Alltag der deutschen Afghanistantruppe: Ausharren auf Höhe 432
Es darf nicht vorwärts gehen, es geht noch nicht zurück. Die Soldaten der Bundeswehr denken nicht an "Wiederaufbau", sondern ans Überleben. Ein Besuch bei einer Truppe
KUNDUS taz | Der Lehmhügel passt nicht recht in der Tiefebene. Zwanzig Meter hoch, an der Basis fünfzig Meter breit, oben kaum bewachsen, ein Fremdkörper mitten in einem der grünsten Landstriche Afghanistans entlang der Ufer des Flusses Kundus. Einen Kilometer weiter wird das Tal durch eine Hochebene begrenzt, die die Soldaten die Westplatte nennen.
Am Fuß der Anhöhe stehen sandfarbene gepanzerte Fahrzeuge abfahrbereit, Transportpanzer vom Typ "Fuchs" und Personentransporter vom Typ "Dingo". Am Einstieg ein Dixi-Klo, daneben unter einem Tarnnetz ein knatternder Dieselgenerator. Die Sperre aus Nato-Draht lässt eine Lücke zum steilen Aufstieg. Höhe 432 heißt die Erhebung auf den internen Karten der Nato. Schon die Sowjets sollen hier gelagert haben. Es ist der exponierteste Außenposten der Bundeswehr in Afghanistan. Die Strategie der Bundeswehr in Afghanistan, so sieht es hier aus, ist im Lehm stecken geblieben.
Danach zum Psychologen
"Was mich motiviert, ist, dass ich hier wieder heil rauskomme", sagt der Hauptgefreite Ferdinand R., der auf mit Sandsäcken geschützten Ausgucken seine Schichten macht. Er hat schon zweimal unter Beschuss gestanden als er mit Patrouillen unterwegs war. Ob er über Strategien, über weitergehende Ziele nachdenke? "Nach dem Ende des Einsatzes gehen wir in Deutschland eine Woche in ein Hotel, mit Psychologen und so, dann besprechen wir das."
Während der Tage auf dem Außenposten leben die Soldaten in Erdhöhlen, schlafen in mit Moskitonetzen behangenen Feldbetten. Ein System hüfthoher Schützengräben durchzieht die Stellung. Ein Verschlag mit Gaskochern und geöffneten Kartons mit in Silberfolie eingeschweißter Fertignahrung. Ein Raum mit einem Gebilde aus leeren Getränkekisten, Sandsäcken und einer Holzstange - der improvisierte Kraftraum. Die in den Lehm geschnittenen Gänge führen zu Schießstellungen unter Bretterverschlägen.
Sandsäcke, Granatwerfer, Pin-ups über Schnellfeuergewehren: Der vermeintlich so moderne Krieg des 21. Jahrhundert sieht hier sehr altmodisch aus. Für die deutschen Truppen ist es die Front. Eine Front, die es offiziell nicht geben darf. Denn alles sollte anders werden, als der Bundestag Anfang des Jahres das Mandat für den Einsatz in Afghanistan abermals um ein Jahr verlängerte. Die Bundeswehr sollte raus aus der Parallelwelt der großen geschützten Lager. Sie sollte die Bevölkerung schützen, Präsenz zeigen. Jetzt sind sie eingegraben in einem Lehmhügel.
Auf der anderen Seite der Front ist Isa Kehl. Dort unten starben am Karfreitag dieses Jahres drei deutsche Soldaten, als ein Bundeswehrkonvoi zunächst beschossen wurde und dann ein Fahrzeug auf eine Sprengfalle fuhr. Es steht noch immer da, das ausgebrannte Wrack des Bundeswehr-"Dingos". Die Soldaten sprengten das Fahrzeug, um es nicht in die Hände der Gegner fallen zu lassen.
Ein wenig weiter südlich, am Ufer des Kundus, liegen noch die Reste der Tanklaster, die in der Nacht zum 4. September auf deutsche Anforderung von US-Kampfflugzeugen bombardiert wurden. Jenseits des Flusses, auf der Ostplatte am anderen Ende der Tiefebene, liegt das Camp Kundus, ihre Basis. Die Soldaten nennen es PRT. An den vollen Namen Provincial Reconstruction Team, an "Wiederaufbauteam" denken sie dabei nicht.
Eigentlich sollten sie nur ein paar Wochen bleiben
Eigentlich wollte die Bundeswehr auf dem Außenposten Höhe 432 nur ein paar Wochen ausharren, als sie ihn im Dezember letzten Jahres besetzte. Schon im Januar, so der Plan, würden Soldaten der Afghanischen Nationalarmee nachrücken. "Die Übergabe in Verantwortung", die Formel, an die sich Berliner Wehrpolitiker klammern, sollten die Soldaten hier vor Ort demonstrieren. Doch von der afghanischen Armee ist nichts zu sehen.
Statt afghanischer Soldaten sind nur afghanische Hilfsarbeiter gelegentlich im Einsatz. Sie machen die deutsche Stellung wetterfest, befestigen Gräben und Beobachtungsposten. Im nächsten Winter sollen die deutschen Soldaten nicht wieder im Schlamm stehen. Auch gegenüber wird gebaut. Isa Kehl, so berichten es die Soldaten auf den Beobachtungsposten hier auf Höhe 432, wird immer mehr zu einer Festung. Hinter den Lehmmauern seien schon geschützte Schießstände erkennbar. Stillstand auf beiden Seiten.
Das Vorrücken wäre dabei eigentlich kein Problem, "die nötigen Wirkmittel haben wir", sagt Oberleutnant Robert M., der seit zwei Monaten immer wieder auf den drei Außenposten Dienst tut. "Es wäre natürlich möglich, Isa Kehl einzunehmen, die Höhen haben wir ja auch erkämpft." Tragbare Panzerabwehrraketen vom Typ "Milan", die auch durch meterdicke Hauswände gehen, liegen griffbereit herum.
"Aber es scheitert am ,hold'", beklagt der junge Offizier, der schon zum zweiten Mal in Afghanistan im Einsatz ist und sich über so manche Kollegen in seiner bayerischen Kaserne aufregt, die alles tun, um nicht hierher geschickt zu werden. Nach einem Vorrücken, so Robert M., wäre aber niemand da, der dann die Außenposten besetzen und die Stellungen halten könne. Dafür gäbe es noch nicht genügend afghanische Soldaten. Also ausharren. "Wir können die eingenommenen Höhen ja nicht einfach wieder aufgeben."
Wenn man schon nicht hin darf, nach Isa Kehl, dann will man die Bewohner dort wenigstens daran erinnern, dass man sie im Blick hat. Soldaten der Abteilung "Psychologische Operationen" kommen auf die Höhe und beschallen das Dorf. "Wegen des Kampfs der Feinde Afghanistans wachsen viele Kinder auf, ohne den Frieden zu kennen", dröhnt es auf Dari und Paschtu aus den Lautsprechern. Die Isaf sei hier, um "allen ehrenhaften Afghanen eine leuchtende und friedliche Zukunft" zu bringen.
Zum Ausgleich: Rammstein
Die Psychokrieger blicken mit ihren Feldstechern in Richtung Isa Kehl. "Neulich haben mal welche gewunken", sagt der Chef des vierköpfigen Psychokriegertrupps. Viel mehr erwartet er auch nicht. Die Aktion beruhigt dennoch. Schön, den Feind da unten ein wenig zu ärgern. Tatsächlich schießen darf man hier ja nur als Zweiter. Dafür lässt man zum Ausgleich schon mal "Feuer Frei" von Rammstein über die Lautsprecher laufen.
Die Wachen am anderen Ende des Bundeswehrhügels halten die Straße in Richtung Norden im Blick. "Little Pluto" heißt sie in den internen Landkarten der Nato. Über sie gelangt man zu den zwei anderen Außenposten der Bundeswehr im Landkreis Char Darah: einem weiteren Erdhügel einen Kilometer von hier und, noch einmal zwei Kilometer weiter, einer besser geschützten Stellung in einem Rohbau gleich neben einer afghanischen Polizeistation. Man zeigt Präsenz. Und ist Tag und Nacht damit beschäftigt, die eigene Rückfahrt in das geschützte Lager abzusichern.
Straße der "Insurgenten"
Der Weg dorthin, das sind gut fünfzehn Kilometer über Straßen, in die in jeder Nacht IEDs eingegraben werden können: Improvised Explosive Devices, selbstgebaute Sprengsätze, die für die meisten Toten und Verletzten unter den inzwischen 119.000 Isaf-Soldaten verantwortlich sind. Fast jede Woche treffen solche Sprengsätze auch Fahrzeuge der Bundeswehr. Und immer häufiger werden deutsche Konvois mit panzerbrechenden Waffen beschossen. Von "Insurgenten" - so nennen die Soldaten hier ihre Gegner.
In den Nächten beobachten die Wachen auf den Außenposten die Straßen zurück ins Camp mit Nachtsichtgeräten. In unregelmäßigen Abständen schießen sie auch Leuchtraketen hoch, um ein noch besseres Bild zu bekommen. Sie werten Luftbilder von Drohnen aus, gehen mit Fußpatrouillen entlang der "Little Pluto" und der "LOC Kamins", der Hauptverbindungsstraße in Richtung Osten. Alles mit dem einen Ziel, das Verlegen von IEDs so schwieriger zu machen.
"Ich bin froh, wenn die Scheiße hier vorbei ist, " sagt Ferdinand R. Er habe sich halt für vier Jahre verpflichtet. Vorher hat er als Anstreicher gearbeitet. Ja klar, er hätte Nein sagen können, als es in Richtung Afghanistan ging, aber dann wäre er arbeitslos geworden. Jetzt ärgert ihn vor allem, dass er nicht im "Marder" eingesetzt wird. Dafür sei er schließlich ausgebildet: "Im Panzer fühlt man sich besser."
Panzer mit Ausblick
Nach sieben Tagen übernimmt eine andere Kompanie. Für die in den Außenposten in Char Darah eingesetzten Soldaten geht es zurück in das Lager Kundus. Hinten im "Fuchs"-Panzer ist die Decke bedrückend niedrig, einen freien Blick nach draußen gibt es nicht. Im "Dingo"-Transporter ist es angenehmer. Es gibt Fenster. Und man kann sich damit beruhigen, dass die nach unten v-förmig zulaufenden gepanzerten Bodenbleche bei einem IED-Anschlag den größten Teil der Druckwelle nach außen ablenken würden.
Eine halbe Stunde dauert die Fahrt. Dann signalisieren ein paar heftige Schläge auch Soldaten im fensterlosen Fond des "Fuchs", dass der Konvoi die stählernen Bodenschwellen an der Einfahrt zum Bundeswehrcamp in Kundus passiert hat. Die Soldaten sind zurück in einem kleinen Stück Deutschland.
Umgeben von einem Schutzsystem aus Mauern, Gräben und elektronischen Überwachungsanlagen. Eine wachsende Kleinstadt, in der es Internetanschlüsse, anständiges Essen, eine Wäscherei, klimatisierte Zelte, eine zweieinhalb Kilometer lange Joggingstrecke und abends pro Soldat zwei Dosen deutsches Bier gibt.
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