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Album „Jumping Dead Leafs“ von Tolouse Low TraxTradition trifft auf Experiment

Mit „Jumping Dead Leafs“ veröffentlicht Detlef Weinrich sein viertes Soloalbum. Rausgebracht hat es das Kreidler-Mitglied in seiner Wahlheimat Paris.

Mit seinem „Salon de Amateurs“ prägte Weinrich das Düsseldorfer Kulturleben mit Foto: Chrisa Rall

Es ist noch nicht lange her, da trat der Düsseldorfer Künstler Detlef Weinrich beim Festival „Meakusma“ im belgischen Eupen mit seinem Projekt Toresch auf. Sängerin Viktoria Wehrmeister, festes Mitglied von Toresch, trug die tribalistisch klingenden Trax in schemenhafter Fantasiesprache vor und trug dazu eine tiefschwarze, nachhaltig beeindruckende Kutte.

Damals kam einem die Performance als Anspielung auf das Ritualhafte und Kultige in der elektronischen Musik vor. Heute würde man vermutlich sofort an die Coronapandemie denken. Sie bringt die Kunst nicht nur an ihre materielle, sondern auch an ihre emotionale Existenzgrenze. Bei vielen Menschen ist vor lauter Sorge die Neugier auf die Zukunft zumindest temporär verschwunden.

Doch paradoxerweise empfinden manche diesen Umstand nicht so, als wüssten sie im Shutdown überhaupt nicht mehr, wohin mit sich. Detlef Weinrich sagt dazu: „Im Lockdown spüre ich vermehrt ein Endzeitgefühl, es markiert eine fehlende Idee von Zukunft –insgesamt ist es aber auch ein adressenloser Zustand. Das hat mich an meine Anfangszeit als Tolouse Low Trax erinnert. Damals bekam meine Musik nur wenig Aufmerksamkeit. Das gab mir große künstlerische Freiheit; keine Adresse, aber auch kein Druck.“

Tolouse Low Trax nennt sich Weinrich, wenn er als Solist elektronische Musik produziert. Im Coronasommer hat er mit „Jumping Dead Leafs“ sein viertes Album unter diesem Namen veröffentlicht. Das Alias lehnt sich an den postimpressionistischen französischem Maler und Plakatkünstler Henri Toulouse-Lautrec an.

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Albumcover im Stile Henri Toulouse-Lautrecs

Der konnte mit wenigen Farbsteinen in Gelb, Rot und Blau außerordentlich starke Kontraste schaffen. Weinrichs neues Album hat einen bemerkenswert entschleunigenden, harmonischen Sog, der mit jedem Hören stärker wird. Als Verbeugung vor dem Namensgeber verbindet das Albumcover die klassische Ästhetik eines Designmagazins mit der Ausstrahlung dokumentarischer Fotografie.

Das Album

Tolouse Low Trax: „Jumping Dead Leafs“ (Bureau B/Indigo)

Weinrich zelebriert auf sieben Songs, die er als Rohmaterial nimmt und mit neuen Effekten mischt, elektronischen Dub. Damit öffnet er die Songs für ungewohnte Klangeinflüsse. Die Annäherung an raue HipHop-Instrumentals ist nicht zu überhören, besonders das Titelstück ist so ungemein lässig, dass sich dieses Gefühl aufdrängt.

Die Rhythmen laden zwar zum Tanzen ein, sind aber nicht populistisch auf die Zwölf produziert, sondern experimierfreudig ausufernd. Geheimnisvoll und träumerisch wie das Stück „Inverted Sea“, monoton-rhythmisch wie die Stücke „Berrytone Souvenir“, „Sales Pitch“ und „Dawn Is Temporal“, die an das legendäre Kraftwerk-Stück „Trans Europa Express“ erinnern.

Detlef Weinrich arbeitet mit Sampler, Synthesizer und Effektgeräten. Die sieben Songs des neuen Albums nimmt er als Rohmaterial, verfremdet sie mit Effekten, mischt und versioniert mit elektronischem Dub. Dass die Düsseldorfer Synthie-Pioniere Kraftwerk mit ihrer Elektronikkunst der 1970er Jahre zum Vorbild für den Dance­floor ab den späten Achtzigern werden sollten, war abzusehen.

Mouse on Mars vs. Kreidler

Nicht zu erwarten war, dass es in ihrer Heimatstadt rund 20 Jahre dauern sollte, bis sich dort eine eigenständige Elek­tronikszene etablierte. 1994 erscheinen gleich zwei Bands auf der Düsseldorfer Bildfläche der elektronischen Avantgarde, die beide bis heute international aktiv und einflussreich sind. Die eine nennt sich Mouse on Mars. Hinter dem aus einer Zeichentrickserie entlehnten Namen verbirgt sich das Köln-Düsseldorfer Duo Jan St. Werner und Andi Toma.

Das Duo erntet schnell für seine Mixtur aus Techno-, Dub- und Krautrockelementen große internationale Aufmerksamkeit, die bis David Bowie reicht. Die andere Band heißt Kreidler und arbeitet mit Bass, Synthesizer und Schlagzeug. Ihre frühen Instrumentals stoßen neue elektronische Klangwelten auf mit quasi asiatischem Gleichmut, schnell gelten sie als die Lieblingsenkel von Ralf Hütter und Florian Schneider.

Kreidler will in der Kunststadt Düsseldorf moderne Kunst in einen Popkontext verwirklichen und sieht seinen Aktionsraum audio-visuell definiert. Die Band ist zu Gast auf internationalen Videofestivals, für die Eröffnung von Fotoausstellungen von Andreas Gursky treten sie im Pariser Centre Pompidou ebenso wie im New Yorker Museum of Art auf, auch die Fashionmarke Chanel lässt sich auf ihren Modeschauen gerne von Kreidler begleiten.

Den musikalischen Rahmen von Kreidler baut an den Plattentellern Detlef Weinrich als DJ. Mit fast 30 etwas älter als seine Kollegen Thomas Klein und Andreas Reihse, wird Weinrich mit Synthesizer und Sampler zum festen Teil der Band. Ausgeprägt ist bei ihm die Nähe zur Kunstakademie, wo er Anfang der 1990er Bildhauerei bei Magdalena Jetelova studiert. Bei Kreidler sind alle Bandmitglieder zugleich solo mit eigenen Projekten unterwegs, so auch Detlef Weinrich als Tolouse Low Tax.

Der Düsseldorfer „Salon des Amateurs“

Sein aktuelles Album „Jumping Dead Leafs“ ist nun nicht nur musikalisch bemerkenswert, sondern auch deshalb, weil er es zwar noch in Düsseldorf komponiert, es aber in diesem Sommer schon in seiner neuen Wahlheimat Paris veröffentlicht hat. Nach 27 Jahren hat Weinrich den Lebensmittelpunkt Düsseldorf verlassen, dessen Kulturleben er sowohl mit Kreidler als auch mit dem über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Club „Salon des Amateurs“ mitgeprägt hat.

Dieser steht seit fast 20 Jahren für Salonkultur, die das Amateurhafte feiert, die Kraft des Dilettantischen, Impulse, die zuvor meist aus dem Punk- und New-Wave-Umfeld kamen. Der Club wird unter der Ägide von Weinrich zum Musiklabor. Als DJ schätzt er einen Sound der obskuren Töne, bei denen die menschliche Stimme als Instrument eingesetzt wird. Dieses Amalgam aus Outrock, Elektronik und Afrobeat klingt durchaus kosmisch.

Während Resident-DJs wie Weinrich und Lena Willikens den Stil des Salons prägen, wird im Laufe der Jahre der Sound stilbildend, zwischen Tradition und Experiment. Allmählich akzeptieren und schätzen die Einheimischen den Laden. Ähnlich wie beim „Pudelclub“ in Hamburg oder dem „Robert Johnson“ in Offenbach hat aber auch die internationale Musikpresse Notiz davon genommen und schickt regelmäßig Korrespondenten.

Der Club hält gleichwohl seine Linie: immer bewusst gegen die Gleichmacherei des Mainstreams gerichtet, mehr Kunst als Funktionsmusik für Tanzflächen. Und so eben auch anders als das maschinell-repetitive Muster von Kraftwerk.

Kontrast zu Kraftwerk-Konzerten

Als Kraftwerk im Januar 2013 für acht Konzerte das dem Club gegenüberliegende Museum K20 in Beschlag nehmen, läuft im kleinen Salon das Kontrastprogramm. Weinrich sagt über seinen Anspruch: „Ich hatte wirklich die Idee, dass der Salon eine Übersetzung des Ratinger Hofs in die Gegenwart wird – auch wenn das vermessen klingen mag.

Es war mir auch klar, dass man die Intensität, die hohe Energie, die einst mit Punk und New Wave und auch der ganzen Verbindung mit Carmen und Imi Knoebel entstand, nicht nachmachen kann. Trotzdem habe ich einen sozialen Ort geschaffen, aus dem heraus Projekte und Musik entstehen, die für die Stadt wichtig sind. Und das haben wir gemacht.“

Fast ein Jahr blieb der Salon des Amateurs 2018/19 wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, bis er im Oktober 2019 wiedereröffnet wurde. Jedenfalls für kurze Zeit bis zum ersten Corona-Lockdown im März und dann noch einmal – sehr eingeschränkt – für ein paar Wochen im Sommer dieses Jahres. Das Interieur ist weiter von schlichter Finesse: Schwere Ledersessel stehen an Kaffeetischen aus Stahl. Der Terrazzoboden hat ein Schachbrettmuster.

Die Bar aus dunkelgrünem, fast schwarzem Stein zieht sich von der gläsernen Eingangstür hinein in den Raum. Sehr einladend, diese Oase. Die Chancen, dass es nach der Pandemie weitergeht, stehen gut. Der Club befindet sich im Erdgeschoss der größtenteils städtisch finanzierten Düsseldorfer Kunsthalle und für Detlef Weinrich hat man längst einen Nachfolger gefunden.

Künftig wird Lucas Croon von der Band Stabil Elite im Salon auflegen. Stabil Elite, 2007 gegründet und seither mit ihrem leichten, die moderne Coolness ironisierenden Sound international immer bekannter geworden, gehören zu jenen damals um die 20-jährigen Talenten, die im Salon musikalisch sozialisiert wurden.

Kein Zufall also, dass im Düsseldorfer Spumante-Studio bei Lucas Croon von Stabil Elite die Aufnahmen und der Mix des Weinrich-Albums „Jumping Dead Leafs“ stattfanden. Deutlicher kann man eine Staffelübergabe nicht inszenieren. Das Publikum des Salons des Amateurs wartet sehnsüchtig auf Wiedereröffnung und natürlich auch darauf, dass dieser große Künstler aus Paris, Tolouse Low Trax, bald einige Gastspiele an seiner ehemaligen Wirkungsstätte geben wird.

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