piwik no script img

Alternative KulturenSchön machtlos

Der Philosoph Daniel Loick feiert in seinem neuen Buch die Nichtherrschaft der Unterdrückten. Doch was ist, wenn diese kippt?

„Überlegenheit der Unterlegenen“: für Asterix und Obelix nix Neues Foto: Kinowelt/ddp

Daniel Loick ist kein Liberaler. Im Gegensatz zu den meisten Vertretern der von Jürgen Habermas und Axel Honneth geprägten zweiten und dritten Generation der Frankfurter Schule verteidigt er weder den Rechtsstaat noch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Normen. Stattdessen verteidigt er all jene, die von diesen Institutionen unterdrückt werden. Die Stimme der Unterdrückten soll aber nicht nur gehört werden, sie soll als die schönste und moralischste lauter erklingen als alle anderen.

Loicks neues Buch, die „Überlegenheit der Unterlegenen“, ist der Versuch, die Vorteile, die Mitglieder organisierter unterdrückter Gruppen gegenüber dem Mainstream haben, philosophisch zu untermauern. Auf knapp dreihundert Seiten argumentiert der in Amsterdam lehrende Philosoph, warum sie nicht nur objektiv besseres Wissen und bessere Normen, sondern auch eine bessere Ästhetik und bessere Gefühle haben als die Angepassten.

Das Buch

Daniel Loick: „Die Überlegenheit der Unterlegenen. Eine Theorie der Gegen­gemeinschaften“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 297 Seiten, 24 Euro

Mit dem Appell, Praktiken und Wissensbestände der Unterdrückten ernst zu nehmen, reiht sich Loick, der zuletzt einen dicken Sammelband über Abolitionismus herausgegeben hat, in eine Tradition ein, die mindestens bis zu den feministischen und antirassistischen Bewegungen der 1960er Jahre zurückgeht.

Traum von einer anderen Welt

Obwohl Loicks Ton eher resigniert ist, scheint dabei ein anarchistischer Optimismus über die Gestaltbarkeit der sozialen Wirklichkeit durch. Bezug nehmend auf aktuelle soziale Bewegungen erinnert er daran, dass unter dem Beton, in den die kapitalistische Ordnung gegossen ist, längst der Traum einer anderen Welt geträumt wird.

Was heißt hier eigentlich besser? Mit Foucault, der natürlich auch vorkommt, könnte man sich allerdings fragen, wer die Unterlegenen eigentlich sind. Zwar betont Loick immer wieder, dass es nicht so einfach ist, die Welt in „Gute“ und „Böse“ aufzuteilen (weil die Guten manchmal böse und die Bösen manchmal gut sind), aber das hindert ihn nicht daran, es selbst zu tun. Die noch entscheidendere Frage ist natürlich, welcher universell gültige Maßstab darüber bestimmen soll, welche Gefühle besser, welche Praktiken schöner sind.

Die historischen und anthropologischen Kriterien, auf die sich zum Beispiel Honneth beruft, schließt Loick aus. Sein eigenes, eher anarchistisches Argument läuft darauf hinaus, dass „Gegengemeinschaften“ deshalb überlegen sind, weil sie grundsätzlich offener sind als der Mainstream. Die Normen unterdrückter Gruppen sind also objektiv besser als die herrschenden, weil sie nicht herrschen wollen. Die Überlegenheit der Beherrschten besteht darin, jede Herrschaft abzulehnen.

Rigorose Normen

Leider bleibt Loicks eigener Maßstab erstaunlich unterbeleuchtet. Die konstitutive Offenheit gegengemeinschaftlicher Normen wird kaum diskutiert. Und ihrer größten Herausforderung stellt sich der Autor gar nicht: So schließt Loick schon per Definition aus, dass Normen der Unterdrückten selbst in Herrschaft umschlagen.

Aber wie kann er sich da so sicher sein? Sind Gegengemeinschaften denn wirklich immer so offen? Können ihre Normen nicht genauso rigoros sein wie die des Durchschnittsspießers? Kann das Ideal der Polygamie nicht genauso zwanghaft werden wie das der Ehe, der Druck, vegetarisch zu leben oder pro Palästina zu sein, nicht genauso unerbittlich wie das Gegenteil?

So radikal, wie er sich gibt, ist Loick dann vielleicht gar nicht. In Wirklichkeit setzt er der Sittlichkeit seines ehemaligen Lehrers Honneth nur eine andere Sittlichkeit entgegen und dem einen Universalismus einen anderen. Zwar will er im Gegensatz zu Hegel und Honneth an die Stelle der herrschenden Moral eine andere Moral setzen, herrschen soll diese aber nach wie vor. Wieso sonst muss vorab geklärt werden, dass sie objektiv überlegen ist? Foucault hätte man beim Lesen vielleicht seine berühmte Warnung murmeln hören: „Verliebe dich nicht in die Macht!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Etwas wirr das Zeugs.Gehört die AfD als "Gegengemeinschaft" nun zu den Guten? Sind wir Kartffeln, die zu den 10% der Weltbevölkerung gehören, nun schon die Unterlegenden? Der Artikel klingt so saturated! 🍟🥩🌮🫕🍦🎂🍺

  • „Die Normen unterdrückter Gruppen sind also objektiv besser als die herrschenden, weil sie nicht herrschen wollen.“

    Wie bitte? Ist diese Behauptung nicht längst empirisch widerlegt? Gäbe es denn überhaupt Machtkämpfe, wenn nicht auch „die Unterdrückten“ würden herrschen wollen?

    Wer soll das überhaupt sein, „die Unterdrückten“? Sind Menschen, die von anderen beherrscht werden, etwa keine Individuen? Gibt es nicht auch unter ihnen Leute, die nicht zufrieden sind, bevor sie nicht mindestens über zwei ohne drei andere Personen herrschen? Und würden sich diese Leute etwa damit begnügen, nur die Herrschsucht ihre Unterdrücker unterdrücken zu wollen? Wohl kaum. Sie wollen Macht auch über alle, die mit ihrer persönlichen Idee einer „Hackordnung“ nicht zufrieden sind.

    Als „gelernter DDR-Bürger“, der gegen seinen Willen „verwestlicht“ (um nicht zu sagen kapitalisiert) wurde, weiß ich, wovon ich rede. Ich muss nicht nach China schauen, nach Russland, in den Iran oder nach Syrien. Nein, es gibt überhaupt keinen Anlass anzunehmen, „die Beherrschten“ wären den Herrschenden in irgend einer Weise überlegen. Und was wollen wir wetten, dass der „Philosoph“ Daniel Loick genau darauf spekuliert?

  • Klare Analyse: Das Bestehende muss nicht das Beste oder auch nur gerecht sein.



    Lässt sich aus der 'Loser'-Religion Christentum ableiten, aus humanistischen Ansätzen, aus der Geschichte, dass das Vergötzen des "Erfolgs", der "Macht" keine gute Idee ist und man eine breite Vielfalt oft auch braucht.



    Und gleichzeitig ist die Annahme, dass die Unterdrückten nicht Unterdrücker sein könnten, gelinde seltsam.



    Eine Prise Universalismus hilft auch hier.

  • Ein Problem der Theorie, das hier gar nicht angesprochen wird, bzw. das zumindest in dieser Darstellung der Theorie aufkommt, ist, dass diese überlegene Moral auf die Unterdrückung durch Herrschaft angewiesen ist. Es ist kein Anspruch oder Beleg erkennbar, dass diese Moral aus sich selbst heraus bestehen könnte, also einer tatsächlich herrschaftsfreien Gesellschaft die Vorlage bieten könnte, oder wie sie dazu hinreichend sein könnte. Klar ist das utopisches Wunschdenken. Wenn ein solches Denken einen Nutzen hat, dann besteht er am ehesten Darin, einem Privileg-Denken den Spiegel vorzuhalten und alle Konsequenzen auszuloten, erstmal These und Antithese zur Entfaltung kommen zu lassen. "So schließt Loick schon per Definition aus, dass Normen der Unterdrückten selbst in Herrschaft umschlagen." Dieser Kniff Loicks wäre dann gar keine Schwäche der Theorie, sondern ein Mittel, sowohl die Gegengemeinschaft als auch den Spiegel an dem sie entsteht entsteht scharf hervortreten zu lassen. Von der Seite her betrachtet, finde ich die Idee ganz gut.

  • Es ist kein Zufall, dass diejenigen, die das Lob der Armut und Machtlosigkeit singen, weder arm noch machtlos sind.

    Das ist nichts anderes als die Ständegesellschaft des Mittelalters oder die Kastengesellschaft Indiens in moderner Sprache.

  • Nun, was sagt er zu Syrien?

  • "Verliebe dich nie in die Macht!"



    Jeder gesellschaftliche Entwurf wird sich und seine Wirkung daran messen müssen, wie er mit der Macht gegenüber den Schwächsten umgeht: Mit der Macht gegenüber Kindern.

    • @aujau:

      „Die Lust an der Macht hat ihren Ursprung nicht in der Stärke, sondern in der Schwäche." (Erich Kästner)

    • @aujau:

      "Mit der Macht gegenüber Kindern."

      Gerade gegenüber Kindern ist Machtausübung sehr schwer zu erkennen, da Kinder nicht nur als Projektionsflächen "dienen", sondern die Machtausübung ihnen gegenüber auch leicht als "wohlmeinend" verschleiert werden kann.

    • @aujau:

      ...oder gegenüber den Tieren.

    • @aujau:

      Die Schwächsten in der Gesellschaft sind definitiv nicht die Kinder. Es können auch Kinder sein, doch Schwäche im Sinne von Macht hat damit zu tun wieviele Menschen einen Nahe stehen.



      Dies Entscheidet über Einfluss, Schutz und Absicherung.



      Nun haben Kinder aber meist schon Elternteile oder Verwandte die sich grundsätzlich für sie einsetzen.



      Die Schwächsten sind die am Rande, die Ausgestoßenen, Gescheiterten, Gesellschaftlich nicht akzeptierten (ob es an Aussehen, Orientierung oder Einstellung liegt spielt dabei keine Rolle).



      Daher entscheidet sich für mich der "Wert" einer Gesellschaft daran wieviele es von solchen Individuen gibt und wie mit diesen umgegangen wird.

      • @Das B:

        Der Mensch ist am Anfang seines Lebens am wehrlosesten.



        Trotzdem stimme ich Ihnen zu, dass die Gesellschaft und ihre Gegenentwürfe sich auch am Umgang mit den Randständigen messen lassen muss.