piwik no script img

Akzeptanz von Schwulen und LesbenBrauchen wir eine Heterobewegung?

Auf dem Papier kriegen Homosexuelle mehr Rechte. Nur kommt die Gesellschaft offenbar nicht ganz hinterher. Sind jetzt die Heteros gefragt?

Buntes Baden-Württemberg: Demonstration auf dem Christopher Street Day in Freiburg. Bild: dpa

Es beginnt mit einem Zettel am schwarzen Brett. „Ich bin schwul. Wenn ihr Fragen habt, meldet euch“. Mit diesem Aushang outet sich der Schüler eines Gymnasiums. Ein Lehrer, der den Aushang sieht, beschließt, dass man da etwas tun muss: Er setzt den Jungen neben ein Mädchen, in der Hoffnung, dass sich das mit der Homosexualität vielleicht noch gibt. Eine Geschichten aus dem Deutschland der 90er-Jahre.

Die Mutter des Jungen gründet daraufhin eine Gruppe, in der Eltern homosexueller Kinder sich austauschen können. Mittlerweile ist daraus der „Bundesverband der Eltern, Freunde und Angehörigen von Homosexuellen e. V.“ geworden, der 16 Beratungsstellen in ganz Deutschland unterhält. Es gibt etliche Vereine wie diesen.

Ein Zeichen, dass Deutschland im Jahr 2014 weiter ist als in den Neunzigern?

Schließlich gibt es auch Gruppen wie die „Gayfarmer“, eine Berufevereinigung in der homosexuelle Männer und Frauen organisiert sind, die als Landwirte oder Gärtner arbeiten. Die Gayfarmer zählen immerhin 460 Mitglieder. Schwule Stammtische, Jugendgruppen und Vereine gründen sich längst nicht mehr nur in großen Städten, sondern auch in Meppen, Königs Wusterhausen oder Neuötting.

taz.am wochenende

Am 17. September 2013 simulierten die deutschen Behörden den Super-GAU eines Atomkraftwerks. Interne Dokumente zeigen: Die geheime Übung ging gründlich schief. Wie lesen Sie in der //www.taz.de/Ausgabe-vom-25/26-Oktober-2014/!148243%3E%3C/a%3E:taz.am wochenende vom 25./26. Oktober 2014. Außerdem: Die Gleichberechtigung von Homosexuellen in Deutschland scheint fast am Ziel. Aber manchmal kommt die Gesellschaft nicht ganz mit. Wie ein Landwirt seine Familie herausfordert, weil er Männer liebt. Und: Der Psychoanalytiker Vamik Volkan denkt über Osama bin Laden nach. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen //taz.de/tazam-wochenende/%21112039%3E%3C/a%3E:Wochenendabo.

Sexuelle Konterrevolution?

Homosexualität scheint doch ohnehin im Mainstream angekommen: Guido Westerwelle, Klaus Wowereit, Thomas Hitzlsperger und Anne Will dienen gerne als Beleg für diese These. Doch wer schon einmal als Mann mit einem anderen Mann händchenhaltend durch die Stadt gelaufen ist weiß, dass es ganz so einfach auch wieder nicht ist.

Und war da nicht was in Baden-Württemberg? Genau, ein Realschullehrer hatte gegen den Versuch der grün-roten Landesregierung, sexuelle Vielfalt stärker im Unterricht zu behandeln – er wird dafür von mehr als 190.000 Petenten aus ganz Deutschland unterstützt. Die „Alternative für Deutschland“ erreicht mit reaktionären Ansichten zweistellige Wahlergebnisse und Akif Pirinçci erzielt mit einem Pamphlet gegen Homosexuelle, Frauen und Migranten einen Verkaufsschlager.

Publizistinnen wie Ulrike Heider, die mit ihrem Buch „Vögeln ist schön“ Aufsehen erregte, sprechen von einer „sexuellen Konterrevolution“ und nehmen einen Backlash wahr. Heider fürchtet eine weitere Remoralisierung.

Langes Schweigen

Gerade im ländlichen Raum kann eine überkommen geglaubte Sexualmoral die Situation für Homosexuelle besonders schwierig machen. Viele trauen sich kaum, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen.

In der taz.am wochenende vom 25./26. Oktober erzählt taz-Reporterin Lena Müssigmann von den Schwierigkeiten, die ein Coming-out gerade im ländlichen Raum immer noch bedeuten kann. Sie porträtiert den Bauern Andreas Deyer, der seine Eltern irgendwann mit der Nachricht schockte, er sei schwul. Müssigmann schildert, wie das laute Schweigen der Eltern daraufhin Monate dauerte, bis der Sohn sie vor die Wahl stellt: Akzeptiert mich oder ich gehe. Beim alten Bauer und seiner Frau setzt darauf ein Prozess ein, an dessen Ende vieles anders ist, als davor. Und doch gut so.

„Das zweite Leben des Andreas Deyer“ handelt von der besonderen Rolle, die Eltern heute beim Coming-out ihrer Kinder spielen. Gerade auf dem Land kann das eine ganz entscheidende Rolle sein. Im positiven wie im negativen.

Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitut forsa von Anfang 2014 wären immerhin noch 19 Prozent der Eltern enttäuscht, würde sich ihr Sohn oder ihre Tochter outen. Neun Prozent würden sich sogar schämen.

Eltern als Vermittler

Nach der Entkriminalisierung in den 90ern und der rechtlichen Gleichstellung, die noch immer nicht abgeschlossen ist, scheint eine dritte Phase der Homobewegung dringend nötig. Denn gesetzlich ist mittlerweile in puncto Gleichstellung einiges erreicht. Nur manchmal, siehe Baden-Württemberg, hat man den Eindruck, die Gesellschaft kommt da nicht mehr ganz mit. Es fehlt die Akzeptanz.

Sind es nicht vielleicht gerade Eltern, die der Homobewegung einen neuen Schub verleihen können und diese Akzeptanz fördern? Und zwar die Eltern, die positiv reagieren. Die Mutter Traudl Fuchs beispielsweise, die in Diskussionsrunden für ihre lesbische Tochter spricht. Solche Eltern seien, sagen Vertreter von schwul-lesbischen Verbänden auf dem Land, positive Botschafter. Sie übernehmen eine Vermittlerrolle zwischen den eigenen Kindern und der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft. Im Grunde haben sie dabei selbst ein Coming-out – als Eltern homosexueller Kinder. Müssten nicht grundsätzlich langsam die Heterosexuellen ein bisschen mehr für die Akzeptanz von Schwulen und Lesben tun?

Was meinen Sie? Woher kommt der neue Schub, der breite Akzeptanz für Homosexuelle bringt?

Diskutieren Sie mit!

Die Ganze Geschichte „Das zweite Leben des Andreas Deyer“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 25./26. Oktober 2014.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Freie Ausübung im Privaten - bitte, Propaganda - nein.

    Die "Homo-Ehe" bringt der Gesellschaft sowieso gar nichts.

    • @Georg Friedrich:

      "Propaganda" - zuallerstmal die Begriffsklärung.

      Laut Duden eine " systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu BEEINFLUSSEN."

       

      Inwiefern sollte die Einforderung der Menschenrechte, wie sie im Grundgesetz schon lange feststehen, die oben genannten Kriterien erfüllen?

       

      Oder hat da jemand Angst, dass jemand ihm seinen kleinen Timmi verschwulisiert? (kann mich kaum halten vor Lachen)

    • @Georg Friedrich:

      wir müssen hier hoffentlich nicht ernsthaft darüber diskutieren, dass die berechtigten forderungen nach akzeptanz und gleichberechtigung keine "propaganda" sind.

    • @Georg Friedrich:

      Gilt das auch für Heterosexuelle? Nur freie Ausübung im Privaten, aber ansonsten Stillschweigen über die eigene heterosexuelle Orientierung?

      Wenn nein, warum nicht?

      Und was die "Homo-Ehe" angeht, den finanziellen Nutzen für die Gesellschaft, wenn zwei Menschen für einander dauerhaft Unterhaltsverpflichtungen eingehen, den können Sie wohl kaum bestreiten.

      • @vulkansturm:

        Nein, diese Regel sollte ausschliesslich nur für Nicht-Heteros gelten, weil die Heterosexualität die Norm ist.

         

        Die Bedeutung der Ehe besteht wiederum darin, dass die das verkleinerte Bild einer Gesellschaft, die sowohl aus Männern als auch Frauen besteht, darstellt und somit die Bände zwischen den Mitgliedern dieser Gesellschaft befestigt. Zu diesem Zweck kommt selbstverständlich nur die Hetero-Ehe in Frage, die als positives Beispiel nicht zuletzt auch den Kindern gewidmet ist, damit denen es leichter wäre ihr zukünftiges Leben zu gestalten.

        • @Georg Friedrich:

          Finde ich auch. Heiraten sollte erst dann erlaubt sein, wenn Nachwuchs da ist. Damit könnte man die ganzen unnützen Simulanten schon mal aussieben. Bei Alleinerziehenden sehe ich eine massive Gefärdung des Kindeswohls. Sie sollten vor die Wahl gestellt werden: Heiraten oder Entzug des Sorgerechts. War noch was? Ja: Puppenstuben sollten ab sofort zum Pflichtinventar von Haushalten mit Kindern und Erziehungseinrichtungen erklärt werden. Dann hat der Nachwuchs Ihr verkleinertes Bild der Gesellschaft schon mal vor Augen.

        • @Georg Friedrich:

          Ihre Argumentation ist nicht sehr logisch!

          Also Ihrer Meinung nach ist Heterosexualität notwendig, damit der Zusammenhalt zwischen Männern und Frauen zustande kommt. Keine Gesellschaft kann aber existieren, wenn es nur Verbindungen und Anziehung zwischen Männern und Frauen gibt, die Verbindungen zwischen Männern und Männern oder Frauen und Frauen aber nur durch Konkurrenz bestimmt sind. Ohne homoerotische Anziehung ist jede Gesellschaft dem Untergang geweiht, Da gäbe es nur noch Mord und Totschlag, aber keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

  • Das ist jetzt eine absolute Binsenweisheit, aber gerade unter Homophoben und unter Gegnern der Gleichstellung von Homosexuellen wird ja gerne so getan, als wenn wir (die Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen) außerhalb der heterosexuellen Welt stünden bzw. in Opposition zu dieser. Daher halte ich es für sinnvoll, wenn mehr Menschen zeigten, dass wir Teil einer Familie sind, Teil der angeblichen heterosexuellen Welt und in dieser auch Rollen wahrnehmen. Wir kümmern uns um unsere alten Eltern, unterstützen unsere Geschwister, wir helfen unseren Freunden. Das klingt alles selbstverständlich und doch wird es leicht vergessen.

  • Der alte Schub ist ja verortbar. Das sind die Homosexuellenbewegung, Grüne, SPD ... Der nächste Schub kommt wie Merkels Ausstieg aus der Atomenergie aus der CDU und von den Kirchen.