piwik no script img

Aktuelle Lage in der UkraineNicht auf das nächste Stöckchen warten

Kommentar von Barbara Oertel

Solange die Ukraine existiert, hat das Land den Krieg gewonnen. Die Frage ist nur, wie lange der Zustand anhält.

Noch gibt es Nachschub, nur wie lange ist die Frage an der Front Foto: Evgeniy Maloletka/ap

F ür die Ukrai­ne­r*in­nen war die vergangene Woche keine gute. Entscheidenden Anteil daran haben US-Präsident Donald Trump sowie einige seiner kompetenzfreien Unterlinge. Bei Trumps Junktim, Waffenlieferungen an Kyjiw im Gegenzug an einen Zugriff auf ukrai­nische Rohstoffvorkommen zu knüpfen, blieb es nicht. Auch der Stopp von Zahlungen der US-Entwicklungsbehörde USAID, die für die Ukraine von enormer Bedeutung sind, versetzte dort viele in Panik. Last but not least: Die erratischen Einlassungen des Ukraine-Sondergesandten Keith Kellogg, der Neuwahlen in dem Land für eine gute Idee hält – auch in Kriegszeiten. Das sei gut für die Demokratie. Russlands Präsident Wladimir Putin, der sich ausgiebigst an der nicht vorhandenen Legitimität von Wolodymyr Selenskyj abarbeitet, dürfte applaudiert haben.

Nun sollte man nicht über jedes Stöckchen springen, das Trump und Co. täglich hinhalten. Doch im Fall der Ukraine ist das so einfach nicht. Denn die berechtigte Angst, wichtige Entscheidungen könnten – wieder einmal – über Kyjiw hinweg getroffen werden, ist omnipräsent. Was das Budapester Abkommen von 1994 letztlich wert war, ist bekannt. Die Ukraine gab seinerzeit ihre Atomwaffen ab – gegen die Verpflichtung, dass ihre Souveränität und ihre Grenzen geachtet würden. Auch Russland gehörte zu den Signatarmächten. Doch nun sitzt mit Trump ein Mann im Weißen Haus, der sich über geltendes Recht einfach hinwegsetzt.

Jetzt denken viele: Wenn jeder Tag der letzte sein kann, wofür das alles noch?

Hinzu kommt zu alldem, dass die fast drei Jahre des von Moskau entfesselten Krieges mit täglichen Opfern, Angriffen und massiven Zerstörungen ihren Tribut fordern – von Tag zu Tag mehr. Die ausgezehrten ukrainischen Truppen, denen es an Soldaten und Waffen mangelt, haben dem Aggressor immer weniger entgegenzusetzen. Sie kämpfen, vor allem an der Front im Osten, vielfach auf verlorenem Posten. Auch in der Zivilbevölkerung kippt die Stimmung – wenig überraschend angesichts von zahllosen menschlichen Tragödien und einem zermürbenden Kampf ums Überleben im Dauer­modus. Wenn jeder Tag der letzte sein kann, wofür das alles noch?

Nach Antworten dürfte auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz am kommenden Wochenende gesucht werden. Wenn man Kellogg Glauben schenkt, werden die USA ihren Friedensplan, sollte es ihn überhaupt schon geben, in München noch für sich behalten.

Das ukrainische Webportal focus.ua warnt vor überzogenen Erwartungen nach dem Motto: statt realitätsferner Siegesfantasien lieber niederschwelliger ansetzen. In einem Vernichtungskrieg gegen einen überlegenen Gegner sei das Kriterium für einen Sieg der Ukraine einfach, ist da zu lesen. „Wir gewinnen, solange wir existieren.“ Das sollten die europäischen Verbündeten Kyjiws als Arbeitsauftrag verstehen: As long as it takes? Ja, aber nicht auf das nächste Stöckchen warten, sondern gemeinsam entschlossen handeln. Es geht nicht nur um die Sicherheit und Zukunft der Ukraine, sondern um uns alle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Da muss ich widersprechen. Im Krieg gewinnt keiner.

  • Solange es keine Sicherheitsgarantien gibt die mit Truppen untermauert sind wird es keinen Frieden geben, die Ressource die Russland fehlt sind nicht Öl, Metall, Gas oder Kohle, es sind Menschen. Russland braucht mehr Untertanen (und die ukrainische Rüstungsindustrie), daher wird Russland wieder angreifen. Es kann gar nicht anders will es global bedeutsam werden.

    • @Machiavelli:

      Habe Sie irgendwelche seriösen Quellen für diese These.



      Das klingt nach einer unlogischen Verschwörungstheorie. Die Ukraine hat eine der niedrigsten Geburtenquoten der Welt. Schön jetzt wird darüber diskutiert das Einzugsalter auf 18 oder 17 Jahren zu reduzieren. Würde es Russland um Menschen gehen, hätte es eine der schwachen ehemaligen Sowjetrepubliken mit hohen Geburtenraten angegriffen.

    • @Machiavelli:

      "Global bedeutsam werden" was verstehen Sie darunter? Ständiges Mitglied des UN Sicherheitsrats, Vetorecht, Mitgründer von BRICS, flächenmäßig größtes Land der Erde, Weltraumpionier... Wie viel Fakten brauchen Sie noch?

  • Danke für diesen Beitrag. Viel zu lange wurde sich in Belangen eie der Sicherheit und der humanitären Hilfe hinter den USA versteckt. Es wäre zu wünschen, dass Europa näher zusammendrückt und lernt die Lücke selbstständig zu schließen oder die Folgen für die Welt zumindest abzumildern

  • "Solange die Ukraine existiert, hat das Land den Krieg gewonnen."

    Echt? Dann hätte man sich durch sofortige Abtretung der umstrittenen Gebiete zu Kriegsbeginn aber einiges sparen können.

    • @Sam W:

      Man wollte warten, bis Trump wieder in Amt und Würden ist und diese Gebiete im Rahmen seiner Flurbereinigung mal so übernehmen kann.

      • @Erfahrungssammler:

        Wie begründen Sie ihre These?



        Es war wohl eher Popolimus der zu dieser Situation geführt. Klare, einfache (wenn auch vollkommen unrealistische Positionen) kaman lange Zeit einfach gut an.

  • "Solange die Ukraine existiert, hat das Land den Krieg gewonnen. "

    Diese Aussage kann ich vollkommen unterstützen!

    Leider handele man nicht nach dieser Devise, sondern "konzertierte" sich auf unrealistische Ziele wie die Zurückeroberung der Krim.



    Leider war die Ukraine noch nie in einer so schlechten Lage wie jetzt. Sollten mit Putin Verhandlungen innerhalb der nächsten Monate geschehen, sollte man sich fragen warum man dieses nicht schon viel früher gemacht hat. Ja, Putin ist der alleinige Schuldige, aber deswegen nicht versuchen über realistische Ziele mit ihm zu verhandeln in den letzten Jahren hat nicht zu einer Verbesserung, sondern einer Verschlimmerung der Lage geführt.

    "Auch der Stopp von Zahlungen der US-Entwicklungsbehörde USAID, die für die Ukraine von enormer Bedeutung sind, versetzte dort viele in Panik. "

    In diesem Zusammenhang kann auch erwähnt werden, dass das Ende von USAID noch katastrophalere Auswirkungen für die hungernden Menschen auf dieser Erde hat, die vorher schon darunter zu leiden hatten, dass immer mehr zu Gunsten der Ukraine umgeschichtet wurde. Man hätte für die Ukraine eine sperate Einrichtung oder zumindestens Budget schaffen müssen.

  • Zwei inhaltliche Anmerkungen:



    1. Die Ukraine hatte nie "Ihre" Atomwaffen. Diese gehörten der UdSSR sowie deren Nachfolgestaat Moskau. Die Ukraine hatte auch niemals Kontrolle über diese Atomwaffen. die Codes lagen im Moskau. Im Kern wurde also der Besitz nicht nutzbarer Atomwaffen aufgegeben.



    www.atomwaffena-z....apester-memorandum



    2. Ich denke, die Ukraine in der Form wie sie vor 2014 existierte wird so oder so nicht überleben. Viele Gebiete werden an Russland verloren gehen, zumindest de facto. Und diese Gebiete bilden nun einmal das industrielle Herz der Ukraine und mit gigantischen Bodenschätzen sowie der Meeresküste und fruchtbarer Erde. Dazu kommt, dass die Ukraine schon stark im demographischen Niedergang war. 52 Millionen 1991, vor dem Krieg kaum mehr 40 Millionen. Nun nehmen wir all die Geflüchteten, die eventuell nicht zurück kommen. Dazu die nun von Russland beherrschten Menschen. Zu Guter Letzt die Toten, Kriegsversehrten und Traumatisierten Menschen.



    Das ist die Tragik, die von der Falkenfraktion einfach nicht verstanden wird.



    Geht dies noch ein, zwei Jahre weiter, dann ist die Ukraine völlig am Ende.

    • @Kartöfellchen:

      Das ist in etwa die Position des Kremls, wenn ich mich nicht täusche.

      • @C. Avestruz:

        Welche der erwähnten Fakten zweifeln Sie an, wenn ich fragen darf?



        Die Ukraine hätte übrigens gar nich die Atomwaffen behalten können, selbst wenn Sie gewollte hätten. Der diplomatische Druck aus dem Westen war immens und hätte dazu geführt, dass die Ukraine ein "Pariastaat" geworden wäre.

  • Zitat: "Wenn man Kellogg Glauben schenkt, werden die USA ihren Friedensplan, sollte es ihn überhaupt schon geben, in München noch für sich behalten."

    Zeichnet der sich nicht jetzt schon ab? Nur der Ukraine wegen wird USAID sicher nicht erhalten bleiben, es drängt sich im Moment eher ein Eindruck des Gegenteiles auf. Wenn also etwas noch im Dunkeln bleibt, dann die Frage, ob Trump dem Putin noch etwas abverlangen will und wenn ja, wie und wann er das einzufädeln gedenkt.

  • also erstmal: Lincoln wurde 1864 wiedergewählt, während des amerikanischen Bürgerkriegs. Es gibt also gerade in den USA Beispiele für Wahlen während eines Krieges. Ein Wahlsieg würde Selenski gerade in den Augen der USA legitimieren, eine Weigerung Wahlen durchzuführen lässt den Zweifel wachsen. Was die Forderung der USA nach Gegenleistungen angeht: das ist berechtigt. Ansonsten schluckt die UA das Geld einfach (immerhin nach Russland das zweit-korrupteste Land in Europa, steht im Korruptionsindex von Transparency International auf Rang 104. Hinter Algerien und vor der Dominikanischen Republik). Und, wir haben immer noch keine Kriegsziele definiert. Was wollen wir eigentlich erreichen? Auch die USA sehen das so, und wollen daher wenigstens ein Entschädigung bevor der Krieg zuende geht.