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Altersdiskriminierung in der SpracheÜberaltert? Unterjüngt? Oder gerade richtig

„Rentnerschwemme“, „überaltert“, „demografische Zeitbombe“ – das Altern ist im Deutschen meist negativ besetzt. Aber gibt es bessere Begriffe?

Alt ist nur bei Gegenständen gut: altes Silber zum Beispiel Foto: imago

N icht nur wir Boomerinnen, sondern alle Menschen werden immer älter, falls sie nicht vorher sterben. Trotzdem ist Ageism die Diskriminierungsform der Stunde, das zeigt sich im Reden und Schreiben über Ältere. Untersucht man die Wortschatzentwicklung und Wortbildungsprozesse zum Thema „Alter“ seit den neunziger Jahren, finden sich viele Belege für altersdiskriminierenden Sprachgebrauch.

Das Alter an sich wird stets als Defizitmodell beschrieben – aber die Alten sind auch schuld an der „überalterten Gesellschaft“. Die Konstituente „Über“ suggeriert hier etwas, das nicht mehr der Normalität entspricht. Dabei führen nicht nur die höhere Lebenserwartung der Alten zum demografischen Wandel, sondern auch die niedrigen Geburtenraten. Von einer „Unterjüngung“ in der Kita-Szene spricht aber keiner!

Komposita wie „Rentnerboom“ und Begriffspaare wie „demografische Zeitbombe“ suggerieren eine Bedrohungslage. Bei der „Rentnerschwemme“, „Rentnerflut“ und der „Seniorenlawine“ nimmt man überwältigende Naturereignisse zu Hilfe, die sich schon zur negativen Bezeichnung von internationalen Fluchtbewegungen bewährt haben.

Alter Cognac – alter Schwede – alte Schachtel. Merken Sie den Unterschied?

Diese Wortneuschöpfungen vermitteln den Eindruck, es handle sich bei den Menschen, die Anspruch auf Altersversorgung haben, um eine nicht vorhersehbare Naturkatastrophe, gegen die man sich schützen müsse. Etwas positiver besetzt sind nur die „neuen Alten“, die als gutsituierte Konsumenten ihr Leben genießen. Allerdings betrügen die „fitten Alten“ wiederum durch ihre parasitäre Rentnerexistenz die junge Generation.

Im Wortfeld „alt“ finden sich kaum noch Worte für einen nicht diskriminierenden Sprachgebrauch. „Alt“ ist nur bei Gegenständen gut: alter Wein, alter Cognac, alte Münzen, altes Silber. Im Verbund mit einer Person männlichen Geschlechts kann „alt“ auch anerkennend und liebevoll gemeint sein: alter Gauner, alter Freund, alter Schwede, altes Haus. Für eine weibliche Person hingegen bietet sich die Formel „alt + Bezeichnung = Schimpfwort“ an:

Alte Schachtel, alte Schabracke, alte Fregatte, alte Jungfer, alte Hexe, alter Besen und so fort.

Um sich selbst als nicht mehr junge Person zu beschreiben, ohne das negative „alt“ zu verwenden, bieten sich nur Euphemismen wie „50 plus“, „späte Jugend“ oder „im Frühherbst des Lebens“ an. Die im Marketing gebräuchlichen Scheinanglizismen „Golden Ager“, „Silver Ager“, „Mid Ager“ und „Best Ager“ konnten sich bei uns zum Glück nie richtig durchsetzen.

Das englische „senior citizen“ klingt respektvoll – aber das deutsche Pendant „ältere Mitbürger“ ist negativ aufgeladen. „Ältere Arbeitnehmer“ ist ja auch keine neutrale Beschreibung, sondern die Bezeichnung einer Problemgruppe. Wie so oft, wenn Gruppen allzu vorsichtig beschrieben werden, zum Beispiel „Menschen mit Migrationshintergrund“, wird dadurch eine Abwertung und Ausgrenzung vorgenommen. Wir sprechen ja auch nicht von „jugendlichen Mitbürgern“ und „Menschen ohne Migrationshintergrund“, oder „Beziehern von leistungslosem Einkommen durch Elternhintergrund“.

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2 Kommentare

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  • Sprache bringt gesellschaftliche Werte zum Ausdruck, ja. „Ageism“ i. S. einer Abwertung Älterer zur „Diskriminierungsform der Stunde“ zu adeln, ist allerdings kurzsichtig.

    Opfer-Rankings sind nicht hilfreich. Sie sind eher ein Problem. Sprache endlich ernst genommen werden. Sie darf nicht einfach ungeprüft „durchgewunken“ und schon gar nicht unreflektiert kopiert werden. Und dafür braucht es „mündige“ Menschen.

    Momentan ist Sprache (wie fast alles andere) vor allem für diejenigen interessant, die - positiv oder negativ - davon betroffen sind. In der Folge kämpf jede Person im Ernstfall für sich allein.

    Anglismen wie Ageism sollen bei der Akquise von Mitstreitern helfen. Sie sollen a) Kompetenz suggerieren und b) Betroffenheit erzeugen. Dahinter steckt ein Führungsanspruch, der Menschen vertikal sortiert, statt sie zu emanzipieren.

    Es ist was faul, und das ist das Prinzip. Sprachliche Missgriffe wie die im Text erwähnten sind Folge des Versuchs, andere ab- und sich selbst dadurch aufzuwerten. Entsprechende Versuche sollten bestraft werden, finde ich. Immer und überall. Aus Prinzip. Bestenfalls mit Kooperationsverweigerung.

    Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. ☮️

  • Letztendlich ist „alt“ eine soziale Konstruktion, geprägt von kulturellen Normen und gesellschaftlichen Vorstellungen, die oft negativ besetzt sind. Der Artikel zeigt eindrücklich, wie Wörter wie „Rentnerboom“, „Seniorenlawine“ oder abwertende Begriffe ältere Menschen als Problem oder Bedrohung darstellen – und so Altersdiskriminierung (Ageismus) in Sprache und Denken fest verankern.

    Diese Sprachmuster beeinflussen, wie wir Ältere wahrnehmen und behandeln, und führen zu Ausgrenzung. Dabei ist Altern vielfältig und keineswegs automatisch mit Schwäche oder Verlust verbunden. Der Biologe Andrew Steele bringt es auf den Punkt mit dem Satz „getting older without getting old“ – älter werden, ohne den belastenden Stereotypen des „Altseins“ zu entsprechen.

    Es ist wichtig, diese sozialen Konstruktionen kritisch zu hinterfragen und eine Sprache zu fördern, die Altersvielfalt anerkennt und wertschätzt. So kann Altern als natürlicher und bereichernder Lebensabschnitt gesehen werden – jenseits von Vorurteilen und Diskriminierung.