Klitschen generische Stockfotos einkaufen, um Menschen bei der Impfbewerbung gute Laune zu machen. Nein, gewiss nicht.
Antonio Montalbán in Spanien bedankt sich beim Kirschen- und Pfirsichspezialisten Augusta Viveros für den gesteigerten Ertrag und die Qualität der Obstbäume. In NRW spukt er derweil durch Papas Impfanmeldungsprozess.
8 Uhr, es geht los. Ein Kennwort braucht es nicht. Eine Eingabemaske tut sich auf. Hier sind die Personendaten des Impflings einzugeben. Singular: Auf diese subtile und rücksichtsvolle Art vermittelt das Impfportal die Einsicht, dass die oft als Problem beschriebene Einsamkeit im Alter auch ihre Vorzüge hat. Wer noch nicht verwitwet ist, wird an einem anderen Tag und vermutlich mit einer anderen Mailadresse die Prozedur wiederholen müssen.
Ist Ihnen ein „Token“ bekannt?
Denn die dauert. Ob es wohl Menschen im KV-Bezirk Nordrhein gibt, die ihre Anmeldung in weniger als sechs Stunden erfolgreich abgeschlossen haben? Sobald die Daten eingegeben sind, geht es ans Speichern und darum, die Mailadresse zu verifizieren. Also Häkchen setzen. Datenschutz: Check!, Zusendungseinverständniserklärung: Check! Abschicken, das Postfach prüfen – ähm, wieso jetzt das? Statt einer automatischen Mail sind da zwei, drei, vier, ping!, schon wieder eine … alle um 8.08 Uhr. Und um 8.09 Uhr noch eine Nachzüglerin, Nummer 20. Der Bestätigungslink wenigstens ist aktiv und … funktioniert … nicht. „Die Bestätigung Ihrer E-Mail-Adresse war nicht erfolgreich, da der Bestätigungstoken nicht bekannt ist.“
Verstehen Sie das? Ist Ihnen überhaupt ein Token bekannt? Also außer der Figur Token Black aus der Zeichentrickserie „South Park“? Wissen Sie überhaupt, was ein Token im Bereich der Informationstechnologie ist? Mit wie vielen Menschen der Altersgruppe 80 Jahre und älter teilen Sie dieses Wissen?
Auf dem Bildschirm erscheint Antonio Montalbán und lächelt. Ist da ein Anflug von Schadenfreude zu erkennen? „Herzlich willkommen auf unserer Terminvergabe-Seite für Ihre Corona-Impfung!“, steht jetzt unter seinem gestreiften Hemd mit gestärktem Kragen. „Leider …“ – was gibt es denn da zu lächeln, Antonio?! – „Leider sind derzeit alle Termine vergeben“, behauptet der Tünnes. Das kann doch wohl nicht sein! Um 8.10 Uhr! „Wir schalten in Kürze weitere Termine frei.“
Um Fehlerquellen auszuschließen: Das Laptop funktioniert einwandfrei, es wurde im Herbst neu gekauft, Lenovo, mit Mozilla-Firefox-Browser 84.0.2., daran sollte es nicht liegen, Breitbandanschluss seit Juli. Das müsste doch …? Wäre das Netz überall sonst so viel leistungsfähiger und schneller? Unwahrscheinlich. Einfach stur dranbleiben. Im Homeoffice lässt sich Wartezeit zum Glück in Hausarbeit verwandeln. Wäsche. Geschirrspüler. Kaffee kochen. Man könnte auch mal wieder duschen. Alle fünf Minuten ein neuer Versuch, ein neuer Misserfolg. Ein neuer Gruß vom Grinse-Toni. Bis 10.36 Uhr. Ein Schrei der Erleichterung. Ist es das jetzt?
… oder ein „Throbber“?
Das ist es doch! Die Site gibt den Blick auf einen Kalender frei. Er ist interaktiv. „Verfügbare Termine werden geladen“, teilt die Maschine in weißer Schrift auf transparentem Grau mit. Ein Kreis aus Pünktchen dreht sich daneben, ein sogenannter Spinning-Wheel-Throbber, der zeigen soll, dass etwas passiert, während nichts passiert. Throbber und graues Kästchen verschwinden, und die orange umrahmte Botschaft, dass ein Fehler aufgetreten sei, ploppt auf. Und in roter Schrift, die aussieht wie ein galliger Vorwurf: „Fehler beim Laden der verfügbaren Termine.“ Machen Maschinen Fehler? Nein, irren ist menschlich. Das System vermittelt dem User den Eindruck, zu dumm zu sein dafür, zu inkompetent. Antonio Montalbán grinst dazu.
Nicht aufgeben. Nicht jetzt. Und nicht dem wachsenden Hass auf Señor Montalbán die Zügel schießen lassen. Es geht um Papas Gesundheit. Das darf nicht an diesem Impfpimpf scheitern. Man kann ja zwischendurch was kochen. Irgendwann wird es möglich sein, Daten zu markieren. Na siehst du! Zwei Tage im Abstand von circa drei Wochen, die nicht mit anderen Routineuntersuchungen oder Besuchen der Haushaltshilfe kollidieren – kein Ding. Nur, markieren ist das eine, speichern das andere. „Termine werden reserviert“, verspricht die Site, graues Kästchen und Throbber machen Hoffnung. Bis sich plötzlich in einem neuen Dialogfenster die Mitteilung davorschiebt: „Die ausgewählten Termine konnten nicht reserviert werden“, ergänzt durch die Bitte, „es zu einem späteren Zeitpunkt erneut“ zu versuchen.
Die Schaltfläche OK anzuklicken ist die einzige Option, die dieser vermeintliche Dialog seinem Gegenüber lässt. Ansagekästchen oder Kommandofenster wäre eine bessere Bezeichnung. Den Befehl befolgt, verschwindet es. Und wer lauert dahinter? Und verzieht maliziös die Mundwinkel?
Aaaaaaaaarrrghhh!!!!
Dieser Mann sollte sich vorerst nicht im Rheinland blicken lassen, aber echt jetzt. Der Arme, er hält sein Konterfei für etwas hin, wofür man auf die Gesichter von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) oder KV-Chef Frank Bergmann wohl vorsichtshalber verzichtet hat.
Schleswig-Holstein macht's anders
Die beiden behaupteten übrigens noch am Mittwoch tapfer, dass alles super geklappt habe. Aber mal im Ernst: Dass die Landtagsopposition moppert, liegt halt in ihrem Wesen, und maulende Rentner sind auch geradezu sprichwörtlich. Wieso sollten die eine derart geile Terminvergabe gebührend loben? Und im Nachbarland Niedersachsen läuft’s schließlich auch nicht besser, da war am Donnerstag die Impfhotline überlastet.
Klar, es ginge auch anders. Das exotische Schleswig-Holstein hat mit der Terminvergabe einfach jemanden beauftragt, der mit Events solcher Größenordnung schon zu tun hatte: den Bremer Onlinetickethändler Eventim. Dessen IT-Abteilung ist nicht nur fit, sondern auch derzeit kaum ausgelastet. Andererseits hat Eventim bereits ein Quasimonopol im Bereich Kultur. Will man das wirklich auf die Gesundheitsversorgung ausweiten?
Am Ende, ganz zum Schluss, es ist schon fortgeschrittener Nachmittag, hat Papa endlich doch zwei Termine, ganz wie gewünscht – es soll sogar möglich sein, sie sich inklusive der Dokumente per E-Mail zuschicken zu lassen. Das ist, sagen Programmierer*innen, die ganz hohe Schule bei einem Serviceportal, und es auszuprobieren, zugegeben, ja, da war ein wenig Übermut dabei. Aufgeploppt ist dann eine Maske, gegliedert, aber ohne Lemmata, leer, bloß mit einem Eintrag: „Die Kassenärztliche Vereinigung“. Und ein Fragezeichen. Und sonst gar nichts. Aber wenigstens auch kein grinsender Antonio.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren