Alternative Wahrheit von Trump-Fans: Alles gelogen!
Tom Torres glaubt, dass die Antifa das Kapitol gestürmt hat. Besuch bei dem Kaffeehausbesitzer, dessen Geschäfte gerade nicht so gut gehen.
Als stattdessen der Sturm auf das Kapitol begann, verlegte er sich aufs Filmen. Während auf den Fernsehschirmen die Bilder von tödlicher Gewalt liefen, beschrieb Torres' Livestream idyllische Szenen von friedlichen und ruhigen Trump-Anhängern und freundlichen Polizisten.
Sechs Wochen später sitzt Torres an einem Resopaltisch in seinem „Caffé á la Mode“ im Zentrum von Warwick. Von der Decke baumeln rote Valentinsherzen aus Pappe herunter. „Polizisten und Militär bekommen hier 15 Prozent“, steht an der gläsernen Eingangstür. Die meisten Tische sind leer.
Das liegt nicht nur an der Pandemie. Seit Torres und sein Geschäftspartner Scott Elfant als Verharmloser von Gewalt und Rassisten gelten, trinken viele Bewohner des Städtchens im Hudson Valley ihren Kaffee lieber anderswo. Erst recht, nachdem wenige Tage nach dem Sturm auf das Kapitol Trump-Unterstützer mit einer großen Fahne mit der Aufschrift „Fuck-Antifa“ vor dem Kaffeehaus aufmarschierten und an der Main Street Graffiti der Bürgerwehr „Patriot Front“ auftauchten.
„Die nettesten Leute der Welt“
Als die „nettesten Leute der Welt“ beschreibt Torres die Trump-Unterstützer, die er in Washington getroffen hat. Als er am 6. Januar frühmorgens in einem Park nahe dem Weißen Haus stand, trug er zum ersten Mal in seinem Leben diese rote MAGA-Mütze („Make America Great Again“), die er eigentlich nur als Sammlerstück gekauft hatte. Eine Maske trug er nicht: „Ich habe keine Angst vor Covid“, sagt Torres.
Er berichtet, dass nach der Kundgebung mit Donald Trump eine Frau in der Menge gerufen habe, es gebe Randale im Kapitol. Torres wischte das weg wie etwas, das nichts mit ihm und den Leuten um ihn herum zu tun haben konnte: Dass die Anhänger Trumps so etwas tun würden, ist für ihn ausgeschlossen: „Wir rufen nicht Fuck the Police – wir lieben die Polizei“.
Trump spricht Ex-US-Präsident Donald Trump will am Sonntag in Florida die erste Rede seit dem Ende seiner Amtszeit halten. Er werde über „die Zukunft der Republikanischen Partei und der konservativen Bewegung“ sowie die „katastrophale“ Amnestie- und Grenzpolitik Joe Bidens sprechen, heißt es.
Trump sinniert Im Interview mit dem rechten Sender Newsmax sinnierte Trump vergangene Woche über seine künftige Rolle in der Politik. „Ich kann es noch nicht sagen, aber wir haben eine enorme Zustimmung“, sagte Trump. Die Umfragezahlen für ihn gingen „durch die Decke“.
Trump beißt Zuletzt hatte Trump den Anführer seiner Partei im Senat, Mitch McConnell, mit heftigen Attacken überzogen und der Partei seine Absetzung nahegelegt. McConnell sei „einer der unbeliebtesten Politiker der USA“, ein „düsterer, missmutiger“ Politiker, „der nicht lächelt“. McConnell hatte sich von Trump distanziert und den Sturm auf das Kapitol verurteilt. (taz, afp)
„Es war alles inszeniert“, ist Torres in seinem Kaffeehaus überzeugt. Nicht die Trump-Fans, sondern verkleidete „Antifa“ seien es gewesen, die da randalierten. Belege kann er nicht vorweisen: „Es ist nicht mein Job, Beweise zu liefern.“ Aber von seiner Überzeugung bringt ihn nichts ab: weder die Überwachungskameras noch die Videos, weder die Augenzeugenberichte von Polizisten und Politikern noch die Aussagen von mehr als 200 inzwischen angeklagten Beteiligten. Als die Reporterin ihn darauf anspricht, sagt er: „Haben Sie es mit eigenen Augen gesehen?“
Torres’ Argumentationslinien sind fließend. In einem Moment bestreitet er, dass überhaupt ein Trump-Anhänger das Kapitol betreten haben. Im nächsten sagt er, dass niemand seiner Freunde den Wikinger mit den Hörnern im Sitzungssaal gesehen hätte. Über die 35-jährige Ashli Babbitt, die von einem Kapitolspolizisten erschossen worden ist? Torres glaubt an eine Inszenierung. In Wahrheit würde sie noch leben: „Wäre sie tatsächlich mit einer 45er aus unmittelbarer Nähe erschossen worden, wäre ihr Blut in alle Richtungen gespritzt und es hätte Panik in der Menge gegeben.“ Er fügt er hinzu: „Außerdem tweetet sie weiter.“ Und dann zeigt er auf seinem Handy ein Bild des angeblichen Schützen. Torres glaubt zu wissen, dass der Polizist ein Mitglied von Black Lives Matter ist.
Seit dem 6. Januar ist Torres misstrauisch geworden, so sagt er. Er nennt die Politiker der beiden großen Parteien „kriminell“ und die Richter in seinem Land „korrupt“, weil sie seinen Präsidenten nicht verteidigt hätten, „obwohl jeder weiß, dass er gewählt worden ist“. Aber am ungeheuerlichsten sind ihm Journalisten. Von ihnen fühlt er sich missverstanden und seine Worte aus dem Zusammenhang gerissen. Sein Geschäftspartner Scott Elfant fragt die Reporterin, ob sie „patriotisch und positiv“ berichten werde.
Die etwas andere Version der Ereignisse
Am frühen Nachmittag jenes 6. Januar, als die Lage im Kapitol eskalierte, war Torres drei Blocks weit entfernt. Er saß mit Freunden in einem Hotelzimmer, aß Club-Sandwichs mit Truthahn und trank Wodka. Ihn hatte Trumps Aufforderung, zum Kongress zu gehen, nicht eingeleuchtet. Und er hatte keine Lust, Slogans zu rufen.
Eine besorgte SMS seiner Frau habe ihn aufgerüttelt, sagt Torres. Von diesem Moment an ging er online und lieferte seine eigene Version der Ereignisse aus dem Hotelzimmer. In ausgelassener Stimmung berichtete er mit Blick auf eine menschenleere Avenue: „Hier ist alles friedlich.“ Mit gewölbter Brust und breitem Grinsen fügte er zwei persönliche Informationen hinzu: dass er selbst jetzt sofort ins Kapitol gehen würde, wenn dort „die Antifa“ wäre. Und dass er mitmachen würde, wenn es darum ginge, „Mike Pence an den Haaren herauszuzerren“.
Der Livestream des Kaffeehausbesitzers Tom Torres verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Warwick. Junge Leute begannen damit, in den sozialen Medien nach Einträgen von ihm zu suchen. Sie fanden Tweets, in denen es um „satanische Juden“ ging, um die demokratische Gouverneurin von Michigan, der Torres „Gerechtigkeit – mit einem Strick“ wünschte und um den früheren Justizminister Eric Holder, einem Afroamerikaner, der die Protestbewegung gegen Polizeigewalt gelobt hatte. Ihm antwortete Torres mit dem Foto einer geknüpften Schlinge. Unter dem Namen seines Geschäftspartners Elfant fand sie einen Eintrag, der Hitler als einen „netten Menschen“ beschrieb.
„Alles aus dem Zusammenhang gerissen“, wehrt sich Tom Torres gegen die Vorwürfe. Er macht „die Antifa“ verantwortlich, nennt sie eine „von China gesteuerte“ gefährliche Organisation. Dieses Mal wirft er den Linken vor, dass sie die örtliche Black-Lives-Matter-Bewegung und die jüdische Gemeinde gegen ihn aufgewiegelt hätten. Er wolle keine Gewalt, sei gegen Bürgerkrieg und für die Einheit aller Amerikaner. Und es sei völlig ausgeschlossen, dass er ein Rassist sei, denn sein eigener Vater stamme aus Puerto Rico und sein Geschäftspartner Elfant sei Jude und habe Vorfahren, die den Holocaust überlebt hätten. Auch für das Hitlerzitat Elfants findet er eine Rechtfertigung. Auch Jesse Owens, der schwarze Leichtathlet, habe Positives über Hitler gesagt, will er wissen. Elfant stand der taz nicht für ein Gespräch zur Verfügung.
Warwick, eineinhalb Autostunden nordöstlich von New York gelegen, ist ein Städtchen wie aus einem US-amerikanischen Bilderbuch: Die Häuser und Kirchen im Zentrum stammen aus der Kolonialzeit. Rundherum liegen Felder und Obstplantagen, Wälder, Hügel und Seen. Einmal im Jahr, zum „Apfelfest“ im Oktober, verdoppelt sich die Bevölkerung für ein Wochenende auf 60.000 Seelen. Die Bevölkerung ist überwiegend weiß. Eine „Antifa“ oder Ähnliches ist in Warwick nie in Erscheinung getreten.
Das „Caffé á la Mode“ liegt in einem alten Backsteinhaus mit Veranda im Zentrum. Das Geschäft lief so gut, dass Torres und sein Partner ihr Lokal zwei Mal vergrößerten. Bis zur Pandemie fanden dort auch Dichterlesungen und Konzerte statt.
Sabrina Jennings trinkt jetzt lieber woanders ihren Kaffee
Ab dem 6. Januar änderte sich das Image der Kaffeehausbesitzer schlagartig. Roger Moss, der in einer Umweltgruppe in Warwick aktiv ist, fand Torres’ Livestream aus dem Hotelzimmer auf Facebook. Er sah dort auch, dass zahlreiche Leute Torres beglückwünschten, darunter Stammkunden des Kaffeehauses. Moss kannte Torres nicht persönlich, aber er schickte ihm eine warnend gemeinte Frage nach Washington: „Unterstützt du die Gewalt, oder distanzierst du dich davon?“ Laut Moss kam umgehend die Antwort: „Was zum Teufel geht dich das an?“
„Ich kenne keine Antifa-Mitglieder“, sagt Rabbinerin Rebecca Shinder von der Beth-Shalom-Synagoge. Nach dem Sturm auf das Kapitol hat sie zusammen mit einem Dutzend anderen Geistlichen einen Appell gegen den Hass unterzeichnet. Gegen den Kaffehausbesitzer hat sie nichts unternommen. Aber sie zeigt sich besorgt über die Ausbreitung der antisemitischen QAnon-Bwegung in den sozialen Medien.
Sabrina Jennings, die bis Januar Kundin des Kaffeehauses von Tom Torres gewesen war, macht jetzt einen großen Bogen darum. „Ich bin eine schwarze Frau in Amerika“, sagt sie, „und das fühlt sich in diesem Moment in Warwick sehr unangenehm an.“
Torres war acht Jahre lang bei den Marines. Seit 18 Jahren ist er Kaffeehausbesitzer. Schon mit 18 trug er sich als Republikaner ins Wahlregister ein. Aber für drei republikanische Präsidentschaftskandidaten, denen er seine Stimme gegeben hat, benutzt er heute das Wort „Verräter“: George W. Bush (wegen der Kriege), John McCain (weil er für die Gesundheitsreform gestimmt hat) und Mitt Romney (weil er Trump nicht unterstützt hat). Erst Trump weckte seine Leidenschaft für Politik.
Seit dem 6. Januar sieht Torres sich als Opfer. Er berichtet über Anrufer, die ihm gesagt hätten: „Bring dich um.“ Und andere, die seine Angestellten auffordern würden: „Verlass deinen rassistischen Boss.“ Seine Kinder würden von anderen Kindern geschnitten. Das FBI habe ihn gewarnt, sein Geschäft werde „mit Eiern beworfen“. Die taz hat keine Auskunft vom FBI erhalten. Aber Warwicks Polizeisprecher John Rader sagt: „Uns liegen keine glaubwürdigen Drohungen vor.“
Seine Tweets hat Tom Torres gelöscht. Aber er bereut es nicht, am 6. Januar in Washington gewesen zu sein. „Wenn es meine Familie nicht in Gefahr bringt, würde ich wieder fahren“, sagt er. Falls Trump 2024 kandidiert, will er ihn erneut wählen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Klimaschützer zu Wahlprogrammen
CDU/CSU und SPD fallen durch, Grüne punkten nur wenig