Alternatives Zentrum in Lüneburg geräumt: Krach in der Katzenstraße

Nach Räumungsklage und Gerichtsurteil sitzen die Öko- und Politgruppen und Initiativen aus dem Lüneburger Heinrich-Böll-Haus auf der Straße.

Zwei schwarz-weiße Katzen balgen sich

Nicht vor Gericht ausgetragener Disput (Symbolabb.) Foto: Julian Stratenschulte/dpa

LÜNEBURG taz | Seit 1990 war es ein fester Anlaufpunkt für umwelt- und sozialpolitisch Engagierte in Lüneburg. Jetzt steht das „Heinrich-Böll-Haus“ leer. Über Jahre hatte sich ein Konflikt zwischen dem Trägerverein und dem Eigentümer, Lars Meyer-Ohlendorf, aufgebaut, der zuletzt in einem Gerichtsprozess gipfelte: Am 8. Dezember gab das Landgericht Lüneburg Meyer-Ohlendorfs Räumungsklage statt. „Es fühlt sich immer noch surreal an“, sagt Frieder Dähnhardt vom Café „Avenir“, einer der Mietparteien des 1685 erbauten Backsteinhauses in der Katzenstraße.

Dabei berufen sich beide Konfliktparteien eigentlich auf ein gemeinsames Hauptanliegen: den Fortbestand des Böll-Hauses als Informations- und Aktionszentrum für politisches Engagement.

Das Haus war seit seinen Anfängen über einen Trägerverein organisiert, der als Mieter gegenüber dem Eigentümer auftrat, anfangs noch den Großeltern Meyer-Ohlendorfs. Der Verein betrieb das Böll-Haus in Selbstverwaltung, vermietete einzelne Räume zu günstigen Konditionen an politisch und ökologisch arbeitende Initiativen und Vereine, etwa Lokalgruppen von Greenpeace und Fridays for Future, Initiativen wie „FossilFree Lüneburg“, das Infocafé „Anna & Arthur“ oder eben das kollektiv geführte Café „Avenir“.

Letzteres spielte unwillentlich eine zentrale Rolle im Konflikt: Der Eigentümer hat in seiner Räumungsklage zwar eine Vielzahl an Kündigungsgründen angegeben, das Gericht beschäftigte sich aber vor allem mit zweien, die sich um das „Avenir“ drehen. Das Café ist seit 2014 im Erdgeschoss des Hauses angesiedelt, hatte indes jahrelang Brandschutzauflagen nicht erfüllt – und besaß damit keine finale Betriebsgenehmigung. Hauseigentümer Meyer-Ohlendorf, der in Argentinien lebt, erfuhr von diesen Brandschutzmängeln erst 2020 durch ein Schreiben des Lüneburger Bauamts.

Ein Backteinhaus aus dem 17 Jahrhundert, davor bewirbt ein Café Speisen und getränke

War Lüneburgs Adresse für soziales und ökologisches Engagement, und anständigen Kaffee gab es auch: das Haus in der Katzenstraße Foto: ClausNe/Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Die Hausgemeinschaft habe den Brandschutz immer ernst genommen, sagt Eva Kern, Vorstandsmitglied des Trägervereins. Wartungen von Meldeanlagen und Feuerlöschern hätten regelmäßig stattgefunden. „Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – akzeptieren aber unsere Mitschuld“, sagt Dähnhardt.

Problem Brandschutz

Kurz vor dem Gerichtstermin erhielt Meyer-Ohlendorf eine Mitteilung der Gebäudeversicherung, dass „das Haus eigentlich seit Jahren aufgrund der jetzt bekannt gewordenen Umstände aus brandschutzrechtlichen Bedenken und der aktuellen Nutzung nicht versicherungsvertraglich versichert werden kann“. Zudem hatte das „Avenir“ ohne städtische Genehmigung Abendveranstaltungen durchgeführt.

Neben Fragen des Versicherungsschutzes und dieser Genehmigungen missfiel Meyer-Ohlendorf der kommerzielle Betrieb durch das Café selbst, der seiner Ansicht nach gegen den Mietvertrag verstößt. Allerdings hatte es auch in früheren Jahren schon Betriebe mit nachhaltigen Konzepten im Haus gegeben – ein vegetarisches Restaurant zum Beispiel. Auch betrachtet sich das „Avenir“ gerade nicht als profitorientiert, schüttet auch keine Gewinne aus. Das Café will transparent wirtschaften und strebt eine komplett faire Lieferkette an.

Das Gericht befand dennoch, das „Avenir“ sei ein kommerzieller Betrieb, der die bewusst niedrige Miete im Böll-Haus gewinnbringend eingebracht habe in ein zweites Standbein: eine eigene Kaffeerösterei am Ilmenauufer. Für das Team ist das schwer verständlich: Die Rösterei sei vielmehr teilweise fremdfinanziert. Und die Einkünfte aus dem Böll-Haus reichen demnach nicht einmal, um allen zentral am Projekt Beteiligten ein ordentliches Gehalt zu zahlen.

Der Café-Konflikt war aber nicht alleine ausschlaggebend für den Gang vor Gericht. Nach einer ersten Kündigung im Januar 2022 – die Hausgemeinschaft nutzte das Gebäude weiter und zahlte weiter monatlich eine Nutzungsentschädigung – verhandelten beide Seiten über einen neuen Vertrag. Das aber scheiterte – an der Kommunikation und den fehlenden Genehmigungen. Meyer-Ohlendorf wandte sich an die Industrie- und Handelskammer, um einen Gutachter zu benennen.

Im Februar 2023 startete der Verein deshalb eine Crowdfunding-Kampagne, „#BöllhausErhalten“: Man habe nicht gewusst, sagt Kern, „wie wir die gestiegenen Nebenkosten und eine potentielle Mieterhöhung ohne Unterstützung tragen sollten“. Vermieter Meyer-Ohlendorf wiederum sah sich durch die Kampagne und in ihrem Rahmen geäußerte Vorwürfe diffamiert. Auch wenn ihn der Verein nie namentlich erwähnt hatte: Auf Social Media wetterten manche Nut­ze­r:in­nen gegen Ver­mie­te­r:in­nen und Immobilienkonzerne an sich und stellten Fragen zu Meyer-Ohlendorfs Identität.

Vermieter stößt sich an Berichterstattung

Lokalen Medien warf er „Verdachtsberichterstattung“ durch einseitige Darstellung des Konflikts vor, ließ etwa die örtliche Landeszeitung abmahnen. Gemeinsam mit René Böll, Sohn und Nachlassverwalter von Namensstifter Heinrich Böll, versuchte er in einem offenen Brief eine Gegendarstellung. Kern betont, dass es dem Verein nie um einen Angriff auf Meyer-Ohlendorf gegangen sei, sondern immer um das Haus.

Das steht nun erst mal leer. Meyer-Ohlendorf sagt, er sei offen für neue, aber und auch alte (Unter-)Mieter:innen – bloß nicht unter dem alten Dach des Trägervereins. Wie es für die nun ehemalige Hausgemeinschaft weitergeht, ist unklar: Sie würden gerne zusammenbleiben, allerdings sei fraglich, ob sich ein passendes Mietobjekt finden lässt.

In der Zwischenzeit helfen andere Lüneburger Projekte unter anderem mit Lagerflächen aus. Der Co-Working-Space „Utopia“ direkt gegenüber des Böll-Hauses, bietet dem „Avenir“ sogar an, den Café-Betrieb übergangsweise dort weiterzuführen. Dafür brauche es nun Genehmigungen für Umbau und Betrieb, erzählt die „Avenir“-Aktivistin Marthe Kristin Jordan: Die früheren Versäumnisse sollen sich nicht wiederholen.

Transparenzhinweis: Einige Passagen wurden nachträglich aufgrund von ergänzenden Hiweisen geändert. Die Redaktion

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