Aktivist klagt wegen Volksverhetzung: Rechte träumen von Nazi-Stadt
Unter dem Motto „Braunschweig – Nazi-Stadt“ zog Ende 2024 eine rechtsradikale Demo durch Braunschweig. Ein Gericht findet die Parole mehrdeutig genug.

Denn „Braunschweig, Nazi-Stadt“, das sei eine „Schmähparole“, die Stadt und ihre Bewohnerschaft würden damit „verunglimpft“, meint Peter Rosenbaum, langjähriger Ratsherr und in vorderster Front bei der Bürgerinitiative Braunschweig (Bibs) aktiv. Rosenbaum beschwerte sich bei der Stadt Braunschweig: Diese hätte die Parole nicht zulassen dürfen, nicht einmal stillschweigend.
Aber es sei noch schlimmer, so Rosenbaum weiter: Bei der Genehmigung des Aufmarsches sei die Parole zitiert und damit von der Stadt bestätigt worden. „Welche Bedeutung messen Sie dem Schutz der Menschen in Braunschweig vor solchen Beleidigungen, Unterstellungen und Verunglimpfungen bei?“, fragte Rosenbaum in seiner Eigenschaft als Redakteur der Zeitung Unser Braunschweig, die von der Bürgerinitiative herausgegeben wird.
Die laxe Haltung sei um so unverständlicher, als die Polizei bei einer Demonstration dieser Partei drei Jahre zuvor durchgegriffen habe. Als damals „Braunschweig, Nazi-Stadt“-Rufe ertönten, seien gegen die Rufenden Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden. Warum also sei die Parole nun plötzlich genehmigt worden?
Verwaltungsgericht findet Slogan mehrdeutig genug
Die Antwort der Stadt, sagt Rosenbaum, habe ihn überrascht: Nach der Demonstration vor drei Jahren sei die Sache vor dem Verwaltungsgericht gelandet, und das habe entschieden, dass „Braunschweig – Nazi-Stadt“-Rufe vom Grundgesetz gedeckt seien.
Die Parole lasse laut dem Gericht mehrere Deutungen zu: „Braunschweig war, ist oder soll eine Nazistadt werden“ – es sei nicht klar ersichtlich, was damit konkret gesagt werden solle. Das Verwenden der Parole könne daher „nicht eindeutig als Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft angesehen“ werden.
Nun kommt der Ruf von der „Die Rechte“, und die ist in Braunschweig keine Unbekannte. Der Kreisverband hat sich zwar 2022 aufgelöst, aber für Demonstrationen mobilisiert der aus der Kameradschaftsszene kommende Parteigründer Christian Worch seine Leute vom mecklenburgischen Parchim aus.
Mag die Partei auch noch so klein sein, so zeigt sie doch in der Stadt ihr Gesicht, unter anderem genau vor dem Haus von Peter Rosenbaum, wo stadtbekannte Mitglieder ein Plakat an einen Laternenmast hängten, auf dem stand: „Wir hängen nicht nur Plakate auf.“
Man kann das als Drohung auffassen, auch wenn klein darunter stand: „Wir kleben durchaus auch Aufkleber.“ Die Aufkleber finden sich dann auch, erzählt Rosenbaum – auf den Stolpersteinen vor seinem Haus, die an die jüdischen Vorbesitzer erinnern. „Organisiert die Anti-Antifa“, steht auf einem, man sieht dazu eine Person, die einen Kick, also einen Fußtritt aus dem Kampfsport, ausführt.
Peter Rosenbaum an die Stadt Braunschweig
Dass es Peter Rosenbaum trifft, ist kein Zufall, er ist in Braunschweig ein prominenter Linker. Nach dem Lehramtsstudium kam das Berufsverbot wegen seiner Aktivitäten im KBW, dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands. Später dann sein Engagement gegen den VW-Flughafen bei Braunschweig: Mehr als 600 Tage besetzte er mit seinen Mitstreiter*innen den Wald, in dem die neue Landebahn geplant war.
Der damalige Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU, Ex-NPD) hätte ihn dafür gerne ins Gefängnis gebracht, erzählt Rosenbaum. Daraus wurde nichts, auch das Berufsverbot ist spät, aber immerhin, aufgehoben worden. „Ich könnte jetzt Physiklehrer werden!“, sagt Rosenbaum, 75.
Statt im Schuldienst arbeitete er als Manager beim Volkshochschul-Bildungswerk, organisierte Schweißer-Ausbildungen in Sachsen-Anhalt. Aber die Politik ließ ihn nie los, auch wenn sich seine Sicht auf die Dinge im Vergleich zu den KBW-Zeiten verändert hat.
Die Neonazis wissen, wo sie ihn treffen, sie kommen zu ihm, wenn er am Bürgerinitiativen-Stand in der Innenstadt steht, und rücken nah heran. Seiner Familie gehört auch das Haus, in dem das Braunschweiger Antifacafé untergebracht ist. Auch dort taucht die rechte Szene auf und versucht, die Gegend als „Nazi-Kiez“ zu reklamieren. Vor drei Jahren wurde auf das Café ein Brandanschlag verübt.
Natürlich ist Braunschweig deswegen noch keine Nazi-Stadt. Aber die Rechten tauchen hier nicht zufällig auf, sie haben hier tatsächlich eine große Vergangenheit. In Braunschweig selbst, der Arbeiterstadt, waren bis zur Machtergreifung SPD und KPD die stärksten Kräfte; das gilt aber nicht für den Freistaat Braunschweig, den Nachfolger des alten Fürstentums.
Ohne Braunschweig kein Reichskanzler Hitler
Der Freistaat gehörte zu den Ländern in der Weimarer Republik, die als erste eine Regierung unter Beteiligung der NSDAP hatten. In Braunschweig gelang es 1932 nach jahrelangen Versuchen, Hitler zum Deutschen zu machen, indem ihn der Freistaat zum Regierungsrat ernannte – eine Stelle, die Hitler auszufüllen vorgab, obwohl er es nie tat.
Schon im Jahr davor war in Braunschweig Nazi-Geschichte geschrieben worden, im Oktober war ein ehemaliges Militärgelände in der Stadt zum Aufmarschplatz für zehntausende SA- und SS-Männer geworden. Es kam zu Straßenschlachten, am Rande wurden zwei Arbeiter ermordet.
In gewissem Sinne war Braunschweig also tatsächlich einmal Nazi-Stadt, aber eben deswegen kann Peter Rosenbaum nicht verstehen, warum die Stadt einen Nazi-Aufmarsch mit diesem Slogan kampflos hinnimmt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts hätte nicht das letzte Wort sein müssen, findet er. „Sie hätten dagegen Einspruch erheben können.“ Vor allem aber hätte man der Bevölkerung das Urteil mitteilen müssen. „Ich dachte, das ist nicht wahr, als die mit dem Slogan durch die Stadt zogen.“
Rosenbaum hat darum nicht nur gegenüber der Stadt Braunschweig seine Empörung zum Ausdruck gebracht, er hat auch Anzeige erstattet. Wegen Volksverhetzung, weil die Braunschweiger Bevölkerung mit diesem Slogan verleumdet werde, auch wenn das Gericht das anders sieht. Und wegen Beleidigung: Er persönlich fühlt sich durch den Slogan beleidigt. Die Polizei hat den Eingang der Anzeigen bestätigt, der Fall liegt nun bei der Staatsanwaltschaft.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?