Aktivistin für United Action: „Anderen diese Erfahrung ersparen“
Fatuma Musa Afrah hat keine guten Erinnerungen an hiesige Flüchtlingslager. Mit Workshops und Konferenzen steht sie geflüchteten Frauen bei.
taz: Frau Afrah, mit Ihrem Verein United Action haben Sie in Rathenow bereits zwei Konferenzen für geflüchtete Frauen veranstaltet. Was ist die Idee hinter diesen Konferenzen?
Fatuma Musa Afrah: Oft planen andere für uns, anstatt mit uns zusammenzuarbeiten. Deshalb verstehen sie unsere Probleme auch nicht wirklich. Ich wollte daher eine Konferenz machen, auf der wir für uns sprechen und zusammen mit den Verantwortlichen Lösungen finden. Wir müssen den Frauen die Handlungs- und Entscheidungsmacht zurückgeben.
Wie laufen die Konferenzen ab?
Die Frau:
Fatuma Musa Afrah wurde 1989 in Somalia geboren. Nachdem ihr Vater dort getötet wurde, ging ihre Familie nach Kenia. Sie hat Sozialarbeit und Entwicklungsarbeit in Mombasa und Nairobi studiert und für internationale Hilfsorganisationen wie Terre des Hommes und Save the Children in Mogadischu und im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia gearbeitet. 2014 kam sie nach Deutschland, derzeit arbeitet sie als freiberufliche Referentin und Workshopleiterin zu den Themen Migration, Frauen- und Mädchenrechte, Kinderschutz, Bildung und Zugang zu Information.
Der Verein :
United Action hat Fatuma Musa Afrah gegründet, um, wie sie sie nennt, Newcomer*innen in Berlin und Brandenburg zu empowern und darin zu unterstützen, sich ihr Leben in Deutschland neu aufzubauen. Außerdem will der Verein die Frauen über ihre Rechte informieren. Bisher fanden zwei Konferenzen von Newcomer-Frauen und Vertreter*innen von Behörden in Rathenow statt, um die Anliegen und Ziele der Frauen zu definieren und umzusetzen. Ähnliche Konferenzen sollen auch in anderen Orten Brandenburgs stattfinden. Der Verein möchte außerdem Kontakte zwischen Newcomer*innen und schon länger in Berlin und Brandenburg lebenden Frauen und Mädchen herstellen und stärken.
Wir haben Workshops in verschiedenen Sprachen, damit alle teilnehmen können, und wir laden Organisationen und Vertreter*innen der kommunalen Behörden ein. Denn deren Schwierigkeit ist, dass sie oft gar keinen Zugang zu den Newcomer-Frauen finden, die sie mit ihren Angeboten unterstützen sollen. Diese Konferenzen sind daher auch eine gute Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen.
Warum sprechen Sie von Newcomer*innen?
Ich bevorzuge das Wort Newcomer*in, weil ich die soziale Diskriminierung ablehne, die mit dem Wort Flüchtling verbunden ist. Warum sollte ich jemanden bei einem gemeinsamen Essen oder einem anderen freundschaftlichen Treffen als Flüchtling ansprechen? Das Wort sollte nur in Büros benutzt werden, nicht in einer Umgebung, in der wir einander Liebe und Willkommen zeigen. Klar, Menschen auf der Flucht haben Probleme, aber bitte lasst uns nicht vergessen, dass es einen Unterschied zwischen einer Situation und einem Menschen gibt. Der Begriff Newcomer*innen zeigt, dass wir alle gleich sind, egal in welcher Situation wir uns befinden.
Was ist dabei wichtig?
Mir ist wichtig, den Behörden und auch der Gesellschaft zu vermitteln, dass die Newcomer-Frauen voller Talente und Fähigkeiten sind und dass wir sie nicht als Frauen mit Problemen sehen, sondern anerkennen sollten, dass sie selbst sehr viel beitragen können.
Wie sind Sie selbst dazu gekommen, sich politisch zu engagieren?
Ich komme aus einer Kultur, die viel Positives für Frauen enthält, aber du bist als Frau nicht gleichberechtigt. Ich bin auch eine muslimische Frau, und die muslimische Kultur gestalten die Männer oft nach ihren Interessen. Ich möchte nicht Teil davon sein, und ich will auch andere Frauen dazu ermutigen, Gutes aus ihrer Kultur beizubehalten und das, was sie einschränkt, wegzuwerfen. Für Newcomer*innen engagiere ich mich, weil die Zeit, die ich in Brandenburger Flüchtlingslagern verbringen musste, so deprimierend war und ich mich so isoliert gefühlt habe, dass ich etwas tun wollte, um anderen diese Erfahrung zu ersparen oder zumindest zu erleichtern.
Als Sie in Deutschland angekommen waren, haben Sie zuerst in der Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt gelebt.
Ja. Es war furchtbar dort. Wir konnten nicht mal ungestört den kurzen Weg bis zum Supermarkt gehen, denn oft haben uns andere Menschen einfach geschlagen oder angespuckt. Manche haben uns angeschrien oder Müll in unsere Richtung geworfen. Außerdem kommen Männer dorthin, um Frauen sexuell auszunutzen. Sie parken ihre Autos vor dem Eingang zum Heim und rufen dir nach oder folgen dir zum Supermarkt. Dann kommen sie ganz dicht an dich heran und fassen sich selbst dabei an. Ich hatte manchmal Todesangst.
Wie lange waren Sie dort?
Einige Monate. Dann kam ich in ein Flüchtlingslager im Spreewald, in der Gegend von Königs Wusterhausen.
War das besser?
Nein, es war auch furchtbar. Ich wollte mich dort irgendwie in die Gesellschaft einbringen und war dankbar, dass ich an einer Grundschule als Englischlehrerin assistieren durfte. Einige der deutschen Kinder hatten aber noch nie jemanden mit meiner Hautfarbe gesehen, sie haben mich gefragt, ob ich nachts weiß werde und ob ich überhaupt Haare habe. Manche Kinder wollten nicht zur Schule kommen, weil sie angeblich Angst vor mir hatten. Aber ich gebe den Kindern nicht die Schuld. Ich denke, dass das an der Erziehung der Eltern liegt, die ihnen nichts über Vielfalt und verschiedene Lebensformen beibringen.
Machen Sie solche Erfahrungen in Brandenburg oft?
Es ist nicht nur ein Problem in Brandenburg, Rassismus gibt es überall, ich erfahre ihn in Berlin genauso. Aber ich habe den Eindruck, dass die Menschen dort kaum darüber sprechen. Auch Politiker*innen haben Angst, dass sie Wählerstimmen verlieren, wenn sie gegen Rassismus angehen. Wir müssen noch viele Anstrengungen und Kampagnen da reinstecken, um Kontakt zwischen Menschen herzustellen und politisch gegen Rassismus vorzugehen.
Wie beeinflusst das Ihre Arbeit?
Es ist schwierig, als Schwarze Frau in diesem Bereich zu arbeiten. Auch die Frauen erzählen mir, dass andere Menschen sie angreifen, dass sie Zigarettenstummel nach ihnen werfen oder Menschen sie im Vorbeifahren beschimpfen oder anspucken. Manche Busfahrer*innen weigern sich, sie mitzunehmen. Ein großes Problem ist auch die Polizei.
Inwiefern?
Die Newcomer*innen haben kaum Vertrauen in die Polizei, und deshalb zeigen sie rassistische Übergriffe meistens nicht an. Viele Frauen haben nie zuvor mit der Polizei gesprochen und daher Angst, sie denken, dass ihnen hier in Deutschland niemand Glauben schenkt oder dass die Polizei zu denen hält, von denen sie die rassistischen Angriffe erfahren. Für sie wird es also normal, so etwas zu erleben. Aber das ist es nicht. Deshalb will ich bald einen Workshop gemeinsam mit den Frauen und der Polizei machen, damit sie sich gegenseitig kennenlernen.
Wer sind die Frauen, mit denen Sie arbeiten?
Die meisten Frauen, mit denen wir arbeiten, kommen aus Ländern, in denen sie Probleme haben, weil sie Frauen sind, mal abgesehen von den Kriegen. Sie hatten oft keine Möglichkeit, zu arbeiten oder zur Schule zu gehen. Viele sind daran gewöhnt, Männern zu dienen, für sie zu kochen und sie zu versorgen, sie müssen also erst mal verstehen, warum es wichtig ist, als Frau für die eigenen Rechte einzustehen, und was es bedeutet, ökonomisch unabhängig zu sein.
Was sind ihre Wünsche und Ziele?
Wenn ich mit den Frauen spreche, sagen sie, dass sie arbeiten möchten, dass sie zur Schule gehen und eine Ausbildung machen wollen. Ich sehe all das Potenzial. Aber wir als Gesellschaft, wir scheitern daran, diesen Frauen etwas anzubieten, weil das System zu unflexibel ist. Diese Frauen hatten oft etwas, sie haben vielleicht Tomaten vor ihrem Haus verkauft, oder sie haben Kleidung genäht. Sie kennen sich aber häufig nicht mit Computern und der digitalen Welt aus. Ich sehe das Versagen bei der Regierung und auch in den kommunalen Verwaltungen. Wie können sie ohne Schule, ohne Kinderbetreuung und ohne Kontakte aktiv werden und teilhaben? Die Gesellschaft und die Politiker*innen müssen mit uns arbeiten, es wird sich nichts ändern, wenn sie nicht die Entwicklung der Frauen fördern. Aber die meisten kümmern sich vor allem um die Männer und erwarten einfach, dass die Frauen sich anpassen und integrieren.
Ist der Zugang in die Gesellschaft für Männer denn einfacher?
Ja, für Männer ist es viel leichter, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, sie gehen aus und tanzen, oder sie gehen zum Fußball. Für Frauen mit Kindern oder für Frauen, die Kinder haben, aber ohne Mann hier sind, oder für Frauen, die einen Mann haben, der nicht hilft, ist es schwieriger, denn viele haben keinen Kitaplatz. Das sollten wir alles mitberücksichtigen.
Wie?
Mein Plan ist, auch mit Männern über die Bedeutung von Frauenrechten zu diskutieren und zu vermitteln, wie wichtig es ist, dass die Frauen auch ökonomisch etwas beitragen. Dazu müssen wir den Männern aber auch zuhören und sie langsam fortbilden. Denn viele fühlen sich bedroht und verunsichert von dem, was wir machen. Wenn ich mit ihnen spreche, verteidigen sie sich und ihre Sichtweise oft erst mal, aber sie öffnen sich, wenn sie verstehen, welche Vorteile es hat, dass die Frau herauskommt und arbeitet und den Kindern bei den Hausaufgaben helfen kann.
Wie bauen Sie Kontakt zu den Frauen auf?
Als wir angefangen haben, mussten viele Frauen ihre Männer um Erlaubnis fragen, ob sie überhaupt rausgehen dürfen. Außerdem hatten wir zwölf Nationalitäten ohne Englisch oder Deutsch als gemeinsame Sprache. Da war gemeinsames Kochen eine gute Art, die Frauen zusammenzubringen. Aber es war auch nicht ohne Konflikte.
Konflikte beim Kochen?
Ich habe gesehen, dass einige Frauen nichts vom Essen der anderen nehmen mochten. Ich fand das problematisch, denn wir haben ja eigentlich diese Tradition als Frauen, dass wir das Essen, das die anderen zubereitet haben, loben, wenn wir zusammenkommen. Andere haben besonderes Essen beiseitegelegt oder für sich behalten. Sie sagten, unser Essen ist sehr speziell und die anderen sind zu viele und werden alles aufessen. Ich habe sie gebeten, respektvoll zu sein, weil die anderen ja auch gemerkt haben, was sie machen. Das ist mein Privileg, dass ich ihnen solche Dinge ehrlich ins Gesicht sagen kann, ich war in der gleichen Situation wie sie und weiß, worüber ich rede.
Newcomer*innen halten also nicht automatisch zusammen.
Wir vergessen manchmal, dass diese Frauen aus ganz unterschiedlichen Kulturen kommen und unterschiedliche Mentalitäten haben. Auch ich bin nicht gleich angenommen worden, meine Hautfarbe war oft ein großes Hindernis. Ich habe gemerkt, dass einige Frauen mir gegenüber zurückhaltend und reserviert waren, weil ich Schwarz bin. Das ist für mich besonders schmerzhaft und raubt mir viel Kraft. Und gleichzeitig muss ich aufpassen, dass sie nicht denken, dass ich mich nur um die Anliegen von Frauen aus Somalia kümmere. Wenn ich mit blonden, deutschen Kolleg*innen einen Workshop gemacht habe, haben sich die Teilnehmer*innen oft an die Kollegin gewandt, weil sie dachten, dass sie die Chefin ist und diejenige mit den Antworten. Diese Frauen, von denen ich dachte, dass ich ihnen verbunden bin, weil wir die gleiche Geschichte haben, haben mich nicht einmal gesehen.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich habe damals nicht auf mich geachtet und versucht zu ignorieren, wie sehr mich das Verhalten der Frauen geschmerzt hat. Meine Mitarbeiter*innen haben dann gesagt, dass wir Workshops über Rassismus in den Hauptsprachen der Frauen anbieten sollten. Einige haben sich daraufhin geöffnet und mir gesagt, dass sie mich nicht verlieren wollen, indem sie mich so behandeln. Aber es geht ja nicht nur um mich. Rassismus und Vorurteile gibt es überall, auch unter den Newcomer*innen, und Schwarze Frauen leiden darunter.
Arbeiten Sie jetzt anders, in kleineren Gruppen?
Ich habe früher oft Safe Spaces für Schwarze Frauen kritisiert, weil ich finde, dass wir alle zusammenbringen sollten. Dann hat mich die Realität eingeholt. Trotzdem denke ich weiterhin, dass wir, gerade wenn es um Menschen geht, die in so vielen Bereichen benachteiligt sind, die Türen für alle aufmachen müssen. Kontakt zwischen den Gruppen hilft. Wenn wir negative Dinge übereinander erzählen und andere ausschließen, machen wir die Situation nur schlimmer.
Lässt sich das, was Sie mit den Konferenzen in Rathenow aufgebaut haben, auf andere Orte übertragen?
Ich habe mich an verschiedenen Orten in Brandenburg engagiert, auch in Eberswalde, aber dann habe ich gemerkt, dass ich länger bleiben muss, um nachhaltig etwas zu verändern. Anfangs war mir auch nicht klar, wie lange ich in Rathenow und Premnitz arbeiten würde (lacht). Mein Ziel ist es, dort die Angebote zu verankern und dann weiterzuziehen. Anfangs hing noch viel an mir. Jetzt übergeben wir möglichst bald die Verantwortung an eine der Frauen aus der Gruppe. In Premnitz bin ich jetzt nur noch selten.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich möchte mit Restaurants und Unternehmen zusammenarbeiten, um zu sehen, wie Frauen eingebracht werden können und was sie dort auf Grundlage ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten vielleicht auch an kleinen Dingen tun können. Wir müssen jetzt mit den Frauen arbeiten, nicht irgendwann, wenn es eigentlich zu spät ist. Dann ist es mir besonders wichtig, mit Mädchen zu arbeiten, die Gefahr laufen, zwischen der deutschen und einer anderen Kultur verloren zu gehen. Wir wollen den Mädchen ihre Rechte zeigen, aber es ist auch wichtig, mit den Eltern zu arbeiten. Während eines Workshops hat ein Mädchen mal zu mir gesagt: „Wenn ich nach Hause komme nach der Schule, geht mein Bruder zum Fußball, und ich helfe meiner Mutter in der Küche.“ Da fängt die Ungleichheit schon an, und die Gesellschaft schafft es nicht, angemessene Rollen zu definieren.
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