Affäre um verdeckte Ermittlerin: Hamburgs Polizei verfassungswidrig
Die Polizei verteidigt ihren Einsatz beim Radio FSK. Gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts will sie den presserechtlichen Schutz aushebeln.
HAMBURG taz | Über den Schriftsatz der Hamburger Polizei ist Christiane Schneider von der Hamburger Linkspartei entrüstet: In einer Klageerwiderung auf die Klage des linken Radios „Freies Sender Kombinat“ (FSK) vor dem Hamburger Verwaltungsgericht befand die Polizei, der FSK sei kein Medium, dass durch die Rundfunkfreiheit geschützt sei. Obwohl das Bundesverfassungsgericht darüber vor sechs Jahren im Zuge der polizeilichen Durchsuchung des Senders 2003 positiv entschieden hat.
Der Radiosender wollte mit seiner Klage erwirken, dass der mehrjährige Undercover-Einsatz der Staatsschützerin Iris P. unter dem Tarnnamen „Iris Schneider“ als Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit verurteilt wird. Die polizeiliche Reaktion darauf hält Innenpolitikerin Schneider„politisch für einen totalen Hammer“.
In der Tat stellt Polizeijustiziar Jens Stammer in dem 31-seitigen Papier, das der taz vorliegt, sämtliche Eingeständnisse infrage, die die Innenbehörde in den parlamentarischen Gremien über polizeiliches Fehlverhalten gemacht hatte. So habe das doppelte Engagement von Iris P. von 2003 bis 2006 als verdeckte Aufklärerin des Hamburger Staatsschutzes sowie als „verdeckter Ermittlerin zur Strafverfolgung“ (VE) beim FSK nie der „polizeipräventiven noch strafprozessualen Informationsbeschaffung“ gedient, heißt es da. Es sei vielmehr für ihre Legenden-Erhaltung in der linken Szene notwendig gewesen.
Das Betreten des Radiosenders, das Senden und das Betreten von Privatwohnungen sei wegen ihres Status als verdeckte Ermittlerin für den Generalbundesanwalt zulässig gewesen. Und auch das „Mitschwimmen“ im sozialen Umfeld des FSK – inklusive zwei längeren sexuellen Beziehungen – sei nicht verboten gewesen.
Die Staatsschützerin Iris P. war unter dem Tarnnamen „Iris Schneider“ nach einem Schnupperpraktikum und einer dreimonatigen Ausbildung ab Oktober 2001 in der linken Szene als Aufklärerin („Beamtin für Lagebeurteilung“) für das Hamburger Landeskriminalamt tätig.
Ab April 2002 war Iris P. parallel als verdeckte Ermittlerin für die Bundesanwaltschaft auf der Suche nach den Rote Armee Fraktion-Angehörigen Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg im Umfeld der besetzten Roten Flora eingesetzt.
Den Radiosender „Freies Sender Kombinat“ infiltrierte Iris P. von Juli 2003 in den Redaktionen von „Female Machos“ und „u-turn queer“, dem „Nachrichtenmagazin für subversive Unternehmungen“ und dem queer-feministischen Magazin „Re(h)v(v)o(l)lte-radio“ bis zu ihrem Abtauchen 2006.
Besonders brisant ist Stammers Bewertung, das FSK sei nach der Rundfunkfreiheit nicht als geschütztes Medium, sondern als „Mitmachradio“ anzusehen, „dessen Sendegruppen gerade nicht auf Abschottung bedacht waren“ und „prinzipiell für jeden zugänglich, also im besten Sinnes des Wortes öffentlich“ seien.
Iris P. habe sich beim FSK stets zurückhaltend verhalten und nicht regelmäßig an Redaktionssitzungen teilgenommen. Redaktionelle von ihr erstellte Beiträge, wie ein Jingle, der zu Straftaten aufrief, oder Demo-Live-Berichterstattung habe sie im Auftrag des Zentrums Rote Flora oder für eine andere „Politgruppe“ gemacht. Auch an den „FSK-Presseverteiler gelangte die Beamtin als Plenumsmitglied der Roten Flora“, schreibt Stammer heute.
Im Gegensatz dazu hatte die Leiterin der Hamburger Innenbehörden-Innenrevision, Gabriele Schipper, im September 2015 im Innenausschuss eingeräumt, der Staatsschutz und Iris P. hätten den grundrechtlichen Schutz des Redaktionsgeheimnisses beim FSK missachtet. „Aus heutiger Sicht wäre es absolut nicht tolerabel, unter einer Legende für einen Radiosender oder ein anderes Medium tätig zu werden.“ Es seien Grenzen übertreten worden, „die man nicht hätte übertreten dürfen“, sagte Schipper bei der Vorlage des Ermittlungsberichtes. „Hier ging es nicht um den Schutz der Legende.“ Vielmehr sei der verdeckte Einsatz entglitten.
Dabei stützte sich Schipper auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Polizeidurchsuchung des FSK 2003. „Das Grundrecht der Rundfunkfreiheit schützt in seiner objektiven Bedeutung die institutionelle Eigenständigkeit des Rundfunks von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und der Meinung“, erklärten die Verfassungsrichter 2010. Vom Schutz der Rundfunkfreiheit sei auch die „Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit umfasst“. Diese verwehre es staatlichen Stellen grundsätzlich, „sich einen Einblick in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung der Nachrichten oder Beiträge führen“, so das Urteil.
Schneider hat für die polizeiliche Neuinterpretation zwei mögliche Erklärungen:„Entweder haben der damalige Innensenator Neumann und die Polizeiführung in zahlreichen Sitzungen des Innenausschusses Abgeordnete und Öffentlichkeit getäuscht, um einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu verhindern, oder der Polizeiapparat bäumt sich jetzt vor dem neuen Innensenators auf und will eigenmächtig entscheiden, was rechtswidrig ist.“
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