Alkoholverbote in Parks: Freifahrtschein für Willkür
Bei den Corona-Verordnungen sieht kaum noch jemand durch. Das ist gut für die Polizei, aber fatal für marginalisierte Gruppen.
D er Sommer ist da, das Leben auf den Straßen und in den Parks pulsiert, und fast könnte man den Eindruck bekommen, es hätte so etwas wie eine Pandemie nie gegeben. Doch es bleibt immer noch das mulmige Gefühl, irgendetwas falsch zu machen, wenn man mit Freunden nach langer Zeit endlich wieder ein Bierchen im Park trinkt. Viele Berliner:innen dürften schon lange den Überblick verloren haben, was jetzt eigentlich erlaubt ist und was nicht. Aber das Bier im Park sollte doch drin sein, oder?
Falsch. Denn auch wenn Freiluftveranstaltungen mit bis zu 1.000 Teilnehmer:innen erlaubt sind, verbietet die aktuelle Infektionsschutzverordnung ausdrücklich den Alkoholkonsum in Berlins Grünflächen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) behauptete letzten Monat sogar, das Trinken in Parks sei schon vor Corona verboten gewesen.
Das ist zwar Quatsch, doch die Tatsache, dass Geisel diese Fake News unwidersprochen auch in der taz unterbringen konnte, offenbart ein gefährliches Erbe der Pandemieverordnungen. Denn wenn anstelle klarer und transparenter Regeln ein diffuses Verordnungswirrwarr herrscht, öffnet das Tür und Tor für polizeiliche Willkür.
Exemplarisch dafür steht die Debatte um „illegale Partys“ in Parks. Fragt heute noch jemand, was genau eine Party eigentlich illegal macht, wenn Kontaktbeschränkungen wegfallen? Ab wie vielen Personen zählt eine Runde von Freunden als Party? Wie den wenigsten bewusst sein wird, dürften es vor allem die alkoholischen Getränke sein, die das nächtliche Treffen im Park zu einem illegalen machen.
Leidtragend sind die Marginalisierten
Und wenn die vermeintlichen Delinquenten zufällig doch keine Flasche in der Hand haben, denken sich Ordnungshüter*innen womöglich im Notfall einfach irgendeine Verordnung aus. Wenn schon ihr oberster Dienstherr keine genaue Kenntnis der Rechtslage hat, ist nicht zu erwarten, dass die Polizist:innen es besser wissen. Auch die wenigsten Parkbesucher:innen dürften im angetrunkenen Zustand die aktuelle Infektionsschutzverordnung und das Grünflächengesetz herauskramen, um über die rechtlichen Grundlagen zu diskutieren.
Die Verwirrung um die Corona-Verordnung ist die beste Voraussetzung für die Ordnungsmacht, unerwünschte und als störend empfundene Bevölkerungsgruppen aus öffentlichen Räumen wie Parks zu verbannen. Leidtragend dürften all jene sein, die sowieso schon im Fokus der Polizeiarbeit stehen: Jugendliche, Migrant:innen, Obdachlose und Menschen ohne Papiere. Denn um den Infektionsschutz geht es angesichts niedriger Fallzahlen schon lange nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“