Aktivistin über Umweltzerstörung: „Ökozid ist ein Verbrechen“
Wer mutwillig die Umwelt schädigt, soll künftig wegen Ökozids angeklagt werden. Das fordert Jojo Mehta von der internationalen Bewegung StopEcocide.
taz: Frau Mehta, was will die internationale StopEcocide-Bewegung erreichen?
Jojo Mehta: Wir möchten, dass das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs erweitert und Ökozid darin als fünftes Verbrechen gegen den Frieden aufgenommen wird, neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und dem Verbrechen der Aggression.
Was ist mit Ökozid gemeint?
Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Mord an unserem eigenen Haus“. Das heißt, wenn große Systeme wie Flüsse oder Feuchtgebiete, Regenwälder, Meeresregionen, Regionen also, in denen es zig Rückkoppelungen zwischen verschiedensten Lebensformen gibt, durch menschliches Handeln massiv gestört oder zerstört werden.
Wann wäre der Straftatbestand erfüllt?
Die Definition, an der in unserem Auftrag 12 international anerkannte Jurist:innen gearbeitet haben, lautet: „Ökozid bedeutet rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen begangen, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden an der Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht wurden.“
Was ist daran das Neue?
ist Geschäftsführerin von „Stop Ecocide International“.
Dass die Definition nicht auf die Verletzung menschlicher Rechte abhebt. Es muss also keine Person in ihren Eigentums-oder Menschenrechten betroffen sein, die klagt. Staatsanwälte würden von Amts wegen Anklage erheben.
Warum nimmt dieses neue Rechtskonzept in Europa gerade so an Fahrt auf?
Anlass ist die aktuelle Novellierung der EU-Richtlinie zum Umweltstrafrecht. Die war lange Jahre ein zahnloser Tiger. Unser Wunsch ist, dass die Kriminalisierung von Ökozid auch in der neuen EU-Richtlinie ihren Niederschlag findet.
Warum genügen existierende Naturschutzgesetze nicht?
Bisherige Umweltschutzrechte basieren auf einer anthropozentrischen Sichtweise. Die erachtet Natur aber nur dann als Streitwert, wenn sie dem Menschen lebensnotwendige Leistungen nicht mehr erbringen kann. Wenn beispielsweise Wasser so verschmutzt wird, dass es nicht mehr trinkbar ist. Oder wenn ein Fischsterben einsetzt, welches Fischerei unmöglich macht. Zudem wird Naturschutzrecht oft umgangen, weil Umweltschädigungen via unzählige Ausnahmeregelungen explizit von Verwaltungsbehörden erlaubt werden.
Welche von Menschen verursachten Umweltkatastrophen würden denn schon unter die Definition Ökozid fallen?
Wir haben bewusst auf eine Liste verzichtet. Was als Ökozid verurteilt wird, sollen Richter am aktuellen Fall entscheiden. Aber Ölkatastrophen wie „Deep Water Horizon“ oder die Zerstörung des Nigerdeltas durch Shell, die massive Abholzung der tropischen Regenwälder, der flächendeckende Einsatz von Pestiziden, die Klimakrise und die Plastikverseuchung des Planeten – all das könnte man als Ökozid bezeichnen.
Was könnten Ökozid-Strafverfahren mehr bewirken als Schadenersatzklagen?
Eine Schadenersatzklage ist eine Zivilklage, da wird auf finanzielle Wiedergutmachung oder Unterlassung geklagt. Doch großen Konzernen tun diese Summen nicht weh, weil ihre Gewinne so kolossal sind. Das Strafrecht aber ist Individualrecht. Da werden Verantwortliche verklagt und gegebenenfalls eingesperrt. Das trifft dann zum Beispiel den CEO.
Was bringt das, jemanden einzusperren, wenn der Schaden schon passiert ist?
Das Strafrecht ist das schärfste Schwert der Rechtsprechung. Aber es zielt vor allem darauf ab, Menschen von einer Tat abzuhalten. Bei dem Gesetzesentwurf geht es also um die Verhinderung von massiver Naturzerstörung. Wer will schon vor einem Internationalen Gerichtshof angeklagt werden? Eine Kriminalisierung von Umweltzerstörung befreit Unternehmen aber auch.
Inwiefern?
Wenn Ökozid international als Verbrechen anerkannt wird, haben Geschäftsführer und Vorstände das Recht und sogar die Pflicht zu sagen: Nein, wir begehen keine Verbrechen, um Profit zu machen. Bislang ist es eher umgedreht, Unternehmen können von ihren Aktionär:innen verklagt werden, wenn sie nicht auf Gewinnmaximierung hinarbeiten, gleich welchen Schaden sie damit anrichten.
Welche EU-Länder ziehen Ökozid als Straftatbestand schon in Betracht?
In Frankreich, den Niederlanden, in Schweden, Finnland und Spanien wird das Thema sowohl in den Parlamenten als auch in der Zivilgesellschaft diskutiert. In Belgien hat die Regierungsmehrheit beschlossen, Ökozid ins nationale Strafrecht aufzunehmen. Auch das Europäische Parlament hat sich mehrfach für so ein Gesetz ausgesprochen. International unterstützen Greta Thunberg und Paul McCartney, auch der Papst und der UN-Generalsekretär António Guterres unsere Kampagne.
Von wem erfahren Sie in Deutschland Rückhalt?
Hinter StopEcocide Germany stehen der Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmstorf und der Gründer der Scientists4Future, Volker Quaschning. Auch der Vater des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Hans-Josef Fell, zählt dazu. Außerdem kooperieren wir mit der Klimaschutzorganisation GermanZero, die sich auf Klima-Gesetzgebung spezialisiert hat. Zudem stehen hinter uns die FuturZwei-Stiftung, verschiedene Akteure der Umwelt- und der Fridays-for-Future-Bewegung sowie kirchliche Verbände.
Warum trauen Sie Kriminalisierung von Ökozid so eine Hebelkraft zu?
Im Strafrecht zeigt eine Gesellschaft, wo ihre moralischen roten Linien verlaufen. Ökozid als Verbrechen zu bezeichnen verändert unser Verständnis von Natur. Wenn Moral zu Recht wird, verändert sich die Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren