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Af­gha­n*in­nen mit AufnahmezusageAbgeschoben in die Hände der Taliban

Mehr als 200 Personen mit deutscher Aufnahmezusage wurden von Pakistan nach Afghanistan zurückgezwungen. Deutsche Ministerien sind mitverantwortlich.

Warten auf Ausreise: afghanische Geflüchtete in einem Park in Islamabad, Pakistan Foto: Akhtar Soomro/reuters

Berlin taz | Mindestens 211 Afghan*innen, denen Deutschland die Rettung zugesichert hatte, sind nun erneut den Taliban ausgeliefert. Die Menschen wurden in den letzten Tagen aus Pakistan abgeschoben, wo sie auf die Evakuierung nach Deutschland gewartet hatten.

Nach Intervention der Bundesregierung sind die Abschiebungen zwar vorerst gestoppt und weitere 200 bedrohte Af­gha­n*in­nen aus der Abschiebehaft frei gekommen. Doch kann das nicht verschleiern, dass erst Deutschland die Betroffenen überhaupt in diese dramatische Lage gebracht hat.

Hintergrund ist, dass die schwarz-rote Bundesregierung versucht, alle Aufnahmeprogramme für Af­gha­n*in­nen abzuwickeln. Neue Aufnahmezusagen gibt es schon lange nicht mehr, in Pakistan sitzen aber noch rund 2.000 Personen fest, die solche Zusagen teils schon vor Jahren bekamen. Die meisten von ihnen sind Menschenrechtler*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen oder andere besonders durch die Taliban gefährdete Personen. Auch ehemalige lokale Ortskräfte der Bundeswehr sowie ihre Familien sind darunter.

Das Bundesinnenminis­terium unter Alexander Dobrindt (CSU) und das Auswärtige Amt unter Joachim Wadephul (CDU) blockieren bislang die Evakuierung dieser ­Personen, unter anderem mit Verweis auf fadenscheinige ­Sicherheitsbedenken. Uni­ons­po­li­ti­ke­r*in­nen sprachen immer wieder offen aus, dass die Af­gha­n*in­nen nicht mehr eingeflogen werden sollten und stellten dies in Zusammenhang mit der groß angekündigten „Asylwende“.

Insgesamt 20 Entscheide des Verwaltungsgerichts Berlin, wonach die Aufnahmezusagen bindend seien, änderten bislang nichts an der Blockade durch die unionsgeführten Ministerien. Sie legten in vielen Fällen Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin ein. Auch unter den in den letzten Tagen Abgeschobenen waren Personen, deren Aufnahmezusage vom Verwaltungsgericht als rechtlich verbindlich eingestuft wurde.

Deutsche Heuchelei

Dass Pakistan die Af­gha­n*in­nen nicht ewig dulden würde, war absehbar. In den letzten Monaten hatte es bereits Abschiebeversuche gegeben, die aber von deutschen Stellen in letzter Sekunde verhindert werden konnten. Seit Mitte vergangener Woche zogen die pakistanischen Behörden dann aber durch. Dabei soll es laut der Organisation Kabul Luftbrücke auch zu Gewalt gegen Frauen und Kinder gekommen sein.

Nur massiver deutscher Druck konnte die Abschiebungen am Montag vorerst beenden. Nach taz-Informationen haben die pakistanischen Stellen jetzt zugesagt, vor September keine weiteren derartigen Versuche zu unternehmen. Was genau die Bundesregierung innerhalb dieser Frist unternehmen will, ob nun etwa doch an Evakuierungen gearbeitet wird, ist unklar. Das Bundesinnenministerium ließ eine Anfrage der taz dazu am Dienstag unbeantwortet.

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass das Ministerium weiter versucht, möglichst viele der Aufnahmezusagen zurückzunehmen. Zuletzt wurden die Fristen, in denen Betroffene gegen einen solchen Widerruf Einspruch einlegen können, von vier auf zwei Wochen verkürzt.

Für die Taliban dürften die Abgeschobenen leicht zu identifizieren sein

Für die Af­gha­n*in­nen hat die Abschiebung in ihr Herkunftsland katastrophale Folgen. Weil die deutschen Stellen in Islamabad ihre Pässe einbehalten haben und sie teils ohne Gepäck in Afghanistan gestrandet sind, dürften sie für die Taliban leicht zu identifizieren sein. Den Betroffenen drohen Folter und Hinrichtung.

Die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl und das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte stellten deshalb am letzten Freitag Anzeige gegen Dobrindt und Wadephul. Die An­wäl­t*in­nen der Menschenrechtsorganisationen werfen den beiden Ministern den Straftatbestand der Aussetzung und den der unterlassenen Hilfeleistung vor.

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