Aktivistin streitet mit Konzern: Vandana Shiva vs. Bayer-Lobbyist
Sowas hat es noch nie gegeben: Die Trägerin des alternativen Nobelpreises tritt in Berlin gegen ihren Lieblingsfeind auf.
Die charismatische Ökofeministin vertritt eine diametral entgegengesetzte Position zu Bayer-Lobbyist Lemken. Die Sympathien sind klar auf ihrer Seite, auch die der Veranstalter. Das Ganze hat eine lange Vorgeschichte, denn Lieblingsfeind der Trägerin des alternativen Nobelpreises war stets der Saatgutkonzern Monsanto, den Bayer dieses Jahr aufkaufte. Shiva steht für Ernährungssouveränität und KleinbäuerInnenrechte, Lemken für Dax, konventionelle Landwirtschaft und Profitmaximierung.
Die erste Frage lautet, wie sich die Menschheit nachhaltig ernähren kann. Shiva versteht es, ihre Position eloquent in Szene zu setzen – und verteilt erste Spitzen in Richtung Bayer. Sie erklärt, weshalb der demokratische und die Biodiversität schützende Ansatz der von ihr mit initiierten indischen Navdanya-Bewegung der einzig richtige ist.
Lemken wirkt – wen wundert's? – nervös und erzählt, dass Freunde ihn für verrückt erklärt hätten, hier teilzunehmen. Er wolle aber mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen, und Bayer habe durchaus ähnliche Interessen wie zum Beispiel die Reduktion von Pestiziden.
„Sie reden viel, sagen aber nichts“
Als er schon lange geredet hat über Marktnotwendigkeiten, Bauernmangel und seine Vorstellung von Freiheit, ruft jemand aus dem Publikum: „Sie reden viel, sagen aber nichts“. Dem Moderator entgleitet Lemkens mäandernder Redefluss immer wieder. Mehrfach greift das Publikum ein, um seine Monologe zu beenden.
Im Gegensatz zu Lemken gelingt es Shiva, ihre Argumente anschaulich, prägnant und mit Bezug zu wissenschaftlichen Quellen zu vermitteln. Ihre Überzeugungskraft mag auch sprachliche Gründe haben: Während Lemkens Englisch nicht ausreicht, um die unglückliche Übersetzung von „Blattläuse“ in „lice“ (Kopfläuse) zu durchschauen, nutzt Shiva die Situation geschickt, um Lemken „lies“, also Lügen vorzuwerfen.
Sie zündet ein rhetorisches Feuerwerk nach dem anderen, wirft Bayer Verantwortungslosigkeit vor, spricht von Propaganda und gewollter Abhängigkeit. Das Publikum applaudiert vor allem ihr – würde dieser Mikrokosmos in Berlin Mitte das Weltgefüge repräsentieren, hätte Bayer es vermutlich schwer. Lemken gerät zunehmend in die Defensive, geht auf viele Punkte gar nicht ein und scheint zu hoffen, dass es bald vorbei ist.
Am Ende sollen beide noch sagen, was sie gelernt haben. Lemken spricht von Verantwortung auch für die vielen Bayer-Angestellten und kommt abermals nicht zum Punkt. Immerhin hat der Konzern vor wenigen Stunden erst bekannt gegeben, 12.000 Stellen zu streichen, vor allem in Deutschland. Shiva fordert weniger Konzernprofite und mehr Verantwortung für den Planeten. Man fragt sich: Sind das wirklich die Erkenntnisse des heutigen Abends?
„Ziemliches Greenwashing-Geschwafel“
„Es war für mich eine der schwersten Veranstaltungen“, sagte Lemken danach und fügte hinzu, dass er schon viele öffentliche Termine hatte in seinen 22 Jahren bei Bayer. „Aber es war mir wichtig, ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass wir uns nicht verstecken, sondern dialogbereit sind.“ Shiva sah das etwas anders: „Ich hatte mir von ihm zumindest etwas Inhalt erhofft, aber es kam mir doch vor wie ein ziemliches Greenwashing-Geschwafel.“
Organisator Bernward Geier meinte, es lägen „Welten“ zwischen den Lagern, aber daran könne und müsse man weiter arbeiten. Bayer hätte zwar stets Dialogbereitschaft mit der Zivilgesellschaft signalisiert, aber so etwas wie heute habe es bisher noch nicht gegeben – in seinen Augen ein Erfolg.
Es stellt sich jedoch die Frage, was das Gespräch gebracht hat. Es wurde zwar geredet, aber passiert ist eigentlich nicht viel – ein Dialog ohne Dialog. Eine Besucherin resümierte: „Inhaltlich war das langweilig, hätte man alles auch im Internet nachlesen können. Aber immerhin war es schön, die Gesichter zu den Standpunkten zu haben.“
Womöglich hat Vandana Shivas beeindruckende, aber polemische Art Bayer sogar dabei geholfen, eine echte inhaltliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Der Konzern wird nun weiter behaupten, Demokratie zu befürworten und eine „moderne, nachhaltige Landwirtschaft“ zu vertreten. So drückte Lemken es aus, bevor er hastig von dannen zog.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Missbrauch in der Antifa
„Wie alt warst du, als er dich angefasst hat?“