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Alte Videos von Charlie HebdoFatwa aus dem Nonsens-Büro

Lustige, kollegiale Alberei und doch tieftraurig: Im Netz zeigen alte Clips den Alltag beim französischen Satiremagazin Charlie Hebdo.

Der getötete Zeichner Charb in einer Dschihadisten-Persiflage. Tabelle: dailymotion.com/Charlie-Hebdo

Es wird viel gelacht, geblödelt, gestikuliert – und, natürlich, derb ausgeteilt. Die Redaktionsräume der französischen, links-atheistischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, eingefangen mit einer Videokamera in den Jahren 2011 bis 2014, erscheinen wie ein Ort der kollegialen Alberei und der beißenden Satire.

Auf der Plattform Dailymotion geben der am 7. Januar 2015 getötete Chefredakteur Stéphane Charbonnier (Künstlername: „Charb“), der Zeichner Renald Luzier („Luz“) und weitere Redaktionsmitglieder in kurzen Videoclips Einblick ins Büroleben des Wochenblatts.

Im Video 1008 („nouveaux locaux“), aufgenommen von einer manchmal kichernden Filmerin, führt Luzier durch das mit Gerümpel angefüllte Großraumbüro, präsentiert Regale, in denen eine Unmenge an Büchern, Katalogen, Ordnern und Kartons untergebracht ist, ehe er gemeinsam mit Charbonnier eine Art von Improvisationssketch aufführt: Luzier, der viele Titelblätter von Charlie Hebdo gezeichnet hat, wird vom Chefredakteur mit einer Sackkarre abtransportiert, da die Arbeit an Seite 1 getan ist. Es folgt eine gescheiterte Wegsperraktion, ein veritables Durchknallen des Zeichners – und jede Menge dialogischer Unsinn.

taz.am wochenende

Allmählich zeigt sich, wie brüchig der Pariser Anschlag Frankreich gemacht hat. „Die Muslime werden dafür teuer bezahlen“, sagt Bestseller-Autor Taher Ben Jelloun in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 Und: „Charlie Hebdo“ spottet weiter: ein weinender Mohammed auf der Titelseite, im Heft Scherze über Dschihadisten. Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ Außerdem: Keine Angst vor Hegel. „Viele denken, sie müssten das sorgfältig durchstudieren, wie über eine lange Treppe aufsteigen. Ich finde, man kann auch mittendrin irgendetwas lesen.“ Ein Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des deutschen Literaturarchivs in Marbach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Veröffentlicht wurde der Clip am 11. Oktober 2011 – nur wenige Wochen vor dem Brandanschlag, der am 2. November auf die Redaktionsräume des Magazins am Boulevard Davout in Paris verübt wurde. Das Charlie-Hebdo-Team hatte die Räume erst im April 2011 neu bezogen. Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand, das zweistöckige Büro mit sämtlichem Equipment wurde jedoch völlig zerstört. Zwar gab es keinerlei Bekenntnis zu der Tat, es gilt aber als wahrscheinlich, dass religiöse Fanatiker das Erscheinen des Sonderhefts Charia Hebdo (mit Mohammed als „Gast-Chefredakteur“) verhindern wollten.

Das Video „fatwa contre les guillemets!“ stammt noch aus früheren Zeiten; es wurde am 11. Februar 2011 hochgeladen. Darin malt Luzier bei der Erklärung eines Sachverhalts immer wieder mit demonstrativ großer Geste Anführungszeichen in die Luft – was den ins Bild tretenden Charbonnier zu einer fulminanten Wutrede über die Vier-Finger-Formung von Anführungszeichen animiert.

Er zeigt die Lächerlichkeit dieser Geste auf, indem er das Prinzip unter anderem auf runde und eckige Klammern und das Semikolon überträgt. Der Clip gipfelt in einer „Rhythm of the Night“-Performance von Luzier, die der Darstellung einer geschwungenen Klammer dienen soll.

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Das Video „JIHAD: L'appel qui inquiète l'Occident“, veröffentlicht am 25. April 2014, ist ein Beispiel für den drastischen Satirestil des Magazins. Charbonnier schlüpft darin in die Rolle des Konvertiten Abdelkader Ben Charmouta. Der Mann im Camouflage-Look stellt sich vor und erzählt von seinem früheren Leben, als er noch Steven Troudech hieß und ein „Ungläubiger“ war. Er habe nichts als Dummheiten begangen, Apfelwein und Coca-Cola getrunken, Schweinefleisch verspeist, sich schlecht gegenüber seiner Mutter verhalten und die ganze Nacht Videospiele gespielt.

Nun aber habe er den wahren Glauben gefunden. Stolz berichtet er über die Straftaten, die er jetzt im Namen Allahs begehe und lädt dazu ein, mit ihm in den „guerre sainte en Syrie“ zu ziehen.

Diese Form der religiösen Satire muss keinem gefallen. Man kann sie als infantil, auch als verletzend empfinden. Es ist aber auch das, wofür Charlie Hebdo berühmt-berüchtigt war und wohl auch bleiben wird – und das, was man in einem Umfeld der Meinungsäußerungsfreiheit dürfen muss, ohne dabei um sein Leben zu fürchten.

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Charlie Hebdo hatte über Jahre nicht nur um das eigene ökonomische Überleben gekämpft. Konflikte um die redaktionelle Linie im Nachgang an die Attentate vom 11. September 2001 spalteten die Redaktion in Anhänger und Gegner des damaligen Chefredakteurs Philippe Val, dem manche „Islamophobie“ unterstellten. Als Val die Redaktion 2009 verließ, atmeten einige auf, dass nun Stéphane Charbonnier die Leitung des Blattes übernahm und „mit seinem unglaublichen Humor“, wie eine Ex-Kollegin sich gegenüber der taz erinnert, die internen Flügelkämpfe beendete. Charb, betont die Journalistin, die sieben Jahre bei Charlie Hebdo gearbeitet hat, „ging es immer nur um die Zeitung, er war sehr gefestigt, mitunter unerbittlich in seinen Positionen und manchmal sogar politisch intolerant, aber sein Humor hat das wett gemacht und vor allem war er immer bereit zum Dialog.“

„Wir tun einfach unseren Job“, hatte der geschäftsführende Chefredakteur Gérard Biard der Berliner Wochenzeitung Jungle World im November 2011 nach dem Brandanschlag auf die Büroräume von Charlie Hebdo gesagt. Die Videos auf Dailymotion zeigen, dass das Karikaturisten-Team um „Charb“ und „Luz“ dabei augenscheinlich großen Spaß hatte.

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Das Betrachten dieser Nonsens-Clips könnte nun, nach dem Terroranschlag auf das Charlie-Hebdo-Büro in der Pariser Rue Nicolas-Appert am 7. Januar 2015, tieftraurig stimmen – doch das wäre vermutlich so gar nicht im Sinne von „Charb“, „Luz“ und all den anderen.

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