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Aktivistin über patriarchale Gewalt„Erst muss was Schlimmes passieren“

Niedersachsen will Belästigung auf der Straße verbieten. Aber der Fortschritt kommt zu langsam, kritisiert Lisanne Richter von „Catcalls of Hannover“.

Berührungen im intimen Bereich sind erst seit 2016 in Deutschland strafbar Foto: Peter Kneffel/dpa
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Lisanne Richter, Gewalt gegen Frauen hat in Deutschland in den vergangenen Jahren laut Statistiken zugenommen. Woran liegt das?

Lisanne Richter: Wir beobachten gesamtgesellschaftlich einen Rollback. Rechte Parteien, die auch Frauenrechte stark beschneiden wollen, sind seit Jahren im Aufwind. 2017 hatten wir #Metoo, danach wurde viel diskutiert, was wir als Gesellschaft verändern müssen. Heute ist die Stimmung eher: „Man darf nichts mehr sagen und nicht mehr flirten.“ Aus so einer Stimmung folgen eben auch Gewalttaten.

taz: Versagen staatliche Strukturen beim Schutz von Frauen?

Richter: Ich würde nicht unbedingt von einem Versagen sprechen. Der Umgang etwa mit Hassdelikten bei der Polizei ist sehr unterschiedlich. Und natürlich ist alles immer eine Kostenfrage. In Hannover wurde gerade im Kultur- und Sozialbereich viel gestrichen. Dabei hat die Stadt die Pflicht, Beratungsstellen mitzufinanzieren. Da zu sparen ist fatal für die ganze Gesellschaft.

Bild: Susanne Haupt
Im Interview: Lisanne Richter

27, Gründerin des Instagramchannels Catcalls of Hannover und Vorsitzende von Chalkback Deutschland e.V. Sie mag gern Bananenbrot mit Schokostückchen.

taz: Immerhin will Niedersachsen Catcalling verbieten.

Richter: Stimmt, die niedersächsische Justizministerin hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf eingebracht. Wir müssen natürlich gucken, ob der am Ende so durchkommt. Seit 2020 ist Upskirting verboten, also das Fotografieren unter den Rock, und seit 2016 sexuelle Belästigung. Ich wundere mich nur, warum das immer so lange dauert.

taz: Wie meinen Sie das?

Richter: Der Gesetzesentwurf zu Catcalling, aber auch die Gesetze zu Up­skirting und sexueller Belästigung, waren beeinflusst durch beharrliche aktivistische Arbeit. Meistens muss etwas Schlimmes passieren, bis sich was verbessert. Warum brauchen wir die Köllner Silvesternacht, um unter Strafe zu stellen, dass Menschen an intimen Körperteilen angefasst werden?

taz: Was raten Sie Betroffenen von Catcalling, wie sie in der Situation reagieren sollten?

Richter: Viele Betroffene schreiben uns, dass sie sich schämen, nichts gesagt zu haben. Das ist total normal! Man ist überfordert und überrumpelt und muss sich nicht schämen. Natürlich kann man zurückbellen, wenn man sich das in dem Moment zutraut. Grundsätzlich würde ich eher von Beleidigungen abraten, weil das leider dazu führen kann, dass man sich weiter in Gefahr bringt.

Veranstaltung

Gesprächsreihe „Themen und Torten“ zu gesellschaftlichem Engagement. Am 17.12.2024 zu patriarchaler Gewalt mit Lisanne Richter (Catcalls of Hannover) und Mijdar Tasman (Beratungsstelle suana/kargah e.V.). 18 Uhr, Freizeitheim Vahrenwald, Vahrenwalder Straße 92, Hannover

taz: Was kann ich tun, wenn ich Partnerschaftsgewalt in meinem Umfeld mitkriege und die Betroffene nichts dagegen unternimmt?

Richter: Dass jemand in einer Gewaltspirale feststeckt, ist sehr typisch. Ein Problem ist, dass es nicht mit dem blauen Auge anfängt, sondern mit kleineren, unsichtbaren Sachen. Als Laie, der das mitbekommt und helfen will, kann man aus Versehen dafür sorgen, dass sich die Betroffene noch mehr zurückzieht. Deshalb würde ich immer eine Beratungsstelle aufsuchen. Als Betroffene schafft man es nicht alleine, aber auch als Angehörige oder Beobachterin nicht.

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4 Kommentare

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  • Danke für den Artikel zu diesem wichtigen Thema.

  • "Heute ist die Stimmung eher: „Man darf nichts mehr sagen und nicht mehr flirten.“ Aus so einer Stimmung folgen eben auch Gewalttaten."

    Ist es dann Sinnvoll diese Stimmung mit noch mehr Verboten, deren Wirkung eher zweifelhaft sind, noch zu befeuern?



    Es steht ja im Artikel, Gewalt gegen Fraun nimmt in den letzten Jahren traurigerweise immer mehr zur, also scheinen bestehende Verbote nichts zu nützen und auch nicht der richtige Weg zu sein.



    Zumal, wie soll ich jemandem Catcalling nachweisen, wenn ich z.B alleine unterwegs bin, ich müsste ja permanent ein Aufnahmegerät am Körper haben oder mit der Kamera rumlaufen.

    • @PartyChampignons:

      "... Aus so einer Stimmung folgen eben auch Gewalttaten. ..."



      Muss man allen Stimmungen immer folgen?



      Wenn man sich von der "Stimmung" nach Gewalt zu lascheren Regeln und Verharmlosung treiben lässt, was kommt da als nächstes? Soll der Staat das Gewaltmonopol aufgeben?

    • @PartyChampignons:

      Diese Stimmung wird hauptsächlich dadurch befeuert dass es zwar Verbote gibt aber die Justiz vollkommen überfordert scheint Täter tatsächlich zu bestrafen.



      Beispiel: Nur 1%-2% aller angezeigten Vergewaltigungen resultieren in einer Haftstrafe für den Täter, meist unter 3 Jahre.



      Bei sexueller Belästigung, Bedrohung und körperlicher Gewalt sieht es noch übler aus, es gibt kaum Gerechtigkeit für Opfer oder Strafe für Täter, von aktivem Opferschutz mal ganz abgesehen.

      Wenn also vorhandene Verbote und Gesetze nicht durchgesetzt werden zeigt das potentiellen Tätern dass sie quasi freie Bahn haben.



      Verbote abzuschaffen oder neue Gesetze zum Schutz von Frauen zu verhindern würde diese Botschaft an die Tätergruppe nur noch verstärken.

      Zur Beweisbarkeit von Catcalling: Für viele Frauen ist es absolut Alltag mit dem Handy Videos und Tonaufnahmen zu machen um im Ernstfall Beweise zu haben. Ob in der Bahn, in der Stadt, im Park, wenn die Situation gefährlich scheint macht frau ein Video. Und es sind dann meist Männer die sich online darüber lustig machen dass viele Frauen aus Angst solche Maßnahmen ergreifen.