Aktivist über Friedensbewegung in Israel: „Es gibt enormen Hass“
Der Aktivist Itay Mautner über die Perspektiven der Friedensbewegung in Israel, das abgesagte Jerusalemer Kulturfestival und traumatische Ereignisse.
taz: Herr Mautner, Demonstrationen gegen den Krieg werden von Nationalisten gestört, Friedensaktivisten als Verräter beschimpft. Gibt es noch eine Friedensbewegung in Israel?
Itay Mautner: Ja, es gibt sie – auf israelischer und auch auf palästinensischer Seite. Menschen treten weiter für den Frieden ein, doch in Zeiten des Krieges tönen die Stimmen der Kriegsbefürworter immer lauter. Israel existiert seit siebzig Jahren und hat schon so viele Kriege erlebt. Und immer pendelt sich dann die Stimmung zugunsten der Kriegsbefürworter ein. Das kennen wir schon lange.
Als vor zwei Jahren die israelische Armee Gaza bombardierte, verabschiedeten rund hundert israelische Intellektuelle eine Petition für einen sofortigen Waffenstillstand, darunter der Schriftsteller Amos Oz und der Dramatiker Joshua Sobol. Warum herrscht jetzt Schweigen?
Als Aktivist, der viele Jahre lang für den Frieden gekämpft hat, muss ich sagen: Dies ist keine Schwarz-Weiß-Situation. Wir hassen, was gerade bei uns geschieht. Aber die Lage ist sehr komplex. Die Hamas ist ein äußerst brutaler Gegner mit größtmöglichem Vernichtungswillen. Selbst der pazifistischste Kriegsgegner setzt in dieser Situation Fragezeichen hinter sein Engagement.
Warum?
Es gibt enormen Hass und Gewalt innerhalb Israels. Wir Israelis hassen einander und sind weiter voneinander entfernt denn je. Gewalt, die entweder über Facebook ausgetragen wird oder auf der Straße, Juden gegen Juden, Israelis gegen Israelis. Das hat es so noch nie gegeben.
Wie konnte es dazu kommen?
Die innerisraelische Gewalt begann bereits vor dem Gazakrieg, nach der Ermordung, ja geradezu Hinrichtung der drei jugendlichen Toraschüler, die von palästinensischen Extremisten entführt worden waren. In Jerusalem forderten daraufhin rechtsextreme Israelis Rache und griffen Palästinenser an, während andere Israelis versuchten, die Palästinenser zu schützen. Ein fürchterlicher Kampf. Doch die Rache der Rechtsextremen kam schnell. Sie gipfelte in der Verbrennung des palästinensischen Teenagers aus Ostjerusalem.
ist 40 Jahre alt und in Jerusalem geboren. Als junger Mann lebte er im säkularen Tel Aviv. 2011 kehrte er nach Jerusalem zurück, um den Kultursommer, die Jerusalem Season of Culture, zu entwickeln. Zur Season gehören ein Theaterfestival, das in Wohnungen oder öffentlichen Einrichtungen stattfindet, sowie das Sacred Music Festival. Mautner will die unsichtbaren Mauern zwischen dem jüdischen und dem arabischen Teil Jerusalems überwinden. Sein Vorhaben kam an: In den vergangenen Jahren waren auch viele muslimische und arabische Künstler aus der ganzen Welt zu Gast. Selbst der Imam der Al-Aksa-Moschee nahm mit einem Sufi-Ritual teil. Mautner bezeichnet sich als Utopisten. Wer keine Utopien habe, könne auch nichts verändern. (gut)
Es wurde Hysterie geschürt, die fast zwangsläufig auf einen Krieg deutete. Hätte die Friedensbewegung da nicht intervenieren müssen?
Es waren traumatische Ereignisse. Als die Leichen der israelischen Jungen gefunden wurden, stieß man auf die Aufzeichnung eines Telefonanrufs. Einer der drei Jugendlichen hatte sie gemacht, er hatte sein Telefon angelassen. Man konnte wie in einem Film hören, wie der Junge ermordet wurde, sein minutenlanges Stöhnen. Das war unerträglich. Plötzlich war die Grenze von 1967 zwischen Ost- und Westjerusalem wieder da. Die Palästinenser gingen nicht in den Westen, die Israelis nicht in den Osten. Drei Tage später hat der Krieg begonnen. Am letzten Tag des Ramadan zitterte Jerusalem vor Gewalt.
Sie haben daraufhin den Jerusalemer Kultursommer abgesagt, den Sie leiten. Haben Sie vor dem Krieg kapituliert?
Meine Aufgabe, ist es Kunst und Kultur zu organisieren und darüber nachzudenken, wie diese die Herzen und Seelen der Menschen verändern können. Wir israelischen Friedensaktivisten versuchen seit Jahren, in Gespräche mit den Palästinensern zu kommen. Jetzt müssen wir uns erst einmal um unsere eigene Gesellschaft kümmern, um die Entmenschlichung auf allen Ebenen. Wenn der Krieg vorbei ist, wird ein Heilungsprozess einsetzen. Dann werden sich hoffentlich alle, nicht nur die Friedensaktivisten, auf die Werte unseres Landes besinnen.
Ihre nun für dieses Jahr abgesagte „Jerusalem Season of Culture“ befragte die israelische Gesellschaft auch nach Demokratie und Menschenrechten. Ist es nicht eine Katastrophe, dass die Kultur dem Krieg geopfert wird?
Wir haben unser normales Festivalprogramm gestoppt, hoffen aber, einiges davon nachholen zu können, sei es in diesem oder im nächsten Jahr. Wir arbeiten jetzt an einem neuen Projekt, das hoffentlich die Massen in Israel erreichen wird. Es handelt sich um ein säkulares Gebet, ein Gebet ohne Gott, ein Gebet der Bürger, ein Gebet der Zivilisten, das sich gegen Gewalt und Vorurteil richtet. Dieses Gebet wird in viele Sprachen übersetzt, ins Hebräische, Arabische, Russische, das bei uns gesprochen wird, aber auch in viele andere Sprachen. Wir werden diese Aktion überall vorstellen, im Radio, im Fernsehen, im Netz. Wir wollen, dass zu einer bestimmten Tageszeit, also beispielsweise abends um 20.30 Uhr, die Leute ihre Arbeit, oder was sie auch immer gerade tun, unterbrechen und diesen Text laut lesen. Es wird der Klang der Mehrheit sein, der Mehrheit der kleinen Stimmen. Das kann in einem Stadion stattfinden oder in einem Theater oder auf der Straße. Jeder soll für eine Minute innehalten und an unsere demokratischen, bürgerlichen Werte denken, die die israelische Gesellschaft ausmachen. Die Aktion bedeutet: „Wir sind hier.“ Wir verlassen Israel nicht, wir geben unsere Werte nicht auf. Wir gehen nirgendwo hin, und das ist, wofür wir stehen.
Und das „Sacred Music Festival“ in der Altstadt von Jerusalem, das sich in wenigen Jahren einen großen Ruf erworben hat?
Wir hoffen, dass es noch stattfinden kann. Es wird eine große Rolle in dem Heilungsprozess spielen, den unsere Gesellschaft jetzt braucht. Kultur ist größer als links oder rechts.
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