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Afghanische Ortskräfte in OsnabrückCDU will nicht helfen

In Osnabrück haben schon viele ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan Schutz gefunden. Der Rat der Stadt will das ausbauen. Bloß die CDU sperrt sich.

„Ich fühle mich hier willkommen!“: Khalid Sadaat, einst Projektkoordinator für Terre des Hommes in Afghanistan, lebt in Osnabrück Foto: Uwe Lewandowski
Harff-Peter Schönherr

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Harff-Peter Schönherr aus Osnabrück

Khalid Sadaat weiß, wie es sich anfühlt, das Vertrauen zu verlieren. In Afghanistan hat er als Ortskraft für die deutsche Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes gearbeitet, als Projektkoordinator. Seit der Machtergreifung des Talibanregimes lebt er im niedersächsischen Osnabrück, zusammen mit seiner Familie. Aber viele wie er warten noch immer auf die versprochene Einreise nach Deutschland. „Wir haben Jahre für euch gearbeitet“, sagt er. „Und wie behandelt ihr uns?“ Er ist tief enttäuscht von der Bundesregierung.

Ende August haben Dutzende Organisationen Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) einen offenen Brief geschrieben. Es sei eine „aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht tragbare Situation“, dass es an Unterstützung für AfghanInnen fehle, die in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland warten. Dabei ist den Menschen zugesagt worden, dass sie nach Deutschland ausreisen dürfen.

Tausende MenschenrechtlerInnen, AnwältInnen, Angehörige gefährdeter Minderheiten hoffen derzeit auf den versprochenen Flug in die Sicherheit – darunter ehemalige Ortskräfte in deutschem Auftrag. Währenddessen droht ihnen die Abschiebung in ihr Herkunftsland, aus dem sie vor der Machtergreifung des Talibanregimes geflohen sind. In dem Brief, mit Unterzeichnern von Amnesty International bis zur Refugee Law Clinic Hannover, wird eine Verkürzung von Sicherheitschecks und Visaverfahren sowie sofortige Evakuierung gefordert.

Druck aus der Kommunalpolitik

Auch aus der Kommunalpolitik bekommen Dobrindt und Wadephul Druck. Am 4. November wird der Rat der Stadt Osnabrück eine interfraktionelle „Initiative zum Schutz und zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ beschließen, ins Leben gerufen durch die örtlichen Grünen, deren Antrag sich SPD, Volt, FDP, UWG, Linke und der Parteilose Kalla Wefel angeschlossen haben – die Ratsmehrheit.

Osnabrück erkläre sich bereit, heißt es in ihrer Beschlussvorlage, „in einer gemeinsamen Initiative mit anderen deutschen Städten und Gemeinden afghanische Ortskräfte aufzunehmen“. Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) wird gebeten, als Mitglied des Präsidiums des Deutschen Städtetags einen „entsprechenden Vorstoß“ zu unternehmen.

„Den in Pakistan Wartenden läuft die Zeit davon“, sagt Anke Jacobsen der taz. Jacobsen ist die Vizevorsitzende der Stadtrats-Fraktion der Osnabrücker Grünen. 94 über das „Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan“ Eingereiste, 2022 aufgelegt von den Ministerien, denen heute Wadephul und Dobrindt vorstehen, leben derzeit schon in Osnabrück. „Ihre Integration ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Jacobsen.

CDU schließt sich der Mehrheit nicht an

Jacobsen hätte für ihre Initiative gern auch die örtliche CDU im Boot gehabt. Aber die hat Bedenken. „Wir wurden zur letzten Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses angefragt, ob wir einen entsprechenden Antrag unterstützen“, schreibt Robert Schirmbeck der taz, Fraktionsgeschäftsführer der CDU. „Da man unmittelbar danach begann, die ersten Ortskräfte auszufliegen, hatte sich der Antrag aus unserer Sicht erledigt.“

Ob der Antrag zur Ratssitzung mit dem zur Ausschusssitzung identisch sei, wisse man nicht. „Wir schauen uns den neuen Antrag an, sobald er verfügbar ist, und beraten dann innerhalb unserer Fraktion die Haltung dazu.“ Man schließe sich „der Haltung der Bundesregierung an“, schreibt Schirmbeck. Grundsätzlich seien rechtsverbindliche Zusagen einzuhalten.

Jacobsen sieht das als Verzögerungstaktik und Unterstützung der Zögerlichkeit von Dobrindt und Wadephul. „Der Antrag ist identisch und der CDU seit September bekannt“, sagt sie. „Sicher, es sind jüngst einige Dutzend AfghanInnen nach Deutschland geholt worden. Aber nur, weil jeder von ihnen das eigens eingeklagt hat. Eine wirkliche Bewegung ist da nicht drin.“

Oberbürgermeisterin weist Verantwortung zurück

Das lässt auch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter erkennen. „Aus meiner Sicht sollte jemand, der sich unter Einsatz seines Lebens in Afghanistan für deutsche Behörden engagiert hat und nun deshalb in seinem Heimatland in Gefahr ist, bei uns Schutz finden“, schreibt sie der taz. Aber das sei eine nationale Aufgabe, „kein Thema der kommunalen Selbstverwaltung“. Sie halte den vorgeschlagenen Weg über den Deutschen Städtetag „in diesem Fall nicht für zielführend“.

Aus meiner Sicht sollte jemand, der sich unter Einsatz seines Lebens in Afghanistan für deutsche Behörden engagiert hat und nun deshalb in seinem Heimatland in Gefahr ist, bei uns Schutz finden

Katharina Pötter, CDU, Oberbürgermeisterin

Kommunale Bereitschaftserklärungen, „die alleine keine praktische Wirkung entfalten“, findet Pötter, „führen nicht weiter“. Die Stadt Osnabrück komme ihren Verpflichtungen nach und nehme ihr zugewiesene Flüchtlinge auf. Aber: „Dafür braucht es keine symbolischen Ratsbeschlüsse.“

„Das ist nicht nur symbolisch“, sagt Jacobsen. „Das hilft, Druck auf die Bundesregierung auszuüben! Und der ist bitter nötig.“

Terre des Hommes unterstützt den Rat der Stadt

„Wir begrüßen die Initiative in Osnabrück ausdrücklich“, schreibt Annika Schlingheider der taz, Referentin Flucht und Migration bei der Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes, deren Hauptsitz Osnabrück ist und die in Afghanistan Einheimische beschäftigt hat.

In Pakistan säßen noch mehr als 2.000 Personen fest, die aufgrund ihrer besonderen Gefährdung eine Aufnahmezusage erhalten hätten: „Im Vertrauen auf diese Zusage haben sie ihr Hab und Gut verkauft und das Land nach Pakistan verlassen. Dort warten sie seit Monaten unter prekären Bedingungen auf ihre Ausreise, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder“, so Schlingheider.

Die Angst vor Razzien und Abschiebungen sei allgegenwärtig: „Einige hundert Personen wurden bereits gewaltvoll nach Afghanistan abgeschoben, sogar Familien wurden dabei auseinandergerissen. Das alles passiert, während die Menschen sich auf die Aufnahmezusage aus Deutschland verlassen haben.“

Zahlreiche Gerichtsbeschlüsse haben die rechtliche Verbindlichkeit der Aufnahmezusagen bestätigt. Die Bundesregierung müsse jetzt zu ihrer Verantwortung stehen, so Schlingheider. „Alles andere wäre ein unverzeihlicher Wortbruch.“

Man wartet, Monat um Monat. Man hat die Einreisezusage, hat das Visum, hat den Sicherheitscheck durchlaufen. Aber nichts passiert. Man fühlt sich eingesperrt, unter extremem Druck, im Stich gelassen. Das ist psychische Folter

Khalid Sadaat, ehemaliger Projektkoordinator für Terre des Hommes in Afghanistan

Khalid Sadaat weiß, was das bedeutet. Als die Taliban an die Macht kamen, war er in Indien, für eine Terre-des-Hommes-Konferenz, von dort flog er direkt nach Deutschland. „Mir hätte die Inhaftierung gedroht, wenn nicht Schlimmeres“, erzählt er der taz. „Unsere Arbeit galt ja nicht zuletzt den Frauenrechten. Tags darauf kamen die Taliban in unser Haus, haben nach mir gesucht.“ Seine Familie konnte entkommen. „Man hat uns alles weggenommen.“

Sadaat spricht Englisch und Deutsch, ist weltoffen und demokratiebewusst, hat ein Journalismusstudium abgeschlossen. Er sieht sich mittlerweile als Osnabrücker: „Das ist jetzt meine Heimat, und ich fühle mich willkommen. Es gab viel Unterstützung, auch vonseiten der Stadt.“

Sadaat engagiert sich für die afghanische Community aus Stadt und Landkreis Osnabrück und ist derzeit auf Jobsuche. Seinen Beginn in Deutschland hat er nicht als Kulturschock erlebt. Angstfrei ist er allerdings nicht: „Wenn jetzt plötzlich Talibanvertreter als Diplomaten nach Deutschland kommen, fühlst du dich schon ziemlich unsicher.“

Warten in Pakistan ist gefährlich

In Pakistan, erzählt Sadaat, leben die Wartenden oft zu mehreren in einem kleinen Raum. „Man vermeidet es, auf die Straße zu gehen, denn immer wieder gibt es Verhaftungen. Kranke gehen nicht zum Arzt, Kinder nicht zur Schule. Man wartet, Monat um Monat. Man hat die Einreisezusage, hat das Visum, hat den Sicherheitscheck durchlaufen. Aber nichts passiert. Man fühlt sich eingesperrt, unter extremem Druck, im Stich gelassen. Das ist psychische Folter.“

„Man hat den Eindruck, die Bundesregierung hofft darauf, dass sich das Problem durch Nichtstun von selber löst, die Zahl der Wartenden sinkt ja“, sagt Terre-des-Hommes-Mitarbeiterin Anna Büschemann, die in Osnabrück rund 40 ehemalige afghanische Ortskräfte und deren Familien betreut hat, Wohnungssuche inklusive. Ihr ist die Empörung anzumerken. „Aber sie sinkt, weil Visa ablaufen und nicht neu ausgestellt werden, weil Menschen, die längst in Deutschland hätten sein sollen, zurück nach Afghanistan gezwungen werden.“ Darauf zu bauen, sei amoralisch. „Es ist inhuman. Es ist erbärmlich!“

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