Afrikanische Kunst: Ein ganzer Kontinent in einem Haus
In Kapstadt präsentieren drei weiße Männer zeitgenössische Kunst aus Afrika. Eine große Schau, aber schwarze Besucher bleiben vorerst aus.
Es ist diese Konstellation – alle drei sind männlich, alle drei sind weiß –, die in Südafrika im Vorhinein für Debatten sorgte. Wem dient dieses im September eröffnete Museum? Wer besucht es? Welche Künstler zeigt es? Wer sucht sie aus? Wie viel altes – koloniales – Afrika steckt in diesem Museumsmodell? Findet das moderne Afrika mit seinen 54 Ländern in der ganzen Vielfalt hier seinen Ort, eine kreative Plattform? Oder eifert es nur Großmuseen westlichen Typs nach?
Die Eröffnungsausstellung – eine Gruppenshow vieler bekannter afrikanischer Künstler – greift im Titel ironisch die Debatte auf. Nachdem sämtliche Künstler und alle Kuratoren aufgezählt sind, heißt es da: „Es gab viele Fragen rund um die Eröffnungsausstellung, und die am meisten gestellte lautete: ‚Wie werde ich in diesem Museum repräsentiert sein?‘ Sehen Sie selbst. All things Being Equal (Alle Dinge sind gleich).“ An Ironie und Selbstbewusstsein mangelt es also nicht.
An einem Montag ist das Museum gut besucht, aber nicht überfüllt; es sind überwiegend – weiße – Touristen gekommen. Äußerlich wirkt das Haus eher unscheinbar: ein quaderförmiger Bau, dessen unterer Teil beton- und sichtversiegelt ist und in der oberen Partie große, gewölbte Fenster besitzt, die nachts die Lichter der Bucht von Kapstadt spiegeln. Aber das Gebäude hat ein erstaunliches Innenleben: das 33 Meter hohe Atrium, das Herzstück des Museums, das Architekt Thomas Heatherwick entkernen ließ und damit die Eingangshalle in etwas verwandelt hat, das wie eine Höhle und Kathedrale zugleich wirkt. Die Idee dafür kam ihm, als er bei der Ortsbesichtigung ein altes Maiskorn fand. Dieses Korn ließ er am Computer vergrößern und nahm es als Modell, das er auf die Struktur des Silos übertrug. Dafür ließ er mit Spezialwerkzeugen die Betonröhren durchtrennen, mal wegnehmen, mal schräg anschneiden; manche ragen nun wie Stalaktiten in den Raum, es gibt ovale oder offene Rundungen, Schlitze, Schächte, gläserne Aufzüge, eine Wendeltreppe und in der Mitte des Kirchenkunstschiffs eine Öffnung ins Untergeschoss. Die Eingangshalle ist ein Bekenntnis zum Museum, dem Ort der Kunst und zur Kunst selbst.
Sieben Etagen, Skulpturengarten, Luxushotel
6.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bietet das Zeitz MOCAA, das sieben Etagen mit 80 Ausstellungsräumen, Zentren für Fotografie, Tanz und Film und einen Skulpturengarten bespielt – die oberen Etagen sind einem Luxushotel vorbehalten. Etwa die Hälfte des Museums wird wechselnde Ausstellungen präsentieren, die andere Hälfte gehört – vorerst – der ständigen Sammlung von Jochen Zeitz, der auch im Namenszug des Museums firmiert.
Der ehemalige Puma-Manager aus Deutschland, 54, der im Jahr 2012 dort ausgestiegen ist, seither eine Farm in Kenia betreibt, sammelt in großem Maßstab zeitgenössische Kunst aus Afrika. Oder vielmehr er lässt sammeln: Sein Berater ist der Südafrikaner Mark Coetzee, der fünfzehn Jahre für und mit Zeitz herumgereist ist und Kunstwerke afrikanischer Künstler erworben hat. Coetzee ist heute Direktor und Geschäftsführer des MOCAA, Zeitz sitzt im Beirat.
Mark Coetzee, Chefkurator
Wie umfangreich die Sammlung ist, über welches Budget sie genau verfügen, geben die Herren nicht preis. Als Leihgabe stehen die Werke der Sammlung dem Museum für zwanzig Jahre zur Verfügung, nicht alles wird sofort ausgestellt. Das Museum finanziert sich nach US-amerikanischem Vorbild durch Spenden, kleine und große Sponsoren wie BMW, Eintrittsgelder und die Zeitz Foundation, es erhält keine öffentlichen Mittel. Die V&A Waterfront kommt für die Instandhaltung des Gebäudes auf. Die nahe Shopping Mall zieht jedes Jahr über 20 Millionen Besucher an, der Anleger für die beliebte Tour nach Robben Island ist gleich um die Ecke – das Museum profitiert vom Touristenstrom, so wie sich die Betreiber der Waterfront umgekehrt eine kulturelle Aufwertung ihres Standorts versprechen.
Ein gigantischer filigraner Drache aus Gummischläuchen mit bunten Bändern schwebt von der Decke, reckt seine Flügel in alle Ecken und Rundungen der Eingangshalle. Die Installation, die einen Xhosa-Mythos vom Blitzvogel aufgreift, der die Gestalt eines verführerischen jungen Mannes annehmen kann, stammt von dem Südafrikaner Nicholas Hlobo und war bereits 2011 in Venedig zu sehen.
Neben Hlobo sind weitere südafrikanische Künstler und Künstlerinnen vertreten: William Kentridge mit seiner filmisch-theatralischen Prozession „More sweetly play the dance“ natürlich, die letztes Jahr in Berlin zu sehen war; die Fotografin Zanele Muholi, die in ihren Bildern die LGTB-Community dokumentiert; Athi Patra-Ruga mit seinen poppigen Bildern und goldglitzernden Skulpturen; Mary Sibande, die mit „In the midst of chaos, there is opportunity“ eine raumfüllende Figurengruppe zeigt: Frauen in kolonialer Arbeitstracht oder Uniform, die altmodische Steckenpferde reiten, umgeben von zähnefletschenden roten Hunden, Drachen und Geiern, in der Mitte eine flammend rote Reiterin auf einem sich aufbäumenden schwarzen Pferd. Im Chaos liegt auch die Chance.
Ungegerbte Kuhhäute
Nandipha Mtambo aus Swasiland ist die Einzelausstellung „Material Value“ gewidmet. Die Künstlerin ist international bekannt geworden, weil sie anfangs mit ungegerbten Kuhhäuten arbeitete, damit ihren eigenen Oberkörper nachformte, die Häute zu Hüllen, Kleidern erstarren ließ. An Fäden befestigt hängen sie nun von der Decke – auch das eine Frauenarmee. Die Künstlerin experimentiert mit natürlichen Materialien, aus denen sie Skulpturen macht. In ihren Video- und Fotoarbeiten greift Mtambo andere Aspekte des Rinds auf. Für eine Fotoreihe zum Stierkampf in Mozambique inszeniert sie sich als Matadorin, die Schöße ihres Fracks tragen Federn oder Fell, halb Mensch halb Tier, Opfer und Jägerin sind wesensverwandt.
Die Ausstellungsräume sind, anders als das dämmrige Atrium, weiß, kühl und hell. Die Hängung ist großzügig, viele Arbeiten stammen aus dem Foto- ,Video- und Performancebereich, sind multimedial. Isaac Julien (Großbritannien) ist dabei, Edson Chagas (Angola), Kudzanai Chiurai (Zimbabwe), Rashid Johnson (USA), Thania Petersen (Südafrika), Leonce Raphael Agbodjélou (Benin), Roger Ballen (USA), der sein ganzes Archiv dem Museum überantwortet hat. Große Namen, bekannte Künstler des afrikanischen Kontinents und der Diaspora – trotzdem ist das Zeitz MOCAA bewusst kein afrikanisches und schon gar kein südafrikanisches Museum, sondern „ein Museum in Afrika“, wie Chefkurator Mark Coetzee betont. „Man kann nicht den ganzen Kontinent repräsentieren. Aber man kann die Diskussionen über Afrika spiegeln.“
Coetzee, 53, sitzt in einem Besprechungszimmer im zweiten Stock des Museums. Weiche Gesichtszüge, halblanges Haar, schlabbriger Anzug, mehr lässig als flott. „Heutzutage betrachten wir Kulturen globaler. Die Künstler verstehen sich nicht als rein afrikanische Künstler, sie lehnen dieses Label ab.“
Obwohl sich viele mit Afrika auseinandersetzen. Ruga-Pathras Selbstinszenierungen mit bunten Luftballons und Zebras. Mohau Modisakengs schwarze Krieger mit Gewehrlauf und weißer Taube. El Anatsuis „Dissolving Continents“. „Identitätspolitik spielt eine große Rolle“, bestätigt Coetzee. „Die Künstler klären ihre Herkunft, ihre Identität. Weil sie lange mit Zuschreibungen leben mussten. Jetzt drehen sie die Traditionen um. Nach dem Motto: ‚Not about us without us‘, nicht über uns ohne uns. Jetzt erzählen sie ihre Geschichte selbst.“
Das Erbe des Kolonialismus als gemeinsames Erbe
So verschieden diese Geschichte, ihre Herkunft, ihre Erzählung ist, gibt es dennoch Gemeinsamkeiten – thematisch, stilistisch? Durchaus. „Bestimmte Erfahrungen haben die Künstler gemeinsam“, sagt Coetzee und zählt auf: „Das Erbe des Kolonialismus. Die Auswirkungen des Imperialismus. Die Folgen der Auswanderung. Früher war die Migration eine Folge der Politik, heute ist es der Klimawandel.“
Coetzee stammt aus Südafrika, seine Familie lebt seit Generationen am Kap. Obwohl er lange im Ausland gearbeitet hat, fühlt er sich seiner Heimat und seiner Sache, der zeitgenössischen Kunst Afrikas, eng verbunden. Nun steht ihm ein ganzes Museum zur Verfügung. Das ruft Kritiker auf den Plan. Der südafrikanische Kunstjournalist Sean O’Toole beklagt „blinde Flecken“ in der Eröffnungsschau, es fehlten relevante afrikanische Künstler. Sein Kollege Matthew Blackman warnte in einem Offenen Brief vor Alleinentscheidertum und einer intransparenten Ankaufspolitik, außerdem wünscht er sich mehr Anstrengungen, das Museum auch „den Menschen zugänglich zu machen, die es sich nicht leisten können“.
Denn für viele Südafrikaner ist der Eintritt von 180 Rand (etwa 12 Euro) fast unerschwinglich, und der Weg in eine so hippe Bildungseinrichtung könnte ihnen schwerfallen – bis 1994 war Schwarzen der Zutritt zu Museen in der Regel untersagt. An Mittwochvormittagen ist der Eintritt für Inhaber eines afrikanischen Passes zwar frei, allerdings müssen da viele arbeiten. Nur Kinder und Jugendliche haben prinzipiell freien Eintritt. Im Untergeschoss finden sich große Unterrichtsräume für Schulklassen, aber der Betrieb ist noch nicht aufgenommen. Wie ernst es dem Museum ist, in Südafrikas Postapartheidgesellschaft integrativ zu wirken, wird sich erst noch zeigen.
Mark Coetzee ist sich der Herausforderung bewusst. „Die meisten hier ausgestellten Künstler sind schwarz“, sagt er. Trotzdem befände sich der Kunstmarkt Afrikas nach wie vor in Händen von Weißen, weiße Galeristen vertreten schwarze Künstler. „Die können wir nicht ganz umgehen“, sagt er. „Aber wir hoffen, dass sich das im Lauf der Zeit ändert.“ Wie er das anstellen will? „Die junge Generation fördern“, sagt er. „Wir müssen den Status quo ändern, indem wir junge Künstler zeigen und junge Kuratoren beschäftigen.“ Das Museum punktet mit einem Extraausbildungsprogramm für junge Kuratoren aus ganz Afrika. Es solle schließlich kein Ort der alten weißen Männer bleiben, spottet Coetzee. Unter seinen 62 Mitarbeitern befänden sich nur zwei Weiße, dafür viele Frauen. Die Direktion, die Entscheider: er, Zeitz – die sind allerdings weiß und männlich.
Galerien verspüren Aufbruchstimmung
Gleich mehrere große Galerien der Stadt befinden sich in Woodstock, einem zentrumsnahen Stadtteil im Umbruch. Die meisten von ihnen sind mit Künstlern im Zeitz MOCAA vertreten. Insofern darf man nicht erwarten, bei ihnen auf scharfe Kritik zu stoßen. Die Goodman Gallery bereitet sich gerade auf ihre nächste Kentridge-Ausstellung vor – sie hat kein Problem mit dem Zeitz MOCAA. Auch Andrew da Conceicao von der Stevenson Gallery sieht einen positiven Einfluss. „Es kommen mehr Leute zu uns, die sich für Kunst aus Afrika interessieren.“ Die Galerie ist auf südafrikanische Künstler spezialisiert. Da Conceicao beobachtet eine interessante Entwicklung: „In den 1980ern war die Kunst hier sehr aktivistisch. Nach dem Ende der Apartheid ging es um Identitätssuche, Identitätspolitik. Inzwischen gibt es neue Stimmen. Die Künstler suchen nicht mehr ihre Identität als Südafrikaner, sondern versuchen sich in Afrika oder als Afrikaner neu zu definieren.“
Momo heißt die einzige Galerie des Landes, die von einem schwarzen Team geführt wird. Seit einigen Jahren hat sie, eigentlich in Johannesburg daheim, einen Ableger in Kapstadt in einer ehemaligen Diamantenfabrik, gleich neben dem muslimischen Bo-Kaap-Viertel mit seinen pastellfarbenen Häusern. Igsaac Martin, 35, ist dort der Geschäftsführer. Auch er stellt einen positiven Trend fest: „Es kommen mehr Touristen zu uns.“ Aber noch etwas findet Martin wichtig: „Sie geben dort jungen Kuratoren eine Chance, auch eigenständig tätig zu werden.“
An diesem Tag schließt eine Gruppenausstellung. Ein Teil der Bilder in der Fabriketage ist bereits abgehängt. Martin sitzt am Empfangstresen mitten im Raum. Momo sei die einzige Galerie im Land, erklärt er, die internationale Künstler einlade, in ihren Räumen in Johannesburg zu arbeiten. „Es ist manchmal einfacher, jemanden hierher einzuladen, als seine Werke einzuführen.“ Stolz fügt er hinzu: „Wir holen die ganze Welt, die ganze Kunst zu uns nach Afrika.“
Ein Motto, das auch für das Zeitz MOCAA gilt. Afrikanische Kunst wandert nicht mehr in europäische Museen, sondern bleibt in Afrika und holt auch die Diaspora hierher. Igsaac Martin, freundlich, offen, fast enthusiastisch, plädiert dafür, dem „Zeitz Zeit zu geben“. „Aber es sollte am Wochenende frei sein für Südafrikaner.“ Er kramt eine Liste mit den Graduierten der örtlichen Kunsthochschule heraus – auf ihr stehen fast ausschließlich Weiße. „Es ist noch immer hart, Künstler zu werden, wenn du aus einer Township kommst“, sagt Martin.
Momo ist mit Mary Sibande im Zeitz MOCAA vertreten. Die Künstlerin aus Johannesburg, Jahrgang 1982, setzt sich, vielleicht typisch für die Postapartheidgeneration, mit Fragen von Geschlecht, Rasse und Klasse auseinander. „Das sind die wichtigen Themen im Moment“, sagt Martin. „Alle sind irgendwie geprägt und geschädigt von der Apartheid“, sagt er und benutzt das treffendere englische Wort ‚brainwashed‘. „Selbst wer die Apartheid nicht am eigenen Leib erlebt hat, spürt sie. Es ist schwer, deiner Klasse zu entkommen.“
„Es gibt keine unpolitische Kunst in Südafrika“
Mark Coetzee drückt es etwas anders aus. „Es gibt keine unpolitische Kunst in Südafrika. Die Vergangenheit ist noch zu nah. Die Politisierung ihrer Umgebung hat die Künstler geprägt.“ Interessanterweise hätten sie deshalb einen besonders engen Bezug zur Vergangenheit. „Sie schauen zurück und versuchen etwas von ihrer Kultur zu bewahren. Südafrikaner sind nicht konservativ, sondern traditionsbewusst.“ Und kämpferisch: Künstlerinnen wie Nandipha Mtambo, Mary Sibande oder Zanele Muholi versuchen einerseits an matriarchalische Traditionen anzuknüpfen, kämpfen andererseits für Frauen- und LGTB-Rechte.
Auf die Frage, welche Künstler oder Kunstwerke ihm besonders am Herzen liegen, antwortet MOCAA-Direktor Mark Coetzee: „Ich entdecke jeden Tag etwas Neues. Und das ist dann mein Favorit.“ An diesem Tag ist es die Ausstellung „Material Value“ von Mtambo. Ihm sei vorher nie aufgefallen, dass ihre Kuhhäute und Fellbüsten auch etwas von einer Rüstung hätten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja