piwik no script img

„Am Anfang musste ich schon ein bisschen überredet werden“

Schach wird von Männern dominiert, der Spruch „Du spielst ja wie ein Mädchen“ ist da nicht als Kompliment gemeint. Melanie Lubbe spielte trotzdem mit – und am liebsten macht die Großmeisterin ihre Partien gegen Männer

„Es ist ein total komplexes, vielfältiges Spiel, keine Partie ist wie die andere.“ Das macht Schach so besonders, meint Melanie Lubbe

Interview Leo Schurbohm Fotos Christian Wyrwa

taz: Frau Lubbe, Sie haben schon mit 17 in der Schach-Nationalmannschaft gespielt und sind mit 21 Großmeisterin geworden, haben also den höchsten Titel erhalten, den es im Schach gibt. Wie begann Ihre Reise in die Schachwelt?

Melanie Lubbe: Als ich vier Jahre alt war, habe ich für mich als kleines Kind angefangen zu spielen. Meine Eltern spielen beide Schach und das auch schon seit ihrer Jugend. Mit sieben ging es für mich dann erstmals in einen Verein. Schach ist also schon immer ein ganz wichtiger Bestandteil meines Lebens.

taz: War das damals Ihre Entscheidung?

Lubbe: Es wurde schon von meinen Eltern sozusagen als Option bereitgestellt. Sie haben dann natürlich gemerkt, dass ich auch irgendwie mit Energie und Leidenschaft dabei bin. Ganz am Anfang musste ich aber schon ein bisschen überredet werden.

taz: Wieso das?

Lubbe: Schach ist ja eine sehr männerdominierte Szene – als kleines Mädchen hab ich mich da nicht so ganz richtig am Platz gefühlt. In den Anfangsjahren, als ich dann im Verein war, bestand die Gruppe halt auch hauptsächlich aus Jungs. Da hatte ich nicht wirklich Lust drauf.

taz: Wie haben die Jungs Sie damals behandelt?

Lubbe: Es war jetzt nicht so, dass ich irgendwie riesig geärgert wurde, zumindest so weit ich mich erinnern kann, aber ich habe mich halt einfach nicht zugehörig gefühlt. Als ich angefangen habe, gegen die Jungs zu gewinnen, hat sich das geändert. Dann hat es richtig Spaß gemacht – die haben sich natürlich entsprechend geärgert. Ich konnte es dann mehr genießen. Es war aber eine Challenge, sich da als Mädchen durchzusetzen.

taz: Warum spielen eigentlich so viel mehr Männer Schach?

Lubbe: Das ist die große Frage. Ich habe mich, als ich Psychologie studiert habe, wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Es gibt auf jeden Fall verschiedene Faktoren. Historisch gesehen war Schach so das Spiel, was abends in verrauchten Kneipen gespielt wurde. Das ist natürlich nicht so der attraktive Platz für Frauen. Dann hat das Spiel selber ja gewisse Kriegsassoziationen. Eine Seite spielt gegen die andere und es geht darum, das Gegenüber zu vernichten. Das spricht schon eher typisch männliche Attribute an. Wenn man dann eine Community hat, die sehr männlich ist, fühlt man sich als Frau auch weniger wohl und zugehörig. Das führt dann dazu, dass weniger Mädchen reinkommen.

taz: Also haben Männer keine geschlechtsspezifischen Vorteile, die den Unterschied auslösen?

Lubbe: Schach ist ein Spiel für alle, egal welches Geschlecht. Es ist eigentlich super divers, weil es keine körperliche Grenze gibt und man deshalb irgendwie mit dreißig aufhören muss. Es werden verschiedene Generationen verbunden – und auch Kulturen.

taz: Warum gibt es trotzdem manchmal eine Geschlechtertrennung bei Spielen?

Lubbe: Das ist tatsächlich ein Leistungs­aspekt. Die meisten Turniere sind offen für alle. Bei solchen Turnieren sind an der Spitze aber vor allem Männer. So unschön das klingt, aber der Auslöser, dass man explizit Frauenturniere macht, ist schon, dass dann auch mal der erste Platz an eine Frau vergeben wird. Und dass Frauen auch direkt gegeneinander antreten können.

taz: Sind Männer wirklich so viel stärker?

Lubbe: Ja, das ist leider wirklich so. Das sieht man zum Beispiel auch gut bei mir und meinem Mann – er ist Großmeister und leistungsmäßig besser als ich, aber ich bin erfolgreicher. Beim Schach wird die Spielstärke ja mit einer Zahl gemessen, Elo, die wird auch für alle gleich berechnet. Jedoch ist ein Mann mit einer Elo-Zahl von 2.500 in Deutschland vielleicht so in den Top 30, eine Frau mit der gleichen Zahl ist an der Frauen-Weltspitze.

taz: Wie kommt das zustande?

Lubbe: (zuckt mit den Schultern und überlegt eine Weile) Es gibt hier wieder verschiedene Erklärungsansätze, einer ist die Grundgesamtheit. Wenn man einfach viel mehr Männer hat, ist auch klar, dass an der Spitze mehr Männer vertreten sind. Und dann gibt es auch eine Art Teufelskreis – der Männersport wird deutlich besser gefördert. Du verdienst also besser, was auch dazu führt, dass deutlich weniger Frauen Profis sind.

taz: Mal unabhängig von den Leistungspunkten, sind Männer also einfach besser in Schach?

Lubbe: Frauen haben schlechtere Voraussetzungen, gut zu werden. Sie sind nicht grundsätzlich schlechtere Spielerinnen, sondern die Sozialisation, das System, und die verschiedenen Umstände führen dazu. Es gab auch schon Frauen, die es geschafft haben, in der Männerspitze mitzuhalten, sie wurden aber gezielt darauf trainiert.

taz: Also ist der Unterschied nichts biologisches, sondern besteht eher durch Hürden, die den Frauen in den Weg gestellt werden?

Lubbe: Dazu würde ich tendieren. Es gab auch schon viel Forschung, die etwa untersucht hat, ob die Unterschiede mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen zu tun haben. Aber es wurde jetzt noch nicht das entscheidende Kriterium gefunden, was die Unterschiede im Schach auf biologischer Ebene erklärt.

taz: Woran haben Sie damals in Ihrem Studium geforscht?

Lubbe: Ich hab mich mit dem Thema Aggressivität beschäftigt. Ich hatte die Hypothese, dass Männer im Schach besser sind, weil sie aggressiver spielen. Das hat aber keine Bestätigung gefunden. Tatsächlich haben Frauen aggressiver gespielt, vor allem, wenn sie gegen Frauen gespielt haben.

taz: Deckt sich das mit Ihren eigenen Erfahrungen?

Lubbe: Also was das Aggressivitätsniveau anbelangt, würde ich das so unterschreiben. Gerade im Leistungsschach sind Frauen durchaus nicht gerade zaghaft unterwegs.

taz: Gab es für Sie Unterschiede, je nachdem, gegen welches Geschlecht Sie gespielt haben?

Lubbe: Ich habe auf jeden Fall immer lieber gegen Männer gespielt. Ich hatte das Gefühl, das liegt mir besser.

taz: Wieso das?

Lubbe: Frauen habe ich schon so als direkte Konkurrenz betrachtet. Und Frauen sind ab einer gewissen Spielstärke auch in der Regel deutlich professioneller unterwegs als Männer mit der gleichen Spielstärke. Etwa weil die Frauen damit schon auf Weltklasseniveau sind, während die Männer mit der Spielstärke eher im Hobbybereich unterwegs sind.

taz: Haben Sie sich den Männern überlegen gefühlt?

Lubbe: Das würde ich nicht sagen, aber ich habe mich auch nicht unterlegen gefühlt.

taz: Würden Sie sich ein anderes Verhältnis der Geschlechter wünschen?

Lubbe: Es ist einfach super schade, dass das Geschlechterverhältnis so ist, wie es ist. Schach ist ein Sport für wirklich alle, es wäre schön, wenn die Schachwelt ein wenig diverser in Bezug auf Geschlechter wird.

taz: Was braucht es dafür?

Lubbe: Es ist wie bei allen Sachen wichtig, dass man Vorbilder hat. Grundsätzlich findet Schach, etwa in den Medien, nicht oft statt. Und Frauen werden noch viel weniger gezeigt. Mädchen kommen so gar nicht erst auf die Idee, dass Schach etwas Tolles sein könnte. Ganz spannend war es zu beobachten, dass es einen richtigen Boost gab, als die Serie „Das Damengambit“ rauskam. Mädchen und Frauen begannen sich durch die Serie für Schach zu interessieren. Solche Momente braucht es.

taz: Die Serie „Das Damengambit“ ist 2020 auf Netflix erschienen. Sie zeigt den Aufstieg einer Frau in der Schachwelt. War die Serie die realitätsnah?

Lubbe: Sie wurde echt gut umgesetzt. Die Rolle von Drogen ist nicht so realistisch, aber was man auf dem Brett gesehen hat, hat mein Schachspielerinnenherz höher schlagen lassen. Es wurden Partien verwendet, die auch so in der Realität stattgefunden hatten. Als Schachspielerin bin ich da schon ein bisschen empfindlich, oft wird Schach als Element eingesetzt und es werden irgendwelche sinnlosen Züge gezeigt. Teilweise ist das Brett auch einfach falsch herum aufgebaut.

Melanie Lubbe

Der Mensch

Melanie Lubbe, Jahrgang 1990, hat Psychologie studiert und arbeitet seit 2015 als Personalberaterin in Braunschweig. Ein ständiger Begleiter in ihrem Leben ist Schach, schon mit vier Jahren erlernte sie das Spiel. Im Alter von zehn Jahren wurde sie in den deutschen Bundeskader aufgenommen, mit siebzehn spielte sie das erste Mal für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft, darauf folgten über 130 Länderspiele.

Das Spiel

Bereits im 13. Jahrhundert etablierte sich Schach in Europa. Bei dem strategischen Brettspiel simulieren zwei Spieler:innen einen Krieg zwischen zwei Königreichen. Mit sechs verschiedenen Spielfiguren greifen diverse Regeln, was es zu einem komplexen Spiel macht. In Deutschland spielten 2024 94.811 Personen Schach in einem im Deutschen Olympischen Sportbund organisierten Sportverband, dem Deutschen Schachbund. Lediglich 9,48 Prozent davon sind Frauen.

taz: Die Protagonistin von „Das Damengambit“ wird in der Serie oft stark diskriminiert und auf ihr Geschlecht reduziert. Haben Sie auch solche Erfahrungen gemacht?

Lubbe: So offene Diskriminierung habe ich persönlich weniger erlebt, eher so ein bisschen unterschwellig. Zum Beispiel, indem Männer untereinander sagen: „Du spielst ja wie ein Mädchen“, damit ist natürlich kein Kompliment gemeint. Meistens sind so unterschwellige Bemerkungen auch gar nicht böse gemeint – aber das macht es nicht besser. Es gibt halt viele Vorurteile.

taz: Was macht Schach eigentlich so besonders?

Lubbe: Es ist ein total komplexes, vielfältiges Spiel, keine Partie ist wie die andere. Es ist kognitiv anspruchsvoll und bringt die Chance mit sich, unterschiedliche Menschen zu verbinden. Für mich war es auch immer cool, viel zu reisen und Kulturen kennenzulernen. Schach bringt einem auch richtig viele Kompetenzen fürs sonstige Leben bei.

taz: Inwiefern?

Lubbe: Dass man Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven angeht. Man lernt, Lösungswege zu entwickeln und gegeneinander abzuwägen, welcher der beste ist. Das schult, um auch im Alltag oder bei beruflichen Problemen den Tunnelblick abzulegen und zu überlegen, welche Ressourcen und Möglichkeiten habe ich eigentlich? Und die Konzentrationsfähigkeit steigt. Das habe ich ganz stark im Abi gemerkt, wo man fünf Stunden eine Klausur geschrieben hat. Für mich war das kein Thema, jede Schachpartie geht so lang. Die anderen hatten nicht so lange Ruhe, sind aufgestanden, auf Klo gegangen, haben ihr Essen ausgepackt. Ich war fokussiert.

taz: Wie lang ging Ihre längste Schachpartie?

Lubbe: Sieben Stunden auf jeden Fall. Ich weiß nicht, ob vielleicht sogar länger.

taz: Wie bleiben Sie da konzentriert?

Lubbe: Wenn die Geg­ne­r:in­nen dran sind, kann man ja auch mal abschalten. Aber ich bin tatsächlich jemand, der selten aufsteht und rumläuft. Ich bin wirklich einfach im Flow.

taz: Und was ist mit Essen und Trinken?

Lubbe: Trinken ist natürlich wichtig, aber essen muss ich nicht. Während der Partie merke ich auch gar nicht, dass ich Hunger habe – es ist wirklich so ein typischer Flow-Zustand, ich bin einfach vertieft in die Tätigkeit.

taz: Und das sieben Stunden lang, das ist schon ein langer Zeitraum.

Lubbe: Natürlich geht nicht jede Partie so lang. Durchschnittlich sind es so vier bis fünf Stunden, manche auch mal schneller.

Meine wohl wichtigste Partie war die um meinen Nachnamen, aber die habe ich leider verloren. Mein Mann und ich haben das ausgespielt, weil wir beide unseren Namen behalten wollten

taz: An was für Orte sind Sie für die Partien gereist?

Lubbe: Eher an die Orte, wo sonst niemand hinreist. Etwa irgendwo in Sibirien oder mal nach Tromsø oben im Norden. Meist sind die Orte schon eher abgeschieden, aber ich bin gut rumgekommen. So 30 Länder sind es auf jeden Fall gewesen, in denen ich war. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich jetzt nicht viel von den Städten oder den Gegenden drumherum gesehen.

taz: Gibt es eine Partie, die Sie nie vergessen werden?

Lubbe: Meine wohl wichtigste Partie war die um meinen Nachnamen, aber die habe ich leider verloren. Mein Mann und ich haben das ausgespielt, weil wir beide unseren Namen behalten wollten. Es war aber auch klar, dass wir einen gemeinsamen haben wollen, also keinen Doppelnamen oder so. Wie einigt man sich da? Für uns als Schachspielende war die Partie eine logische Konsequenz.

taz: Vor bald einem Jahr haben Sie sich aus dem leistungsorientierten Schach zurückgezogen. Wie kam es dazu?

Lubbe: Das war die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Schach war ein ganz, ganz wichtiger Bestandteil meines Lebens und es hat mir riesig viel Spaß gemacht. Ich war wirklich mit Herz und Seele Schachspielerin und bin es auch ein Stück weit noch. Aber ich habe für mich festgestellt, dass es einfach noch viele andere spannende Dinge im Leben gibt. Schach ist ein super zeitintensives Hobby. Es ist ein Geschenk, jetzt mal wieder freie Wochenenden zu haben. Meine kompletten Urlaubstage sind immer in Turniere geflossen und ich war fast jedes Wochenende unterwegs. Ich bedauere das auch nicht, ich habe es sehr genossen, aber irgendwann ist auch gut.

taz: Spielen Sie jetzt gar nicht mehr?

Lubbe: Es fällt mir persönlich schwer, etwas halbgar zu machen. Ich hatte ja auch schon ein gewisses Level erreicht und konnte es nicht mit meinem Ego vereinbaren zu sagen, ich mache es nur hobbymäßig weiter.

taz: Also auch keine Partie zu Hause mit Ihrem Mann?

Lubbe: Das gab’s auch vorher nicht, sonst hätten wir eine Scheidung riskiert.

taz: Ist Schach bei Ihnen so konflikt­reich?

Bereit zum Spiel

Lubbe: Zumindest der Wettbewerbsanteil. Es ist jetzt kein Tabuthema bei uns, aber wir versuchen weitgehend zu vermeiden, gegeneinander zu spielen. Bei Turnieren ist das natürlich schwer – von allen Geg­ne­r:in­nen hat mein Mann tatsächlich am häufigsten gegen mich gespielt.

taz: Haben Sie sich durch Schach kennengelernt?

Lubbe: Ja, wir kennen uns aber auch tatsächlich schon sehr lange. Es gibt ein Foto von uns, das muss die deutsche Meisterschaft für unter Zehnjährige oder unter Zwölfjährige gewesen sein, da sitzen wir beide nebeneinander. Ich mit meinen 100.000 Kuscheltieren um mich herum, die damals als Glücksbringer fungiert haben, und er in einem viel zu großen Batik-T-Shirt.

taz: Bereuen Sie die Entscheidung, aufgehört zu haben?

Lubbe: Nee, das ist das Schöne daran. Obwohl ich mir so schwergetan habe und auch ein bisschen Angst vor den Konsequenzen hatte, muss ich sagen, ich bin da eigentlich richtig stolz drauf.

taz: Hat sich Ihre Verbindung zu Schach seitdem verändert?

Lubbe: Ich habe viel mehr Abstand und bin einfach nicht mehr so drin. Wenn aber wie gerade eben etwa Europameisterschaften sind, kriege ich das schon mit – ich kenne ja auch die, die da spielen. Da ist noch ganz viel Liebe – es war jetzt sozusagen keine Trennung im Bösen.

taz: Wie stellen Sie sich Ihr Verhältnis zu Schach in Zukunft vor?

Lubbe: Ich kann es gar nicht so genau sagen. Vielleicht fahre ich einfach als Spielerfrau mit. Dann hab ich immer noch die Community. Vielleicht greife ich es aber auch irgendwann nochmal auf, ich bin da ganz offen. Lasse mich da jetzt einfach ein bisschen treiben und schaue, was mich so begeistert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen