Alec Empire über Punk, Acid und Techno: „Jeder Track ist politisch“
Man braucht Tiefe, um aus Computersounds Besonderes herauszukitzeln, findet Alec Empire. Auf dem CTM Festival in Berlin führt er sein Album „Low on Ice“ von 1995 auf.
taz: Alec Empire, Sie sind in Berlin geboren und aufgewachsen und sind in der Subkultur verwurzelt?
Alec Empire: Ich bin in Westberlin aufgewachsen. So mit zwölf Jahren geriet ich in die Punkszene. Ich spielte in einer Band und wir machten Konzerte mit den Goldenen Zitronen und den Ärzten und traten in besetzten Häusern auf. Was damals im Punk zählte, waren vor allem witzige Texte, nicht unbedingt der Gitarrensound oder der Effekt auf dem Bass. Die fand ich aber spannender. 1988–89 habe ich mich für die frühen Acidhouse-Sachen begeistert. Bereits vor der Wende war ich im Westberliner Club „UFO“. Bald danach habe ich Platten produziert und war neben Paul Van Dyk einer der Jüngsten in der Technoszene.
Was war an der Musik anders?
Als ich Acidhouse zum ersten Mal wahrgenommen habe, wurde mir sein Minimalismus bewusst. Ich kannte damals bereits Musik von Stockhausen und dachte, super, endlich gibt es einen Weg, Avantgarde und Pop miteinander zu verbinden, und so entsteht etwas, auf das sich mehr Leute einlassen. Komplizierte Musik wird im Film-Soundtrack ja auch von den Zuschauern bereitwillig akzeptiert. Elektronische Tanzmusik hat dieses Schema weiter aufgebrochen.
Wie hat man sich das Business der Techno-Flegeljahre vorzustellen?
Es gab zunächst gar keinen Markt, der entstand erst Mitte der Neunziger. Es wurden viele experimentelle Platten veröffentlicht, bei denen Produzenten ihren Sound erst definiert haben. Es gab ja noch keine Formel für Techno. Auch die DJs haben experimentiert. Wenn man heute in einen Club geht, gibt es feste Regeln – die sind damals entwickelt worden und haben sich seither kaum geändert.
Was veränderte sich durch Techno nach 1989?
Die Orte haben sich geändert. Die Musik wanderte nach Ostberlin ab. Tanzmusik lief vor 1989 vor allem in West-Diskotheken. Aber erst nach 1989 hatte ich das Gefühl, dass die Musik angefangen hat zu leben. Und dann hatten Produzenten auch Interesse, Musik zu schaffen für diese neuen Orte.
geboren 1972 als Alexander Wilke-Steinhof, wuchs in Berlin-Reinickendorf auf. Er komponiert seit den Neunzigern Techno- und Breakbeat-Tracks, hat mehr als 20 Alben veröffentlicht, auch für sein Label Digital Hardcore. Er spielt in der Electro-Agitcore Band Atari Teenage Riot. Am 6. Februar erscheint ihr neues Album „Reset“ (Digital Hardcore/Rough Trade).
Am Mittwoch, 28.1., performt Alec Empire sein Album „Low on Ice“ im Rahmen der CTM im Berghain/Berlin.
Hat Sie die Technik inspiriert?
Was ich interessant fand an Techno, war, dass man es programmieren konnte. Die Technologie half mir dabei, das Chaos zu ordnen, es hatte eine Funktionalität, die mich damals sehr begeistert hat. Die Musik war sehr direkt: Ich kann Beats machen, die Leute tanzen dazu, die stehen nicht nur rum und gucken sich das an wie in einer Kunstgalerie, die sind involviert. Das war zwar auch der Anspruch von Punk, aber Techno hat das radikalisiert. Der DJ war am Anfang nicht so wichtig. Es ging um die Nacht, in der alle was erleben wollten. Für die Entstehung neuer Musik ist es essenziell, dass man sich nicht so an Star-Persönlichkeiten aufhängt.
Wie selbstverständlich war der Umgang mit Computer und Synthesizer?
Ich gehöre zu der Generation, die davon profitiert hat, dass Synthesizer und Drumcomputer komplett out waren. Wir haben sie billig abgegriffen. Dabei war dieser physische, rein synthetische Sound erst damit möglich. Die Instrumente und Sounds, die die ersten Techno-Produzenten in Detroit benutzt haben, waren die gleichen, die wir auch benutzt haben. Das fand ich spannend, denn somit konnten wir uns messen.
Ihre Tracks waren von Anfang an schneller und übersteuerter, woher kam der Drang, den Sound zuzuspitzen?
Ich habe in den Punkbands immer E-Gitarre gespielt, die Gitarre musste schrammeln. Am tollsten fand ich, wenn die Verzerrer am Mischpult in den roten Bereich gefahren sind und übersteuert haben. Am Anfang hatte ich bei Techno das Gefühl, dass man das als DJ gepusht hat, um noch mehr Energie rauszukitzeln. Ich habe Musik immer als Sprache verstanden, und wenn du sie verstehst, kannst du ihr immer folgen. Bei elektronischer Musik geben einem die Maschinen etwas zurück. Wenn ich Klavier spiele, geht es um den Skill, darum, dass die Finger funktionieren. Bei Elektronik geht es mehr um die Form von Sounds, um den Aufbau, um den Mix. Die Leute sind sofort darauf abgegangen. Wenn es übersteuert klang, haben sie erst recht geschrien.
Ihre Platten trugen immer explizite Botschaften, etwa „Destroy Deutschland“, obwohl Techno ja eher eskapistisch und unpolitisch war.
Ende der Achtziger war Punk reine Phrasendrescherei, niemand wollte sich damals mit politischen Botschaften auseinandersetzen. Pop steckte in der Krise. Das machte sich auch bei Techno bemerkbar. Gerade, als die Sache in Berlin größer wurde, haben Rechtsradikale versucht, die Szene zu unterwandern. Dann hieß es, Techno sei antiamerikanische Musik. Wir haben dagegen klare Statements gesetzt. Und einigten uns auf Antirassismus und Antifaschismus. Wir haben gesagt, jeder Track ist politisch, er muss eine Botschaft haben. Und die konnte man mit Inhalt füllen.
Ich hatte das Gefühl, je weiter wir uns von der Punk-Ära entfernt haben, desto wichtiger wurden Parolen. Wir kamen aus einer anarchistischen Szene, in der man – vornehm gesagt – skeptisch gegenüber dem Staat ist, was sich dann gut ergänzt hat mit vielen US-Künstlern, die ja in Detroit in einer kaputten Stadt aufgewachsen waren. Für uns machte es Sinn, die Antifa zu unterstützen, weil es beim Thema Neonazis damals darum ging, Zeichen zu setzen.
Und heute? Der rechte Rand ist ja nicht verschwunden, Stichwort „Pegida“.
Das Hauptproblem sehe ich im Internet. Was auf YouTube zu sehen ist, was junge Zuseher beeinflusst, ist wirklich krass. Man wird mit Material gefüttert, was vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen ist. Das verbreitet sich schnell. Man muss sich nur mal ansehen, was beim Thema Israel im Netz los ist, da wird wahllos zur Gewalt gegen Juden aufgerufen. Jeder vernünftige Mensch müsste, bevor er etwas postet, genauer hinschauen. Ich hoffe trotzdem, dass aus dem Internet etwas Besseres hervorgeht.
Warum führen Sie nun „Low on Ice“ wieder auf, Ihr drittes Album, das 1995 auf Island entstanden ist?
Zur Entstehungszeit habe ich in Berlin zehnstündige Sets gespielt, Hardcore und Gabba, da habe ich manchmal acht Stunden ausschließlich 250 bpm Tempo aufgelegt. Das Gehirn schaltet irgendwann um und gewöhnt sich an den Speed. Ich war über längere Zeit brettharter Energie ausgesetzt, dann war ich als Kontrastprogramm drei Tage zelten auf Island. Mein Equipment war minimal, eine Drummachine, zwei Synthesizer, ein Sampler. Ein bisschen Punk. Da habe ich diesen Sound entwickelt, der klang, als wäre ich im ewigen Eis eingeschlossen. Es war ein Runterkommen von der Energie meiner Live-Sets, begünstigt von der Natur und der Stille, und so ist diese Trance-artige Musik entstanden.
Die hohen Frequenzen waren weg. Ich lag im Tiefschnee, hörte Geräusche, aber der Schnee war davor, alles klang sehr dumpf. Es sind langsame Beats, 60 bpm und drunter. Subbässe mit Bassfrequenzen von 30 Hertz. Eine Frequenz, die man nur fühlt. Das habe ich vom Dub abgeleitet, wo man die Musik fühlt.
Wenn Sie „Low on Ice“ mit dem Motto der diesjährigen CTM „Un Tune“ zusammendenken, was ergibt das für eine Schnittmenge?
„Low on Ice“ ist ursprünglich auf dem Label „Mille Plateaux“ erschienen, benannt nach einem Buch von Deleuze und Guattari. Wir wollten damals, dass man sich mit Theorie auseinandersetzt, wir wollten den Sound zum Diskurs schaffen. Auch das Festival CTM hat seinen Ursprung in jener Zeit. Damals ging es uns schon um mehr, als nur die Nacht durchzutanzen. Wir haben dann bei der musique concrète des französischen Komponisten Pierre Schaeffer angedockt. Den fanden wir mindestens so spannend wie DJ-Mixe.
Wie kommt Ihnen das Berliner Nachtleben heute vor?
Was ich vermisse, ist, dass sich die Leute um die Musik an sich kümmern. Die Touristen kommen nach Berlin wegen den Locations, das ist in Ordnung. Spannend an elektronischer Musik ist aber doch, wenn man nicht genau weiß, worauf sie hinausläuft. Genau deshalb war diese Phase in den Neunzigern wichtig, weil man gesagt hat im Studio, beim Produzieren geht es um was. Nicht nur der Bass muss fett klingen, wir bringen ihn auch in Zusammenhang mit einer politischen Botschaft. Heute können alle mit Computern umgehen, aber wer hat die Persönlichkeit oder die Tiefe, oder was auch immer man ausdrücken will, um das Besondere aus den Sounds herauszukitzeln? Das ist bei Computermusik wichtiger denn je. Ich glaube, dass die richtige elektronische Revolution erst noch bevorsteht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles