Alternativen zu Tierversuchen: Dem Schwein ins Auge schauen
Forscher der Uni Leipzig machen Gewebe länger haltbar. Lebende Versuchstiere können so durch Überbleibsel von Schlachttieren ersetzt werden.
Noch wirkt das Ganze recht unspektakulär. Die Vorstellungskraft reicht nicht aus, um zu verstehen, wie so ein kleines Plättchen den Tierversuchen den garaus machen soll.Die Idee: Gewebe aus tierischen Schlachtabfällen wird auf das Plättchen gespannt; durch eine Flüssigkeit mit Nährstoffen werden die Zellen am Leben erhalten. Auf Versuche am lebenden Tier kann dadurch verzichtet werden.
Eine Untersuchung der Tierhilfsorganisation Peta hat im Januar gezeigt, dass alle elf Sekunden ein Versuchstier in deutschen Laboren stirbt. Zudem sind die Bedingungen oft unwürdig. „Es geht darum, etwas zu entwickeln, das Tierversuche komplett ersetzt, verbessert oder zumindest teilweise reduziert“, erklärt Zink – „im Sinne des Tierschutzes.“
Bei vergleichbaren Verfahren mit Zellulose- oder Polymerfiltern gab es bislang das Problem der Haltbarkeit. Das Gewebe kann hier während der Untersuchungen nur noch begrenzt mit Nährstoffen versorgt werden. Bestimmte Zelltypen beginnen innerhalb weniger Stunden abzusterben. Die Versuchsmöglichkeiten sind dementsprechend eingeschränkt. Mit den Titanoxidplättchen steigt die Haltbarkeit des Gewebes auf bis zu zwei Wochen.
Ohne Röhrchen keine Haftung
Voraussetzung dafür ist die durchgängige Haftung zwischen Gewebe und Plättchen. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stefan Mayr vom Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung e. V. hat hierzu ein Ätzverfahren entwickelt, mit dem sich das Struktur der Plättchen anpassen lässt.
Kleine Röhrchen aus Titandioxid werden hineingeätzt. Diese sind tausendfach kleiner als ein Haar. Die Röhrchen unterstützen das Anhaften des Gewebes an das Titanoxidplättchen. Ohne Röhrchen keine Haftung. Wichtig dafür ist die korrekte Röhrchengröße. Bereits kleine Abweichungen führen dazu, dass das Gewebe abstirbt.
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Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert das Projekt „Eyeculture“ seit August 2015 im Rahmen der Initiative „Alternativmethoden zum Tierversuch“. Seit 1980 wurden von Regierungsseite mehr als 500 solcher Projekte mit insgesamt rund 170 Millionen Euro gefördert.
Laut BMBF-Pressesprecher Markus Fels wurde „Eyeculture“ „von einem unabhängigen Expertenkreis als besonders vielversprechend und innovativ bewertet“ und deshalb zur Förderung empfohlen. Angelegt ist diese finanzielle Unterstützung auf drei Jahre, also bis 2018. Ein europäisches Patent wurde bereits angemeldet.
Belastungstest für das Schweineauge
Momentan handelt es sich bei dem verwendeten Gewebe vornehmlich um Schweineaugen. Die bekommen die Forscher von einem Leipziger Schlachthof. Für die Verwertung des Tiers als Nahrungsmittel sind die Augen uninteressant. Der Schlachter entfernt sie innerhalb weniger Sekunden, und die Wissenschaftler lassen sie so schnell wie möglich abholen. Da jeden Tag geschlachtet wird, könnte das Team um Dr. Mareike Zink theoretisch jeden Tag Nachschub holen.
Zink nutzt Schweineaugen, weil diese dem menschlichen Auge viel ähnlicher sind, als die von Ratten oder Mäusen. Zudem wären Mäuseaugen viel zu klein für Zinks Versuche, die sich vor allem auf physikalischen Eigenschaften des Gewebes fokussieren. Unter anderem untersucht sie die Belastbarkeit der Retina – auch Netzhaut genannt.
Veränderungen an diesem Gewebe rufen die meisten Erblindungen hervor, zum Beispiel bei der Netzhautablösung. Die Retina ist ein mehrschichtiges spezialisiertes Nervengewebe. In der Netzhaut wird das einfallende Licht, nachdem es die Hornhaut, die Linse und den Glaskörper durchquert hat, in einen Nervenimpuls für das Gehirn umgewandelt. Das heißt: Ohne die Retina können wir nicht sehen.
Die Retina umspannt das Auge und ist an dessen hinterem Teil befestigt. Aufgrund ihrer gebogenen Form allerdings rollt sie sich bei netzhautchirurgischen Eingriffen leicht zusammen. Das kann bei den Titanoxidplättchen von Dr. Mareike Zink und ihren Kollegen nicht passieren – ein weiterer Vorteil zu den bislang verwendeten Methoden.
Wie ein dünner Film schmiegt sich das Gewebe an die Nanoröhrchenplatte und dennoch ist es möglich, die Elastizität des Auges zu untersuchen. Mareike Zink erklärt: „Bei lebendigen Tieren wäre das gar nicht machbar und auch nicht wünschenswert, da es den Schweinen große Schmerzen zufügen würde.“
Vom Gehirn bis zur Krebsforschung
Verschiedene kleinere Firmen sind bereits auf die Titanoxidplättchen aufmerksam geworden. Auch, weil die Methode extrem kostengünstig ist. Die Herstellung der Titanoxidplatten kostet gerade mal ein bis zwei Euro. Außerdem lassen sich die Platten einfach reinigen und wiederverwenden. Das ist bei anderen Methoden nicht gegeben. Die Membranfilter, die üblicherweise bei anderen Methoden verwendet werden, sind also längst nicht so ressourcensparend wie die Plättchen.
Doch bei den großen Herstellerfirmen für Zellulose- oder Polymerfilter stoßen die Forscher meistens auf taube Ohren: „Neue Methoden fordern häufig auch einen Paradigmenwechsel.“ Deshalb sei es schwierig, einen Fuß in die Tür zu bekommen, sagt Zink. „Aber wir sind da dran.“
Doch nicht nur Teile vom Augen lassen sich auf den Titanoxidplättchen im Labor erhalten. Auch andere Gewebe, zum Beispiel vom Gehirn, lassen sich mit dieser Methode außerhalb des Körpers kultivieren. Allerdings besitzt jedes Gewebe seine eigene interne Struktur, die andere Anforderungen an die Größe der röhrenförmigen Löcher in den Titanoxidplatten stellt. So müssen die Wissenschaftler die Methode immer wieder neu anpassen.
Aber noch ein anderes Forschungsfeld könnte für die Physiker interessant werden. Mareike Zink und ihr Team werden in der Zukunft mit der Universitätsklinik zusammenarbeiten. Dort wäre es möglich, Tumorgewebe zu kultivieren und auch hier die physikalischen Eigenschaften des Krebsgewebes zu untersuchen.
Möglicherweise könnte das Aufschluss darüber geben, warum Zellen Metastasen bilden. Ein besseres Verständnis der Tumorausbreitung könnte ein entscheidender Schritt in der Krebsforschung sein – und das alles ganz ohne Tierversuche.
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