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Versorgungslage im GazastreifenDer Krieg hat aufgehört, das Leid hält an

In Gaza verbessert sich trotz Waffenruhe die humanitäre Lage der Bevölkerung kaum. Und die Hamas geht derweil brutal gegen die eigene Bevölkerung vor.

Ein wenig bessert sich die Versorgung mit Lebensmitteln im Gazastreifen – aber langsam Foto: Moiz Salhi/imago

Tel Aviv/Berlin taz | Bevor der Krieg im Gazastreifen nach dem Hamas-Überfall in Südisrael am 7. Oktober 2023 begann, hatte Mehna Shabat ein ganz normales Leben: Mit seiner Familie lebte der 54-Jährige in Beit Hanoun, an der Nordgrenze zu Israel, arbeitete als Lehrer, zog gemeinsam mit seiner Frau die Töchter groß.

Nun steht er vor dem Nichts: Seine Frau wurde bei einem Luftangriff getötet, eine der Töchter hat ein Auge verloren, Beit Hanoun existiert nicht mehr, die Stadt ist entvölkert und fast völlig zerstört. Als jüngst der Friedensdeal in Ägypten unterzeichnet wurde, habe er einen Moment der Fröhlichkeit verspürt. Er hielt nur kurz: „Es gibt hier nichts mehr für uns. Das Einzige, woran wir uns klammern, ist die Erinnerung“, sagte er damals. Und erklärt heute: „Nichts hat sich geändert, unser Leben ist gleichgeblieben. Jeden Tag sind wir mit der Härte der Realität konfrontiert.“

Die Waffenruhe hat begonnen, der Krieg aufgehört. Doch das Leid der Bevölkerung hält an. Dabei waren im Friedensplan des US-Präsidenten Donald Trump einige Verbesserungen vorgesehen: An Hilfsgütern sollte so viel geliefert werden, wie zuletzt in der Waffenruhe zwischen Januar und März. Auch Equipment zum Räumen der Trümmer sollte eingeführt und der Grenzübergang Rafah zu Ägypten geöffnet werden.

Weiterhin kommt vor allem Nahrung nach Gaza. Dabei fehlt es an mehr

Doch die erste Phase des Deals wurde bereits gebrochen: Eigentlich sollte die Hamas innerhalb von 72 Stunden nach Beginn der Waffenruhe am Freitag alle Geiseln zurückgeben – die Lebenden wie die Toten. Doch am Montag kehrten zwar alle lebenden Geiseln nach Israel zurück, aber nur vier der Toten. Die Hamas hatte zuvor bereits verlauten lassen, dass nicht von allen Getöteten der Aufenthaltsort bekannt sei. Am Dienstag wurden weitere vier Tote nach Israel zurückgebracht. Eine Untersuchung im forensischen Institut Abu Kabir in Tel Aviv kam aber zu dem Ergebnis, dass es sich nur bei drei von ihnen um Geiseln handelte. Um wen es sich bei der vierten Leiche handelt, ist bislang unbekannt.

Halbierung der Hilfslieferungen

Infolgedessen hat Israel den Vereinten Nationen mitgeteilt, die Menge der nach Gaza hineingelassenen Hilfsgüter halbieren zu wollen: Statt 600 Lastwagen, wie zuvor festgehalten, sollen ab Mittwoch nur noch 300 pro Tag durchgelassen werden. Israel begründete das mit dem Bruch des Abkommens seitens der Hamas.

Die angekündigte Halbierung der Hilfen bestätigte das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha). Ocha teilte mit: Zu Beginn der Woche habe man Fortschritte erzielt, „nach Monaten der Frustration und Blockade“ wieder mehr Hilfe leisten können. Man habe Fortschritte bei der Räumung von Straßen und der Wiedereröffnung von Bäckereien gemacht. Man fürchte einen „Rückschlag“.

Eine echte Verbesserung der Versorgungslage habe Mehna Shabat auch vor der Ankündigung nicht beobachtet, sagt er. „Die Verfügbarkeit von Gütern ist sehr begrenzt“, weiterhin seien vor allem Konserven verfügbar. Das meiste Essen, das im Gazastreifen erhältlich sei, stamme aus kommerziellen Transporten, sagt er.

Dass weiterhin Güter aus Hilfslieferungen abgefangen werden und auf den Märkten landen, zeigen auch von der UN erhobene Zahlen für die von ihnen beauftragten Transporte: Zwischen dem 19. Mai und 15. Oktober 2025 seien etwa 4.000 Lastwagen an ihrem Bestimmungsort angekommen, fast 7.100 aber unterwegs abgefangen worden. Von, wie die UN schreibt, „hungernden Menschen“ oder „durch bewaffnete Akteure“.

Doch die Menge der abgefangenen Transporte hat schon seit Mitte September deutlich abgenommen. Auch nach Beginn der Waffenruhe am Freitag zeigen die Daten einen kleinen Knick nach unten. Ob dieser Trend anhält, muss sich aber zeigen: Erst fünf Tage sind seit Beginn der Waffenruhe vergangen.

Hamas übt weiter Kontrolle über die Bevölkerung aus

Es sei weiterhin eine große Anstrengung, auch nur die einfachsten Güter zu erhalten, sagt Shabat. Und weiterhin, das zeigen von Israel selbst veröffentlichte Daten, kommen vor allem Nahrungsmittel mit den Transporten an, weniger aber dringend benötigte medizinische Güter und sogenanntes Shelter Equipment zur Unterbringung der Menschen.

Noch hält die erste Phase des Abkommens – trotz der Hürden bei der Geiselrückführung und bei den Hilfslieferungen. Und auch obwohl der Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und Gaza weiterhin geschlossen bleibt, entgegen vorangegangener Ankündigungen. Darüber, ob die Verhandlungen über die zweite Phase – bei der Gespräche über eine Entwaffnung der Hamas und den vollständigen Rückzug des israelischen Militärs anstehen – bereits begonnen haben, gibt es derzeit widersprüchliche Angaben.

Während also die Entwaffnung der Hamas auf der Agenda steht, hat US-Präsident Donald Trump der militanten Palästinensergruppe anscheinend grünes Licht gegeben, im Gazastreifen erst einmal weiter die Kontrolle auszuüben. Auch mit Waffengewalt. Das berichtet die Nachrichtenplattform Al-Monitor. Was das bedeutet, zeigen Berichte, Fotos und Videos aus den vergangenen Tagen. So richtet sich ihre harte Hand einerseits gegen Kriminelle, die etwa Hilfsgüter gestohlen hatten – aber auch gegen Zivilisten, die sich gegen sie stellten.

Mehna Shabat sagt: „Es gibt kein Leben mehr an diesem Ort. Alles, was wir wollen, ist, dass diese Zeit endet.“

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